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Machtkampf in Venezuela
Guaidó kämpferisch, Versorgungslage schlechter

Festnahme oder Entführung drohen Oppositionsführer Juan Guaidó nach dem Verlust seiner Immunität. Viele Venezolaner unterstützen ihn weiterhin. Doch je dramatischer die Versorgungslage wird, desto weniger haben die Menschen Zeit zu demonstrieren. Rufe nach einer radikalen Lösung werden lauter.

Von Burkhard Birke |
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht zu seinen Unterstützern
Der selbsternannte venezolanische Interimspräsident Juan Guaidó spricht zu seinen Unterstützern (AFP/ Federico Parra)
"Sie werden uns nicht aufhalten: Trotz all ihrer Drohungen, trotz all der Einschüchterungen."
Kämpferisch und entschlossen zeigte sich Oppositionsführer Juan Guaidó vor seinen Anhängern nur Stunden nachdem die verfassungsgebende Versammlung seine Immunität aufgehoben hatte. Seine Devise lautet: Jetzt erst Recht.
Seit er sich am 23. Januar zum Präsidenten erklärte, weil die Opposition die Wahl Nicolas Maduros nicht anerkennt, war Guaidó sich des Risikos bewusst. Wegen Annahme ausländischer Gelder, sprich Korruption, und wegen Anstiftung zum Aufruhr soll dem Präsidenten der von Maduro entmachteten Nationalversammlung der Prozess gemacht werden. Jetzt droht ihm die Festnahme oder Entführung: Das gleiche Schicksal, das seinen Bürochef unlängst ereilte.
Mit jeder Stunde Stromausfall wächst die Wut
"Man muss doppelt so viel Mut aufbringen, um unbewaffnet hierherzukommen, unsere Waffen sind die Verfassung, die Vernunft, die Wahrheit und unsere Leute. Die Operation Freiheit läuft!"
Rief Guiadó trotzig seinen Anhängern zu – und mit jeder Stunde Stromausfall und Wasserknappheit wächst die Unterstützung für Guaidó und die Kritik an Präsident Nicolas Maduro.
"Maduro raus!", rief die wütende Menge letztes Wochenende. Tagelang war wieder der Strom ausgefallen. Das bedeutete massive Störungen im Telefon- und Handynetz, beim Internet, im öffentlichen Nah – und beim Zahlungsverkehr, bei der Versorgung mit Benzin und Lebensmitteln. Erst seit Mittwoch dieser Woche unterrichten die Schulen wieder. Geschäfte und Büros blieben geschlossen.
Verzweiflung über akuten Wassermangel
Das Schlimmste freilich ist der akute Wassermangel. Selbst in der Hauptstadt Caracas gab es in vielen Vierteln mehr als zehn Tage kein fließendes Wasser. Verzweifelt suchen die Menschen irgendwo nach dem kostbaren Nass: In der Kloake des Guaireflusses oder stehen stundenlang an den Hängen des Bergs Avila Schlange, um ein paar Kanister zu füllen.
"Unser Land ist pleite. Das Volk hungert. Es gibt keine Medikamente. Uns geht es sehr schlecht".
"Seit einem Monat gibt es kein Wasser und keinen Strom, nichts zu essen, nichts kann gekühlt werden, weil es keinen Strom gibt."
"Die Liebe meines Lebens, die Mutter meiner Tochter ist gestorben, weil sie ihr im Krankenhaus nicht geholfen haben, weil es ein Medikament nicht gab. Alles nur weil diese Kriminellen an der Regierung sind. Sie bringen uns um: Es gibt nichts zu essen und keine Medizin. Ich habe jetzt keine Angst mehr: Maduro mach auch mit mir, was Du willst."
Maduro beschuldigt die USA und die Opposition
Maduro will zunächst die Notbremse ziehen. Denn seit dem ersten massiven Black out Anfang März gelingt es der Regierung einfach nicht, das Land mit Strom und Wasser zu versorgen. Der amtierende Präsident im Fernsehen:
"Er habe einem Plan zugestimmt, 30 Tage lang die Erzeugung und Verteilung von Elektrizität zu verwalten."
Und wie schon in den vorangegangenen Erklärungen wies er die Schuld an der Misere der amerikanischen Regierung und der Opposition zu.
Einst exportierte Venezuela Strom nach Kolumbien und Brasilien. Jetzt durchlebt das Land die schlimmste Elektrizitätskrise seiner Geschichte – infolge von Missmanagement, wie Oppositionsführer Guaidó vor Anhängern betonte.
"100 Milliarden Dollar gab es für Stromerzeugung und heute gibt es keine Elektrizität. Das Geld haben sie gestohlen! Nur an sechs Tagen gab es im März Unterricht, nur an neun wurde gearbeitet. Das Regime weiß, dass es verloren hat, das Regime weiß, dass es nicht die Lösung ist. Wir bringen die Lösung mit dem Plan Pais, unserem Entwicklungsplan bringen wir Strom und Wasser und unsere Familienangehörigen wieder zurück."
Aus der Kabinettsumbildung wurde nur ein Stühlerücken
Tritt Maduro zurück, kommt es zu einer Übergangsregierung mit dem Ziel freier Wahlen, so könnten wieder internationale Gelder fließen – so das Grundkalkül der Opposition. Dreieinhalb Millionen Venezolaner mehr als ein zehntel der Bevölkerung - haben das Land bereits verlassen. Mit der akuten Not werden es täglich mehr. Und was tut die Regierung?
Den Energieminister hat Maduro gefeuert, ein neues Ministerium für Wissen wurde geschaffen. Ansonsten ist aus der am 17. März groß angekündigten Kabinettsumbildung nur ein Stühlerücken der immer gleichen vertrauten Gesichter geworden. Offenbar will man den Kreis der Geheimnisträger nicht ausweiten. Mit einem Plan Patria – einem undurchsichtigen Vaterlandsplan will man Abhilfe schaffen. Wie soll das gelingen?
Inflation könnten zehn Millionen Prozent erreichen
Das Wirtschaftswachstum hat sich in fünf Jahren halbiert, die Ölproduktion ist von 3,5 Millionen Fass pro Tag auf gut eine Million gefallen, die Inflation könnte laut IWF dieses Jahr zehn Millionen Prozent erreichen. Liegen bei Maduro die Nerven blank? Erstaunlich ist, dass es ihm noch immer gelingt, einen – wenn auch immer kleineren – Teil der Bevölkerung zu mobilisieren. Jene, die von einer neuen Regierung wohl nichts zu erwarten haben.
"Die rufen zum Hass auf, wir zur Liebe. Die rufen zum Krieg auf und wir appellieren täglich den Frieden zu bewahren."
"Als würdiges Vaterland bestimmen wir wen wir als Verbündeten betrachten, wer uns hilft den Frieden zu bewahren."
Rufe nach Militärintervention werden lauter
Das sind offenbar auch die Russen: Circa 100 russische Soldaten trafen unlängst ein. Außenminister Arreaza schloß dieser Tage nicht aus, dass weitere abzustoßen könnten.
Der Konflikt im erdölreichsten Land der Welt ist längst ein internationaler geworden. Je dramatischer die Versorgungslage wird, desto weniger haben die Menschen Zeit zu demonstrieren: Sie müssen Wasser und Nahrung beschaffen! Desto lauter werden aber auch die Rufe nach einer radikalen Lösung, nach einer Militärintervention.
"Lieber bekomme ich eine Kugel ab und sterbe statt in einem so reichen Land wie Venezuela zu verhungern."