Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Luftangriffe in Syrien
"Gedeckt vom Völkerrecht"

Sind die Luftangriffe der USA und ihrer Verbündeten auf die Terrorgruppe IS in Syrien mit internationalem Recht vereinbar? In der Summe ja, sagt der Völkerrechtler Martin Bothe im Deutschlandfunk. Auch das sogenannte Selbstverteidigungsrecht, das US-Präsident Obama beansprucht, rechtfertige diese Art der Angriffe.

Michael Bothe im Gespräch mit Sandra Schulz | 25.09.2014
    Der US-Generalmajor William C. Mayville spricht über die Luftangriffe in Syrien.
    Der US-Generalmajor William C. Mayville spricht über die Luftangriffe in Syrien. (AFP / Brendan Smialowski)
    Die Terrorgruppe, die sich Islamischer Staat nennt, sei zwar kein Staat, sehe aber in vielerlei Hinsicht so aus, sagte Martin Bothe, emeritierter Völkerrechtler der Universität Frankfurt am Main, im Deutschlandfunk. "De facto ist das so was ähnlich, infolgedessen kann das so bekämpft werden."
    Diese "massive militärische Organisation" greife den Irak an und der Irak möchte von den Vereinigten Staaten verteidigt werden, sagte der Völkerrechtler. Diese militärische Hilfe sei im Recht auf kollektive Selbstverteidigung ausdrücklich festgehalten. Auch dass die syrische Regierung die Luftangriffe gegen IS auf syrischem Territorium toleriere, sei ausreichend, um diese Art der Verteidigung gegen einen nichtstaatlichen Akteur zu rechtfertigen. "Wenn eine solche Organisation nun einen Angriff ausübt, dann ist das ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen IS und Irak, an dem sich die Vereinigten Staaten beteiligen."
    Streng genommen müssten auch die IS-Kämpfer festgesetzt und vor Gericht gestellt werden, sagte Bothe. "Was da geschieht, das sind Kriegsverbrechen."

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Viel Wirbel hat es gegeben um die geplanten deutschen Waffenlieferungen für den Irak, vor allem um die Verzögerungen. Jetzt ist eine Transportmaschine offenbar gestartet.
    Es geht um die deutschen Waffenlieferungen in den Irak und wir schauen auf das andere Land, in dem der sogenannte Islamische Staat bekämpft wird und bekämpft werden soll. Seit Anfang der Woche fliegen die USA Luftangriffe gegen Stellungen des IS in Syrien. Und für diese Einschätzung muss man kein Militarist sein: Die Luftschläge dürften von vielen Menschen sehnlichst erwartet worden sein, denn zuletzt waren die islamistischen Terroristen nahezu ungehindert auf dem Vormarsch.
    Hunderttausende Syrer sind vor ihnen auf der Flucht. Da wo sie vorbei kommen berichten Augenzeugen von Enthauptungen, Vergewaltigungen, Steinigungen. Ein Mandat der Vereinten Nationen haben die USA nicht, denn der UN-Sicherheitsrat ist und bleibt zur Syrien-Frage gespalten. Erlaubt das Völkerrecht den USA also überhaupt solche Luftangriffe? Darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich den Völkerrechtler Michael Bothe, emeritierter Professor der Universität Frankfurt. Guten Morgen.
    Michael Bothe: Guten Morgen!
    Schulz: Sind die Luftangriffe vom Völkerrecht gedeckt?
    Bothe: Im Ergebnis möchte ich das in diesem Fall bejahen, und zwar, weil wir hier nun eine massive militärische Organisation haben, die zwar kein Staat ist, aber in vielen Beziehungen so aussieht wie ein Staat. Sie übt Gewalt über ein Territorium aus und de facto ist das so was Ähnliches, und infolgedessen kann die so bekämpft werden.
    "Ein Fall der sogenannten kollektiven Selbstverteidigung"
    Schulz: US-Präsident Barack Obama beruft sich auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der UN-Charta. Inwiefern verteidigen die USA sich in Syrien selbst?
    Bothe: Der wesentliche Ansatz für das Selbstverteidigungsrecht ist für meine Begriffe nicht das Selbstverteidigungsrecht der USA gegen Terroristen, sondern das sogenannte Recht auf kollektive Selbstverteidigung, denn hier liegt nun mal ein militärischer Angriff gegen den Irak vor und der Irak möchte verteidigt werden von den Vereinigten Staaten.
    Das ist ein Fall der sogenannten kollektiven Selbstverteidigung, das heißt der Selbstverteidigung für einen anderen Angegriffenen, den die Satzung ausdrücklich vorsieht, und das jedenfalls rechtfertigt diesen Angriff in meinen Augen.
    Schulz: Und welche Rolle spielt es da, was Damaskus zu all dem sagt?
    Bothe: Wir haben in allen diesen Fällen, wo der Angriff von nichtstaatlichen Akteuren kommt, die sich auf einem Staatsgebiet irgendwo etabliert haben, die Frage, was sind denn nun eigentlich die Rechte der legitimen Regierung des Gebietes, um das es geht.
    Hier gibt es unterschiedliche Ansätze. In dem Fall ist es aber wohl so, dass Damaskus, nachdem ihm das notifiziert worden ist, nicht protestiert hat, das heißt, diese Angriffe toleriert, und das reicht für meine Begriffe aus, um diese Art der Selbstverteidigung gegen einen nichtstaatlichen Akteur, aber der fast so aussieht wie ein Staat, zu rechtfertigen.
    Schulz: Warum geht es in dem Fall nicht um die humanitäre Intervention, die ja in anderen Fällen auch zitiert und als Begründung hergenommen wird?
    Bothe: Dazu müsste die humanitäre Intervention erst einmal als Rechtfertigungsgrund anerkannt sein, und das ist sie nicht, und so ist es kein Zufall, dass die Vereinigten Staaten in ihrer offiziellen Mitteilung an den Sicherheitsrat zwar von Selbstverteidigung gegen Terroristen reden, aber nicht von humanitärer Intervention.
    "Das ist kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne"
    Schulz: Wenn wir jetzt noch mal auf den islamischen Staat schauen. Die heißen wie gesagt Staat, sind es aber natürlich nicht. Eigentlich sind die doch eine Truppe von Terroristen, die relativ gut organisiert sind. Ist das überhaupt Krieg im völkerrechtlichen Sinne?
    Bothe: Das ist kein Krieg im völkerrechtlichen Sinne, aber darauf kommt es auch überhaupt nicht an. Das wäre beispielsweise bedeutsam für Neutralitätsrecht vielleicht. Aber es ist ganz zweifelsohne ein internationaler bewaffneter Konflikt, weil eine militärische Organisation, die hoch organisiert ist, die eigene Herrschaftsgewalt hat, die eigentlich ein Staat sein könnte, wenn nicht Fragezeichen zu setzen wären hinsichtlich der Art und Weise, wie sie an ihre Macht kommen und sie ausüben.
    Wenn eine solche Organisation nun einen Angriff ausübt, dann ist das eben ein internationaler bewaffneter Konflikt zwischen IS und Irak, an dem sich die Vereinigten Staaten beteiligen.
    Schulz: Hat das Völkerrecht denn ausreichend Werkzeuge für diese Art von Konflikten?
    Bothe: Nun, wir haben hier sehr unterschiedliche Formen nichtstaatlicher Akteure, die in großem Umfang Gewalt ausüben, und die völkerrechtliche Einordnung dieser Tatsachen, dieser Phänomene, dieser Tätigkeiten ist etwas schwierig.
    Aber da ist jeder Fall anders. Der Einmarsch in Afghanistan ist etwas anderes als die Aktion im Kosovo und die Luftangriffe jetzt. Das kann man nicht über einen Kamm scheren. Ich glaube, das traditionelle Völkerrecht hat genügend Werkzeuge, aber da muss man die einzelnen Fälle unterscheiden.
    "Was da geschieht, das sind Kriegsverbrechen"
    Schulz: Sie haben es gerade gesagt: Der IS ist eine militärische Organisation. Aber müssen nicht eigentlich ganz streng genommen, auch wenn das vielleicht naiv klingt, die IS-Kämpfer als Kriminelle festgesetzt und vor Gericht gestellt werden?
    Bothe: Ja sicherlich, und zwar deswegen, weil sie, wenn man das als internationalen bewaffneten Konflikt ansieht, natürlich dann auch an Regeln gebunden sind, und die werden nun mal ganz klar nicht beachtet. Was da geschieht, das sind Kriegsverbrechen.
    Schulz: Das heißt aber, diese Luftangriffe, wenn die jetzt ein Gerichtsverfahren ersetzen, sind die dann nicht auch mit gezielten Tötungen durchaus zu vergleichen?
    Bothe: Der Vergleich gefällt mir nicht so gut, weil es schlicht und einfach um eine organisierte Ausübung von Gewalt, Gewalt zwischen Organisationen geht, und das ist nicht gezielt auf einzelne Personen. Wenn man es auf einzelne Personen richtet, dann ist das noch eine andere Frage. Hier ist die Frage, sind die Ziele, die bekämpft werden, sogenannte militärische Ziele.
    Bis jetzt werden Stellungen der IS - und das sind nun mal militärische Ziele - angegriffen, oder auch Ölraffinerien. Ölraffinerien des Gegners sind auch militärische Ziele und insofern ist das nach den Regeln, die in einem internationalen Konflikt anwendbar sind, in Ordnung.
    Schulz: Sie sagen, das Völkerrecht, so wie es aufgestellt ist, das reicht auch?
    Bothe: Das reicht auch, wenn man es sorgfältig genug und den Tatsachen angemessen anwendet.
    Schulz: Der Frankfurter Völkerrechtler Professor Michael Bothe heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank!
    Bothe: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.