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Lüders: Weder USA noch Saudi-Arabien wollen Iran politisch aufwerten

Sollten die Wirtschaftssanktionen gegen Iran fallen, würde islamische Republik zum neuen geopolitischen Gewicht werden, sagt Nahost-Experte Michael Lüders. Das wollen weder die USA, Saudi-Arabien noch Israel. Iran würde der viertgrößte Erdöl- und Erdgas-Lieferant der Welt werden.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.11.2013
    Jasper Barenberg: Meint es der Iran ernst mit seiner Annäherung im Streit um das Atomprogramm des Landes? Skepsis und Zuversicht halten sich im Westen die Waage, seit Irans neuer Präsident Einigungswillen erkennen ließ. Seinen Worten hat er allerdings bisher kaum Taten folgen lassen. Heute nun will US-Außenminister John Kerry zu den laufenden Gesprächen in Genf dazustoßen, ein Indiz, ein Hinweis wohl dafür, dass Washington eine erste Einigung für möglich hält, vielleicht sogar mehr, wie Äußerungen von Präsident Obama jetzt auch nahelegen.

    Iran wird das Atomprogramm weiterführen, auch das hat Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu gerade gesagt. Und auch die neue Zuversicht in Washington war noch nicht deutlich geworden, als mein Kollege Dirk-Oliver Heckmann den Nahost-Experten Michael Lüders gefragt hat, ob der Westen naiv ist im Umgang mit dem Iran.

    Michael Lüders: Nein, den Eindruck kann man wirklich nicht haben. Es gibt einen grundsätzlichen Wechsel in der iranischen Politik. Es ist eine Entscheidung der obersten Führung, sich dem Westen anzunähern. Und um die Beziehungen wieder zu normalisieren, wissen die Iraner, dass sie in der Atomfrage substanziell Entgegenkommen zeigen müssen.

    Vor allem müssen sie dafür Sorge tragen, dass ihr Atomprogramm uneingeschränkt zu überwachen sein wird. Aber sie erwarten im Gegenzug, dass der Westen dem Iran entgegenkommt. Das heißt konkret, dass die Sanktionen aufgehoben werden, die die iranische Wirtschaft massiv schädigen. Genau das aber will die israelische Führung nicht. Das hat weniger mit der Atompolitik des Iran zu tun oder mit der Angst vor einer iranischen Atombombe, als vielmehr mit Geopolitik. Würde die Boykott-Politik gegenüber dem Iran beendet, wäre der Iran einer der wichtigsten geopolitischen Akteure im Nahen und Mittleren Osten und Israel würde seine Rolle als Hegemon weitgehend verlieren, und genau das möchte man vermeiden.

    Dirk-Oliver Heckmann: Trotzdem vermutet Netanjahu ja, dass das Atomprogramm weitergeführt wird. Was macht Sie denn so sicher, dass dem dann nicht so ist?

    Lüders: Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass der Iran tatsächlich an einer Atombombe baut. Das behaupten nicht einmal die israelischen Geheimdienste. Die iranische Strategie dürfte sein, sich das Wissen zu besorgen, eine Atombombe zu bauen, und darüber hinaus die Materialien zu besitzen, um diese Bombe dann auch, wenn es sein müsste, zu bauen.

    Sie wollen das Know-how haben und das technische Potenzial, werden die Bombe aber nicht bauen, weil sie wissen, dass das in der Tat eine rote Linie wäre. Und mit Blick auf die Abschreckung gegenüber möglichen Angreifern reicht das Wissen um den Bau einer Bombe. Diese Linie ist die iranische und sie sind bereit, sich jetzt dem Westen zu öffnen. Aber es liegt nicht nur an den Iranern, hier entsprechende Schritte zu unternehmen; auch am Westen liegt es, eine grundlegende Entscheidung zu treffen: Will man sich mit dem Iran grundsätzlich arrangieren, ist man bereit, die islamische Republik als einen geopolitischen Faktor im Nahen und Mittleren Osten zu akzeptieren.

    Heckmann: Das sieht doch ganz danach aus, dass man jetzt auch vom Westen aus ernsthafte Verhandlungen führt.y

    Lüders: Die Verhandlungen werden ernsthaft geführt, aber am Ende müsste ja nicht nur ein Durchbruch stehen in der Nuklearfrage, sondern auch in der Sanktionspolitik. Im Klartext: Die Sanktionen gegen den Iran müssten aufgehoben werden, und das ist ein immenses Problem. Wenn man sich einmal in den USA die entsprechende Gesetzgebung anguckt, etwa den maßgeblichen Iran Threat Reduction Act, also das Gesetz zur Reduzierung der iranischen Gefahr, so besagt dieses Gesetz klipp und klar: Die Sanktionen gegenüber dem Iran können erst aufgehoben werden, wenn eine Mehrheit im Kongress dafür stimmt und wenn der amerikanische Präsident gegenüber dem Kongress bescheinigt, dass der Iran keine Gefahr mehr darstellt für Israel oder für die USA. Und es ist völlig klar, dass es einen solchen Beschluss im amerikanischen Kongress kaum geben wird.

    Heckmann: Weshalb nicht?

    Lüders: …, weil es zu starke Interessensgruppen gibt, die eine Normalisierung mit dem Iran nicht wollen, weil der Iran als eine Bedrohung gesehen wird – wie erwähnt weniger wegen des nuklearen Programms, als vielmehr wegen seiner geopolitischen Bedeutung.

    Es ist ein Land mit 5000 Jahren Kulturgeschichte, mit fast 60 Millionen Einwohnern und einem gewaltigen geopolitischen Gewicht. Weder Israel noch Saudi-Arabien, noch bislang Teile der amerikanischen Führung wollen, dass diese islamische Republik, der bisherige Erzfeind, gewissermaßen politisch aufgewertet wird.

    Heckmann: Welche Gruppierungen sind das, von denen Sie sprechen, die daran in den USA kein Interesse haben?

    Lüders: Es gibt starke Kräfte im Kongress, die dieses nicht wollen. Es gibt im Außenministerium entsprechende Kräfte, während im Verteidigungsministerium und in der Obama-Administration der Pragmatismus obsiegt. Man muss auch klar und deutlich sagen, dass die pro-israelischen Lobby-Gruppen, namentlich AIPAC, das American Israel Public Affairs Committee, eine Annäherung nicht wünscht.

    Heckmann: Es gibt also starke Kräfte, die auf die Bremse treten in den USA, aber natürlich auch die israelische Regierung ist dabei zu nennen. Auch Saudi-Arabien fürchtet, dass Iran auf den Ölmarkt zurückkommt, und Russland bekäme auch Konkurrenz als Gasexporteur. Es geht also auch um knallharte wirtschaftliche Interessen?

    Lüders: Auf jeden Fall! Würde der Boykott gegenüber dem Iran mit Blick auf den Verkauf von Erdöl und Erdgas aufgehoben werden, würde es auf einmal bedeuten, dass der viertgrößte Erdöl- und Erdgas-Produzent der Welt, nämlich der Iran, seine Produkte auf den Weltmarkt werfen könnte, und das hätte zur Folge, dass die Öl- und Energiepreise insgesamt auf breiter Linie fallen würden, zumindest vorübergehend. Das wäre sowohl für Russland wie auch für Saudi-Arabien unerfreulich.

    Für Saudi-Arabien ist aber das weniger das Motiv, gegen eine Normalisierung der Beziehungen mit dem Iran zu sein. Saudi-Arabien ist der ideologische Erzrivale des Iran. Saudi-Arabien sieht sich als islamische Schutzmacht. Das tut der Iran aber auch. Der saudische Machtapparat ist aber sunnitisch dominiert, der Iran ist ein schiitischer Staat, und die theologischen und ideologischen Differenzen zwischen beiden Ländern sind sehr groß und werden vor allem von Saudi-Arabien massiv geschürt.

    Barenberg: Der Publizist und Nahost-Experte Michael Lüders im Gespräch mit meinem Kollegen Dirk-Oliver Heckmann.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.