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Männerschwarm Verlag wird 25
Qualitativ hochwertige schwule Literatur

Mitten in der Aidskrise der schwulen Community gründete sich 1992 der Männerschwarm Verlag - eigentlich als Sachbuchverlag, doch bald auch mit erzählerischer Literatur schwuler Autoren. Verleger Detlef Grumbach erklärt, warum diese Autoren auch im 21. Jahrhundert noch einen eigenen Verlag brauchen.

Von Christoph Schröder | 22.11.2017
    Detlef Grumbach, Mitgründer und heute noch Verleger des Männerschwarm Verlags für schwule Literatur, hier auf einer Literatur-Konferenz 2009
    Bei aller gesellschaftlichen Akzeptanz - das Interesse eines heterosexuellen Publikums an schwulen Lebenswirklichkeiten halte sich in Grenzen, sagt Detlef Grumbach, Mitgründer des Männerschwarm Verlags. (imago)
    Am Anfang stand eine Krise, wie so oft. Der Männerschwarm Verlag mit Sitz in Hamburg, hervorgegangen aus der mittlerweile geschlossenen gleichnamigen Buchhandlung, hat seine Wurzeln in dem, was Detlef Grumbach als "AIDS-Krise" bezeichnet.
    Die Krankheit, die die Welt Mitte der 80er-Jahre als ein Schock traf und durcheinander wirbelte, sorgte auch in der Schwulenszene für strukturelle Umschichtungen. Viele Aktivisten konzentrierten sich auf die Arbeit in sozialen Einrichtungen und in der AIDS-Hilfe. Was jedoch fehlte, war eine Öffentlichkeitsplattform, die Materialien, Diskussionsbeiträge und theoretische Fundamente lieferte. Als eine solche Institution begriff sich der Männerschwarm Verlag in seiner Anfangszeit im Jahr 1992, erzählt Mitgründer Detlef Grumbach:
    "Das Konzept war in erster Linie, einen Sachbuchverlag zu machen, der diese Diskussionen wieder ein bisschen anschiebt. Und das haben wir auch gemacht. In den ersten Jahren kam eine ganze Reihe schwulenpolitischer Sammelbände und Sachbücher, aber es kam auf diesen Aufruf "Schickt uns Manuskripte" eben auch literarische Manuskripte."
    Ralf König konnte hier sein "Bullenklöten" veröffentlichen
    Dann dauerte es nicht lange, bis Ralf König mit seinem Buch "Der bewegte Mann" zu einem Star der Comic-Szene wurde und damit auch ein heterosexuelles Massenpublikum erreichte. Zugleich aber hatte König auch das Bedürfnis, wie Detlef Grumbach es unumwunden ausdrückt, wieder einmal "die schwule Sau rauszulassen."
    An eine Veröffentlichung der diesem Bedürfnis entsprungenen Geschichte "Bullenklöten" war in einem Mainstreamverlag allerdings nicht zu denken. Also bot König das Werk dem Männerschwarm Verlag an, der sich in den Anfangszeiten noch MännerschwarmSkript nannte. Die Idee war, eine kleine Auflage ausschließlich für schwule Buchläden zu produzieren.
    Doch Königs Popularität machte größere Anstrengungen nötig: Die erste Auflage in Höhe von 3.000 Exemplaren war bereits vor Erscheinen fünffach ausverkauft; insgesamt ging das Buch mehr als 50.000 mal über die Ladentheke. Mit diesem Erfolg im Rücken und dem damit verbundenen finanziellen Polster konnte das Verlegerteam seine Aktivitäten ausweiten.
    "Hier findet Ihr literarische Zugänge zum Thema"
    Doch was genau ist das Konzept, das Grumbach und sein Mitverleger Joachim Bartholomae verfolgen? Worum geht es ihnen? Was kann dezidiert schwule Literatur ausrichten?
    "Da komme ich auf das Thema Bindestrich-Literatur. 'Schwule Literatur' ist ja eigentlich Blödsinn. Es ist genauso Blödsinn wie Frauen-Literatur oder Arbeiter-Literatur oder Arbeitslosen-Literatur oder Friedens-Literatur. Die Themen waren da, bevor es diese Literaturen gab. Aber es passiert immer, wenn ein Thema nach oben gespült wird in Verbindung mit einer sozialen Bewegung, dass plötzlich der Fokus darauf gerichtet wird. Und der Bindestrich sorgt für zwei Signale: Er sorgt zunächst einmal für die Gruppe, die sich um das Thema kümmert: Leute, guckt hierhin, hier geht es um Euch. Er signalisiert aber auch der breiten Leserschaft: Wenn Ihr Euch für dieses Thema interessiert, schaut hierhin; hier findet Ihr literarische Zugänge zu dem Thema."
    Schwule Literatur hat es bei Publikumsverlagen schwer
    Hinzu kommt, dass die großen Publikumsverlage nach Grumbachs Erfahrung nach wie vor eine große Hemmschwelle haben, schwule Literatur zu verlegen. Er erzählt vom Roman eines schwulen israelischen Autors, den ein großer deutscher Verlag in Lizenz eingekauft habe, als Katze im Sack sozusagen. Als dann die deutsche Übersetzung vorgelegen habe, habe die Verlagsleitung einen Rückzieher gemacht – der Roman landete beim Männerschwarm Verlag, der ihn dann veröffentlichte. Dies sei, so Detlef Grumbach, bis heute kein Einzelfall:
    "Diese Linie zieht sich eigentlich durch die Verlagsgeschichte durch, denn man kann sich ja wirklich fragen: Warum muss es im Jahr 2017 noch einen schwulen Verlag geben? Wir können sagen, die Antwort ist ganz einfach: Weil es immer noch wichtige, gute Bücher gibt, die kein anderer macht."
    Heteros zeigen kaum Interesse an schwuler Lebenswirklichkeit
    Der Männerschwarm Verlag will den Blick schärfen und den Fokus auf die Lebenswelten von Homosexuellen verschieben. Es sei ein Phänomen, sagt Grumbach: So sehr die Schwulenemanzipation fortschreite, so schnell die rechtliche Gleichstellung schwuler Partnerschaften akzeptiert sei – bei aller gesellschaftlichen Akzeptanz sei das tatsächliche Interesse der heterosexuellen Mehrheit für die speziellen Probleme der schwulen Alltagswirklichkeit so gut wie nicht vorhanden.
    Grumbach nennt explizit einen Autor wie Peter Rehberg, der im Männerschwarm Verlag bereits drei Bücher veröffentlicht hat und der sich mit Phänomenen wie Partnerschaftsstrukturen, Alterungsprozessen und spezifischen beruflichen Dispositionen auseinandersetzt:
    "Was schwule Literatur auszeichnet ist, dass die Autoren sich mit derselben gesellschaftlichen Wirklichkeit, mit der Lebensrealität auseinandersetzen, in der auch die potentiellen Leser sich bewegen. Es ist eine Gesellschaft, es sind Verhältnisse, die von Heterosexuellen für Heterosexuelle eingerichtet sind, und diese Heterosexuellen in ihrer Toleranz und Akzeptanz sehen eigentlich gar nicht ein, dass es überhaupt ein Problem sein könnte, sich in diesen Verhältnissen zu bewegen."
    Fiktion über Vladimir Nabokovs schwulen Bruder
    Doch es geht dem Männerschwarm Verlag um weit mehr als darum, Verhältnisse bewusst zu machen und offen zu legen. Es geht auch darum, qualitativ hochwertige Literatur aufzuspüren und zugänglich zu machen. Ein Buch, auf das Grumbach im Jubiläumsjahr mit besonderem Stolz hinweist, ist beispielsweise der Roman des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Paul Russell: In "Das unwirkliche Leben des Sergej Nabokov" erzählt Russell die fiktive Biografie des jüngeren Bruders des berühmten Vladimir Nabokov. Sergej, der schwule, stotternde Sonderling, führte ein Leben zwischen Boheme und Repression und starb 1945 im Konzentrationslager Neuengamme.
    Eine andere wichtige Neuerscheinung des Jahres ist die Erzählung "Missouri" von Christine Wunnicke. Wunnicke, die 2015 mit ihrem Roman "Der Fuchs und Doktor Shimamura" auf der Longlist des Deutschen Buchpreises stand, holt in ihrem Western im Grunde das nach, was Karl May bei Winnetou und Old Shatterhand vergessen hat – eine schwule Liebesgeschichte in Cowboykulissen zu erzählen.
    Mainstream-Literatur bis heute voller "Alibi-Schwuler"
    Was nach Detlef Grumbachs Erfahrung die Figurenzeichnung in der schwulen Literatur von der der nichtschwulen Literatur unterscheidet, ist das Bewusstsein für eine differenzierte Darstellung. Grumbach illustriert seine Beobachtung an einem Beispiel aus einem Erfolgsroman des vergangenen Jahres:
    "Juli Zeh, 'Unterleuten'. Wenn ich Ihnen jetzt sage, da gibt es eine schwule Figur, dann werden Sie mit den Achseln zucken und sagen: Wer soll das denn sein? Ja, und da ist dann diese Versammlung in der Kneipe, wo das ganze Dorf versammelt ist und der Bürgermeister da vorne sitzt und guckt, wer alles da ist, dann ist eben auch der schwule Rechtsanwalt aus Dresden gekommen. Das muss doch bei dem etwas auslösen. Aber es bleibt bei diesem Satz."
    "Alibi-Schwule", so nennt Detlef Grumbach Charaktere in derartigen Zusammenhängen. Figuren, die nichts auslösen, aber da sein müssen, weil der moderne Gesellschaftsroman das erfordert. Er klage nicht, so hat Detlef Grumbach es vor rund 15 Jahren in einer Rede formuliert, er beschreibe lediglich eine Situation. Es hat den Anschein, als habe sich diese Selbstbeschreibung als Existenzberechtigung des Männerschwarm Verlags bis heute noch nicht erledigt.