Donnerstag, 18. April 2024

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Maas-Reise in den Nahen Osten
Israel-Experte: "Der Konflikt wird auch medial geführt und verkauft"

Israel-Experte Peter Lintl rechnet damit, dass in den nächsten Tagen eine Waffenruhe im Nahen Osten zu sehen sein wird. An Bundesaußenminister Heiko Maaß wundere ihn, dass dieser seine Reise und nicht eine konzertierte Aktion mehrerer Staaten in den Mittelpunkt stelle, sagte er im Dlf.

Peter Lintl im Gespräch mit Bastian Brandau | 20.05.2021
Israeli Foreign Minister Gabi Ashkenazi, right, and his German counterpart Heiko Maas attend a press conference at the Ben Gurion Airport near Tel Aviv, Israel Thursday, May 20, 2021. (Abir Sultan/Pool Photo via AP)
Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) bei einem Treffen mit seinem israelischen Amtskollegen Gabi Ashkenazi ( picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Abir Sultan)
Wer kann vermitteln im Nahen Osten? Informelle Verhandlungen laufen, so ist zu hören, doch ohne Ergebnisse bisher. Auch die USA halten sich zurück. Zuletzt hatte US-Präsident Biden Druck auf den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu ausgeübt, in Richtung einer Waffenruhe zu deeskalieren. Der deutsche Außenminister Heiko Maas (SPD) ist am Donnerstagmorgen (20.05.2021) in Israel eingetroffen und will Vertreter beider Seiten treffen.
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Beim Besuch von Außenminister Maas frage er sich, warum das nicht konzertierter geschieht, sagte Peter Lintl, Leiter der Forschungsgruppe Israel bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, im Deutschlandfunk. "Man könnte hier das Nahost-Quartett nennen, bei dem die UN ja dabei sind. Man könnte von deutscher Seite auch das sogenannte München-Format nennen, in dem Frankreich, Deutschland, Ägypten und Jordanien sitzen", sagte der Politikwissenschaftler. Offensichtlich gebe es hier aber einige Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Akteuren.

Bastian Brandau: Heiko Maas in Nahost heute – was kann der Außenminister dort erreichen?
Peter Lintl: Was Heiko Maas persönlich erreichen kann, ist natürlich die Frage. Es ist ja schon spekuliert worden, ob die nächsten Tage ein Waffenstillstand tatsächlich eintreten wird. Dazu kann er mit Gesprächen vielleicht etwas beitragen. Aber die genaue Zielsetzung von Heiko Maas und seiner Reise ist etwas unklar. Er spricht ja auch "nur" mit dem Außen- und dem Verteidigungsminister in Israel, dann mit Präsident Abbaus. Mit der Hamas, mit einer der beiden Konfliktparteien, spricht er nicht, weil Deutschland und auch die USA nicht mit der Hamas sprechen wird. Es ist gut, dass er da ist. Es ist gut, dass er Gespräche führt. Wie viel genau er dazu beitragen kann, auch vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Interessenslagen zwischen Israelis und der Hamas, ist noch etwas unklar.

"Mehr Public Diplomacy zeigen"

Brandau: Ist es eher ein symbolischer Besuch?
Lintl: Nicht nur! Ich bin ein bisschen ambivalent. Einerseits sehe ich durchaus den Sinn in diesem Besuch. Zum Beispiel kann er dazu beitragen, dass beide, wenn ich das mal so salopp sagen darf, das Gesicht wahren können, die Hamas und Israel, und diesen Besuch als Anlass nehmen, dass sie sagen, okay, wir lassen jetzt die Waffen schweigen, weil mittlerweile schon sehr viel öffentlich verhandelt wird. Zudem ist es wichtig, dass die Europäer und Deutschland auch mehr Public Diplomacy zeigen. Aber worauf eher genau hinwirken kann, wie viel Druck er auch ausüben kann, das scheint vor der aktuellen Sachlage etwas unklar. Er bestärkt ja auch Israel in dem Recht – natürlich hat Israel das Verteidigungsrecht, das ist klar -, aber er sagt ja auch nicht, dass Israel sofort aufhören müsste mit dem Waffengang. Daher bin ich mir da etwas unsicher.
Brandau: Public Diplomacy auch als Teil der EU. Wer könnte da vermitteln? Die Rede war zum Beispiel auch gerade wieder von Ägypten und den Vereinten Nationen, die bisher ja auch noch keinen gemeinsamen Nenner gefunden haben.
Lintl: Genau, und das ist auch eine Frage. Auch der Bundespräsident hat sich ein bisschen kritisch hinsichtlich des Besuches von Außenminister Maas geäußert, warum das nicht konzertierter geschieht. Man könnte hier das Nahost-Quartett nennen, bei dem die UN ja dabei sind. Man könnte von deutscher Seite auch das sogenannte München-Format nennen, in dem Frankreich, Deutschland, Ägypten und Jordanien sitzen, und Ägypten hat ja einen guten Draht zur Hamas. Ich wundere mich etwas, warum das öffentlich nicht konzertierter geschieht, warum unser Außenminister hier seinen Besuch ins Zentrum stellt und nicht eine konzertierte Aktion mit anderen Staaten.
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Brandau: Was könnten die Gründe sein, dass das nicht öffentlicher kommentiert wird oder in die Öffentlichkeit gestellt wird?
Lintl: Das weiß ich, ehrlich gesagt, nicht. Offensichtlich gibt es hier einige Meinungsverschiedenheiten zwischen den einzelnen Akteuren, die ich nicht genau beziffern kann. Warum das nicht mehr in den Vordergrund gerückt wird, das frage ich mich auch. Ich weiß es nicht genau.

Warum die Israelis reagieren mussten

Brandau: Was würden Sie denn sagen? Was macht eine Vermittlung in der derzeitigen Lage offenbar so schwierig?
Lintl: Der Punkt ist der, dass es ja keine genau definierten Ziele insbesondere der Israelis gibt. Was die Hamas gemacht hat, war ja eine einmalige Sache oder eine Neuheit. Sie hat Israel ein Ultimatum gestellt, dass sie sich in bestimmten Gebieten mit ihrer Polizeipräsenz aus Jerusalem zurückziehen sollen, und das war natürlich ein Affront für die Israelis. Das Ultimatum hat die Hamas mit Raketenbeschuss begonnen; das war ein Affront. Daraufhin mussten die Israelis reagieren. Zunächst mal sind natürlich die klassischen militärischen Ziele, die Raketen zu dezimieren, auch die unterschiedlichen Kader, die Führungskader der Hamas zu dezimieren. Darüber hinaus wird aber der Konflikt jetzt natürlich auch öffentlich geführt: Wer kann einen Sieg behaupten am Ende? Das scheint mir noch etwas unklar auf der israelischen Seite, wie die Israelis jetzt einen Sieg verkaufen können, und darum erscheint es meines Erachtens jetzt zu gehen, wie kann man sich aus dieser Konfliktlage zurückziehen und sagen, jawohl, wir haben genug getan, wir haben einen Sieg errungen. Das scheint mir die konkrete Herausforderung im Moment zu sein.
Brandau: Ein Sieg, den man verkaufen könnte, auch anlässlich einer Waffenpause, einer Waffenruhe, eines Waffenstillstandes. Sie haben eben die Ziele Israels angesprochen, dort Infrastruktur zu zerstören und Hamas-Anführer letztendlich zu töten. Israelische Medien zitieren heute das Hamas-Führungsmitglied Mussa Abu Marzuk: "Ich denke, dass es in den nächsten zwei Tagen wahrscheinlich eine Waffenruhe geben wird. Gott weiß, wann die Vermittler eine Einigung erzielen können." – Wer hat im Moment welches Interesse an einer Waffenpause, die wie schnell kommen sollte?
Lintl: Wie gesagt, offensichtlich scheint die Hamas Interesse an einer Waffenpause zu haben. Ich glaube auch, dass die Israelis ein Interesse an einer Waffenpause haben. Nur der richtige Spin fehlt noch. Das ist mein Argument. Was diese Waffenpause verhindern kann ist, dass entweder die Israelis oder die Palästinenser noch Ziele treffen, aus Versehen Ziele treffen, die enorm viele zivile Opfer fordern. Das würde natürlich jede Waffenpause zunichtemachen. Aber eigentlich rechne ich auch damit, dass in den nächsten Tagen eine Waffenpause zu sehen ist.

Konflikt mit psychologischer Dimension

Brandau: Das ist ja die Frage. Sie sprechen von Spin, worum es sicherlich auch geht. Aber es geht natürlich auch um Menschenleben, um Zerstörungen, um eine dauerhafte Lösung.
Lintl: Nein, natürlich! Um Gottes Willen, verstehen Sie mich nicht falsch. In diesen kriegerischen Auseinandersetzungen leiden Menschen, werden Menschen getötet. Das ist vollkommen klar. Die Frage dieser Auseinandersetzung darf man nicht aus den Augen verlieren. Nur wie ich eben gesagt habe: Dieser Konflikt wird auch medial geführt und medial verkauft, und das ist auch psychologisch wichtig, auch im Spiel zwischen Israel und der Hamas, wie können beide Seiten nach innen und nach außen einen Sieg verkaufen. Das hat eine psychologische Dimension, die man neben der ganzen Tragik und dem Leid, was in diesem Geschehen passiert, nicht vergessen darf. Das wollte ich damit sagen.
Brandau: Das wollte ich Ihnen auf keinen Fall unterstellen. Aber die Frage ist: Es ist eine Abwägung der Innenpolitik vor allem auf Seiten Israels als stärkerem Kontrahenten, wenn man das so will. Dort ist die innenpolitische Situation ja seit Jahren problematisch. Es gibt nach mehrfach wiederholten Wahlen keine dauerhaften Mehrheiten.
Lintl: Das ist richtig. Ich nehme an, Sie zielen darauf ab, dass Netanjahu natürlich von der aktuellen Auseinandersetzung profitiert. Er profitiert dahingehend, dass letzte Woche eine Koalition zustande hätte kommen sollen, die Netanjahu abwählt – eine Koalition mit Unterstützung einer arabischen Partei. Das hat sich jetzt erst mal zerschlagen und es sieht nicht so aus, als ob diese Koalition zustande kommen wird. Damit will ich nicht sagen, dass Netanjahu diesen Konflikt mutwillig herbeigeführt hat. Auf gar keinen Fall! Manche Medien in Israel spekulieren jetzt, dass er das Ende hinauszögert. Das ist ein bisschen schwer zu beurteilen. Das weiß ich nicht genau. Auf dieses Glatteis will ich mich auch nicht unbedingt begeben. Er profitiert sicherlich vom Konflikt innenpolitisch derzeit, aber er war kein Kriegstreiber, wie es jetzt aussieht. Das ist Spekulation, wie es die nächsten Tage wird. Das will ich eigentlich nicht beantworten.
Brandau: Aber die Frage ist, ob der innenpolitische Druck so hoch sein könnte, dass es zu einer Feuerpause kommen müsste.
Lintl: Der innenpolitische Druck in Israel? – Nein, der ist nicht so groß. Noch nicht! Im Gegenteil! – Die Unterstützer Netanjahus stehen ja noch rechts von Netanjahu und die haben in der Vergangenheit oftmals gefordert, dass man die Hamas komplett besiegen sollte. Das ist nicht mal das Ziel der aktuellen Kriegshandlungen, auch nicht das strategische Ziel des israelischen Militärs. Im Moment sehe ich nicht, dass der innenpolitische Druck auf Netanjahu so groß ist, dass die Kriegshandlungen eingeschränkt werden können. Im Gegenteil: Es wird noch ein Einverständnis ausgehandelt. Das Militär sagt, was man hört, eigentlich wären wir jetzt soweit, dass man sagen könnte, es reicht. Die Politik sagt vielleicht, wir sollten noch etwas weitergehen und noch weitere Raketen, noch weiteres Militärgerät zerstören. Noch sehe ich nicht, dass das auf sehr Widerstand innenpolitisch stößt.
Brandau: Kommen wir noch auf den außenpolitischen Druck, der ja aus den USA von Präsident Biden kommt, der sich da ganz anders geäußert hat als Donald Trump früher, auch als andere Präsidenten. So würde ich das einordnen. Welchen Druck bauen die USA auf? Welche Rolle spielen sie?
Lintl: Zögerlichen Druck, würde ich sagen. Die USA spielen natürlich eine sehr große Rolle, weil sie de facto der einzige Staat sind, die Druck auf Israel ausüben können. Das ist einfach so. Bis dato haben die USA jetzt mehrere Resolutionen im Sicherheitsrat verhindert mit ihrem Veto, die zur Waffenruhe aufgerufen haben. Jetzt, was man die letzten Tage sieht, scheint es so zu sein, dass Biden den Druck auf Netanjahu langsam erhöht. Vielleicht sagt er ihm auch - das ist Spekulation -, dass wir dieses Veto nicht mehr lange aufrechterhalten. Das weiß ich nicht. Aber alles, was man in den Medienberichten lesen kann und was man hört, ist, dass dieser Druck von Biden größer wird. Das heißt, auch dahingehend scheint es wahrscheinlicher zu sein, dass wir in den nächsten Tagen eine Waffenruhe sehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.