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Männliche Küken
Getötet für den Profit

Sie werden aussortiert, vergast oder zerhäckselt: Rund 50 Millionen Küken werden in Deutschland bereits kurz nach der Geburt getötet und das nur, weil sie männlich sind. Nordrhein-Westfalen will mit einem Tötungsverbot als erstes Bundesland die Brütereien zum Umdenken zwingen. Doch auch die Verbraucher sind gefordert.

Von Mirjam Stöckel | 03.01.2015
    Ein wenige Stunden altes Küken sitzt im Brutkasten zwischen anderen und noch nicht geschlüpften Küken.
    Männliche Küken sind für die Legehennenindustrie wertlos und werden kurz nach der Geburt getötet. (dpa / Pavel Nemecek)
    "Ich nehme hier jetzt ein Ei raus. Und dann haben wir die Möglichkeit, mit einer sogenannten Schierlampe in das Ei reinzuleuchten."
    Vorsichtig holt Inga Günther ein weißes Hühnerei aus dem hölzernen Brutschrank. An dessen Kalkschale legt sie eine taschenlampenähnliche Leuchte und schaltet sie ein. Jetzt kann die junge Frau prüfen, ob das Ei befruchtet ist: Durch die Schale hindurch zeichnet sich nämlich das Eigelb kreisförmig ab. Inga Günther entdeckt den Keim darin.
    "Wir sehen einen minimal kleineren, helleren Schimmer auf dem Dotter selber. Das liegt daran, weil der Keim so klein ist, dass man den fast noch nicht erkennen kann. Aber später, wenn die Küken sich gut entwickelt haben, wie kann man sehen, wie sich der Embryo da drin bewegt. Das ist wie ein Ultraschall eigentlich."
    Inga Günther - 27 -, in Jeans und erdverschmierten braunen Stiefeln, die dunklen Haare im Nacken zusammengenommen - legt das Ei behutsam zurück in den Brutschrank. 200 Küken werden hier in 18 Tagen schlüpfen. Jedes Tier erfüllt einen Zweck: Die Hennen legen die Eier, die Hähne werden gemästet. Geflügelhalter nennen solche Tiere "Zweinutzungsrassen". Inga Günther gibt alle Küken lebendig an einen Landwirt weiter.
    Damit unterscheidet sich der kleine Zuchtbetrieb in Überlingen am Bodensee grundlegend von den großen, kommerziellen Legehennen-Brütereien: Die nämlich verkaufen nur die weiblichen Küken lebendig; die männlichen dagegen werden kurz nach dem Schlüpfen getötet. Weshalb man diese Tiere im Branchenjargon "Eintagsküken" nennt.
    Als erstes Bundesland will Nordrhein-Westfalen diese Praxis stoppen. Der grüne Landwirtschaftsminister Johannes Remmel hat vor gut einem Jahr ein Verbot erlassen, wonach die Brütereien ab Anfang des Jahres keine Hähnchen mehr töten dürfen – ansonsten drohen Strafzahlungen. Remmels Staatssekretär Peter Knitsch:
    "Wir verbieten das deshalb, weil wir zum einen davon ausgehen, dass das Töten männlicher Eintagsküken rechtswidrig ist, mit dem Tierschutzgesetz – das grundsätzlich einen vernünftigen Grund beim Töten von Tieren verlangt – nicht in Übereinstimmung steht. Darüber hinaus halten wir es aber auch unter ethischen Gründen nicht für gerechtfertigt, verzeihen Sie den Ausdruck, geradezu für pervers, dass also Tiere, Mitgeschöpfe, Lebewesen unmittelbar nach der Geburt getötet werden, nur weil man sie nicht wirtschaftlich aufziehen kann."
    Nutzlos und zu teuer
    Tatsächlich verspricht die Aufzucht der männlichen Küken der Branche keinen Profit. Eierlegen können sie naturgemäß nicht. Sie zu mästen, lohnt sich ebenfalls nicht, denn sie setzen genetisch bedingt viel weniger Fleisch an als Masthähnchen.
    Das Gros der Verbraucher will heutzutage vor allem Hähnchenbrust essen. Die kommerzielle Hühnerzucht hat sich seit den 1960er-Jahren dann auch in zwei hoch spezialisierte Linien gesplittet: Gezüchtet und aufgezogen werden Turbo-Rassen zur Eierproduktion oder Turbo-Rassen zur Fleischproduktion. Legehennen bringen es heute auf mindestens 300 Eier pro Jahr; die Tiere zur Mast auf etwa zwei Kilo Fleisch in gerade mal fünf, sechs Wochen. Beides gleichzeitig – enorm viele Eier und enorm viel Fleisch – schafft keine Rasse.
    Nutzlose männliche Küken aufzuziehen wäre also ein Zuschussgeschäft, das sich kein Betrieb leisten kann. Denn in der Branche ist der Preisdruck groß: Viele Verbraucher sind nämlich nicht bereit mehr als 99 Cent für den Zehner-Karton Eier auszugeben. Und weil Hahnenküken keinen Profit versprechen, werden jährlich allein in Deutschland zwischen 40 und 50 Millionen Tiere getötet.
    In einem Supermarkt stehen abgepackte Eier in einem Regal.
    Verbraucher wollen ungern mehr als 99 Cent für Eier ausgeben. (Imago / Jochen Tack)
    Ethik versus Profit
    Mit dem Tötungsverbot will Nordrhein-Westfalen die hier ansässigen Brütereien nun zum Umdenken zwingen. Staatssekretär Knitsch:
    "Das Töten männlicher Eintagsküken, weil sie wertlos sind, weil sie keinen Nutzen mehr haben, ist letztlich Ausdruck eines hoch industrialisierten, nicht mehr angepassten Systems von Landwirtschaft, das letztlich nicht nur ethisch verwerflich ist, sondern auch den Menschen auf Dauer keinen Nutzen bringt. Und davon müssen wir wegkommen."
    Einen völligen Systemwandel wird der nordrhein-westfälische Alleingang jedoch nicht bewirken. Denn die im Bundesland ansässigen Brütereien töten mit rund fünf Prozent lediglich einen verschwindend geringen Anteil aller Eintagsküken. Trotzdem ist von Wettbewerbsverzerrung die Rede. Die elf betroffenen Brütereien fühlen sich der Konkurrenz in anderen Bundesländern und im Ausland gegenüber im Nachteil.
    Doch Interviews lehnen sie ab. Und auch der Zentralverband der deutschen Geflügelwirtschaft will sich vor dem Mikrofon nicht zur Eintagsküken-Problematik äußern - allen Bekenntnissen auf seiner Internetseite zum Dialog mit dem Verbraucher zum Trotz. Lediglich schriftlich teilt der Verband mit: Ein generelles Tötungsverbot zum jetzigen Zeitpunkt werde
    " ... die betroffenen Betriebe vor erhebliche Probleme stellen, und diese Problematik lediglich in andere Länder verlagern."
    Gegen das Tötungsverbot haben die betroffenen Brütereien Klage bei den zuständigen Verwaltungsgerichten eingereicht. Im Kern geht es bei den Verfahren um die Frage, ob es im Sinne des Tierschutzgesetzes einen "vernünftigen Grund" dafür gibt, die Hähnchen zu töten. Oder eben nicht. Der Zentralverband der Geflügelwirtschaft schreibt dazu:
    "Zum jetzigen Zeitpunkt liegt ( ... ) aus Sicht der Branche für die bisherige Praxis ein vernünftiger Grund im Sinne des Tierschutzgesetzes vor. So werden die getöteten Eintagsküken nicht arglos entsorgt – wie häufig fälschlich behauptet wird – sondern in Deutschland als Spezial-Tierfutter beispielsweise für Reptilien verwendet, die auf derartige Nahrung angewiesen sind."
    Ob die Richter diese Auffassung teilen, wird erst in einigen Monaten, vielleicht Jahren feststehen. Im Düsseldorfer Landwirtschaftsministerium hält man es sogar für möglich, dass der Streit um das Tötungsverbot erst vom Bundesverwaltungsgericht entschieden wird. Weil die Klagen der Brütereien aber aufschiebende Wirkung haben, kann das vom Ministerium verfügte Tötungsverbot noch nicht zum 1. Januar 2015 in Kraft treten.
    Vergast oder zerhäckselt
    Millionenfach flauschige Küken zu töten, ist heikel. Und könnte PR-technisch zum Desaster werden, wenn die Öffentlichkeit Details darüber erfährt. Die Unternehmen wissen das und halten sich deshalb bedeckt. Doch es gibt Filmaufnahmen, die die Tierschutzorganisation KAG Freiland in einer Schweizer Brüterei drehen durfte – unter der Bedingung, dass der Name des Betriebs geheim bleibt. Diese Bilder zeigen, wie das systematische Töten der Eintagsküken im Prinzip funktioniert:
    Kaum haben sich die Küken von der Eierschale befreit, kaum ist ihr Gefieder getrocknet, werden sie in dieser Brüterei nach Hähnen und Hennen sortiert. Das erledigen speziell auf die Erkennung des Geschlechts ausgebildete Mitarbeiter, die sogenannten Sexer. In Sekunden erkennen sie die Hähne an ihrem helleren Gefieder und setzen sie in orangefarbene Körbe. Diese Körbe schieben sie in eine Art Schrank und verriegeln dessen Tür.
    Dann wird ein Gashahn aufgedreht. Etwa 30 Sekunden dauert es, bis keines der Hähnchen im Schrank mehr zuckt.
    Auch hierzulande werden Hahnenküken in speziellen Vorrichtungen mit Kohlendioxid erst betäubt, dann erstickt. Laut der Schlachtverordnung der Europäischen Union dürfen die noch lebenden Tiere auch in Maschinen mit rotierenden Messern geworfen werden. Homogenisatoren heißen diese Maschinen, weil sie die Küken zu einer einheitlichen Masse zerkleinern. Homogenisatoren waren hierzulande jahrelang Standard, mittlerweile sind sie – das sagen Branchenkenner – höchstens noch die Ausnahme.
    Michel Courat arbeitet bei der Tierschutzorganisation Eurogroup for Animals in Brüssel. Der ehemalige Amtstierarzt beobachtet seit Jahren, was die Europäische Kommission und das EU-Parlament in Sachen Eintagsküken unternehmen. Sein Fazit: Von den Vorschriften in der EU-Schlachtverordnung einmal abgesehen – nichts.
    "Auf politischer Ebene ist gar nichts passiert. Es hat keinerlei Entwicklung gegeben. Warum? Weil das Thema heikel ist – und es im Moment keine echte Alternative zu dem Hähnchen-Massaker gibt.
    Man kann ja schlecht auf EU-Ebene das Töten verbieten, wenn man keine Ersatzlösung vorschlagen kann. "
    Allerdings, kritisiert Courat, könnte die EU-Kommission durchaus eine Entwicklung anstoßen. Vorausgesetzt sie will das:
    "Würde man der Branche heute sagen: Ihr habt noch drei Jahre Zeit bis zu einem Tötungsverbot – ich bin sicher, wir hätten in drei Jahren Alternativen, die funktionieren. Doch dieses Risiko will die Kommission nicht eingehen, weil auch die Mitgliedsstaaten nicht gerade heiß darauf sind, ein solches Projekt zu unterstützen."
    Ein aus dem Lot geratenes System
    Aus Brüssel kann das rot-grün regierte Nordrhein-Westfalen also keine politische Rückendeckung erwarten. Wie hier die Klagen gegen das Tötungsverbot entschieden werden, beobachtet die Branche der Eierproduzenten gespannt. Denn von den Urteilen könnte Signalwirkung auch für andere Bundesländer ausgehen. Unabhängig von den juristischen Fragen - ethisch-moralisch ist das millionenfache Vergasen von frisch geschlüpften männlichen Küken in jedem Fall schwierig. Tierschützer halten das – wie sie es nennen - "Massen-Massaker an Eintagsküken" für einen Skandal innerhalb des Systems industrieller Agrarproduktion. Und selbst der Zentralverband der Geflügelwirtschaft räumt in seiner Stellungnahme ein:
    "Die deutsche Geflügelwirtschaft ist sich der Problematik der Tötung von männlichen Eintagsküken in der Eiererzeugung bewusst."
    Und auch Peter Knitsch, der Staatssekretär im NRW-Landwirtschaftsministerium, spricht von einem aus dem Lot geratenen System.
    "Das ist letztlich so, dass Tiere zu Sachen degradiert werden. Dass sie nicht anders behandelt werden als andere Produktionsgegenstände und Produkte in der industriellen Produktion auch. Und das ist nach unserem Dafürhalten eine vollkommene Fehlentwicklung in der Landwirtschaft. "
    Eine Fehlentwicklung, die mittlerweile selbst Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt von der CSU beenden will. Und auch in Niedersachsen, wo bundesweit die meisten Küken schlüpfen, hat das Landwirtschaftsministerium bereits 2011 einen Erlass herausgegeben, der das Kükentöten nur noch übergangsweise und unter strengen Auflagen erlaubt. Der Einsatz von Homogenisatoren etwa ist dort seitdem verboten. In Hessen hat die grüne Landwirtschaftsministerin Priska Hinz erst im September verfügt, dass die Großbrüterei das Töten von rund 15 Millionen männlicher Küken stoppen muss, sobald es eine wirtschaftlich praktikable Alternative dazu gibt. Ihr niedersächsischer Parteifreund Christian Meyer plant Ähnliches.
    Geschlechtsbestimmung schon im Ei
    Eine wirtschaftlich praktikable Alternative kann die genannte Geschlechtsbestimmung im Ei sein. Die Brütereien setzen große Hoffnungen auf diese neue Methode – und auf Maria Krautwald-Junghanns. Sie ist Direktorin der Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig. Gemeinsam mit Forschern aus Dresden arbeitet die Professorin an zwei Verfahren, Eier mit männlichen Embryonen früh zu erkennen und auszusortieren. Die Idee dahinter: Wenn Hahnenküken gar nicht erst schlüpfen, müssen die Brütereien sie auch nicht töten.
    Bei der einen Methode kommt die Spektroskopie zum Einsatz, ein spezielles bildgebendes Verfahren, um das Geschlecht der Hühner-Embryos zu bestimmen:
    "Wir machen also mit dem Laser ein kleines Loch in die Kalkschale, sehen dann die Gefäße, die kann man zum Beispiel mit Grünlicht noch besser darstellen, und dann kann man mit dem Infrarot-Ramon-Spektroskop dann diese Unterschiede in der DNA darstellen. "
    Diese Unterschiede verraten den Forschern, was im Ei wächst – Hahn oder Henne. Das Verfahren funktioniere bereits am dritten Bebrütungstag sehr zuverlässig und schnell, sagt Maria Krautwald-Junghanns. Auch schade es den Embryonen nicht. Sprich: Die Legehennen, die 18 Tage später schlüpfen, seien gesund. Und die aussortieren Eier könne man als Tierfutter etwa verwenden. Das zweite Verfahren "ist ein endokrinologisches, wo man Hormone untersucht. "
    Dazu entnehmen die Wissenschaftler dem befruchteten Ei ein wenig Flüssigkeit. Deren Analyse zeigt, welches Geschlecht der Embryo im Ei hat.
    Krautwald-Junghanns und ihr Team planen, bis zum Frühjahr 2017 für beide Methoden je einen sogenannten Demonstrator zu entwickeln. Diese sollen als Vorbilder für jene Geräte dienen, die später in Brütereien eingesetzt werden.
    In der Branche hofft man, in vier bis fünf Jahren mit zumindest einer der beiden Methoden arbeiten zu können. Über eine Million Euro kostet das Forschungsprojekt zur Geschlechtsbestimmung im Ei. Finanziert aus dem niedersächsischen Landwirtschaftsministerium sowie von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Und auch einer der beiden Weltmarkt-Führer in puncto Legehennen-Zucht bezuschusst das Projekt: das deutsche Unternehmen Lohmann Tierzucht in Cuxhaven.
    "Es ist natürlich wichtig, dass die Industrie am Tisch sitzt, weil wir wollen es ja in die Praxis umsetzen. Wir wollen ja keine Lösung am grünen Schreibtisch, die dann nicht akzeptiert wird. "
    Die Wissenschaftlerin ist zuversichtlich: Wenn die Geschlechtsbestimmung im Ei im großen Maßstab funktioniert, werde sie sicherlich auch akzeptiert.
    "Die Geflügelindustrie würde sich auf keinen Fall wehren. Wer will denn schon so kleine puschelige Küken töten? Wenn es eine Lösung gäbe, die kostenneutral oder die der Verbraucher akzeptiert, was die Kosten angeht, wäre die Industrie sofort dabei."
    Wie teuer die Geschlechtsbestimmung im Ei in der Praxis werden wird, ist offen. Auch diese Kosten wird die Branche sicherlich auf die Verbraucher umlegen. Es kann also sein, dass die Eier im Supermarkt teurer werden. Deshalb wolle sie eine möglichst günstige Lösung entwickeln, sagt Maria Krautwald-Junghanns. Nicht nur für Deutschland:
    "Wir wollen ja nicht nur deutschlandweit eine Akzeptanz erreichen, sondern möglichst auch in den großen Ländern, Asien, USA. "
    Zu teuer für kleine Betriebe
    Für viele in der Eier-Branche wäre die Geschlechtsbestimmung vor dem Schlupf die beste Lösung der Eintagsküken-Problematik. Denn sie lässt sich innerhalb der bestehenden Strukturen der industriellen Eierproduktion verwirklichen.
    Allerdings rechnen Fachleute aus der Geflügelbranche damit, dass sich nur große Brütereien die teuren Geräte leisten können – und es deshalb zu einer weiteren Konzentration der Betriebe kommen wird.
    Inga Günther, die junge Bio-Hühnerzüchterin vom Bodensee, hält die die Geschlechtsbestimmung im Ei für den falschen Ansatz. Diese verfestige die zentralisierten Strukturen in der Geflügelwirtschaft, kritisiert sie.
    "Jedes Ei, das zum Leben erwacht, soll die Möglichkeit bekommen, schlüpfen und leben zu dürfen. "
    Die junge Frau zieht ihren schwarzen Anorak ein bisschen enger um sich. Sie steht an einem Kükenaufzuchtstall auf dem Hofgut Rengoldshausen. Kurz nach ihrem Abschluss in Öko-Agrarwissenschaften hat sie mit einer Zweinutzungshuhn-Zucht begonnen, finanziert aus Vereins-, Stiftungs- und Forschungsgeldern. Auf der Wiese laufen und scharren etwa 40 weiße Hähne. Zwei picken Kerne aus einem halben Kürbis. Eine gewollte Idylle, die für die Hähne trotzdem irgendwann im Kochtopf endet.
    "Alles, was bei uns geschlüpft ist, darf auch bei uns leben. So verhält sich das eben auch mit diesen Tieren. (Hahn kräht.) Da hat jetzt schon einer gekräht. Die sind jetzt acht Wochen alt und bleiben bis zur 16. Woche noch hier – und landen dann im Hofladen. "
    Im Vergleich zu normalen Masthähnchen fressen und wachsen die Hähne von Inga Günther fast drei Mal so lange. Das hat seinen Preis: Das Kilo Zweinutzungshahn kostet 18,50 Euro, ein Ei 60 Cent: Preise für Idealisten, Inga Günther weiß das. Für Menschen, die bereit sind, für Fleisch und Eier viel zu bezahlen – und weniger davon zu essen. Produkte von Zweinutzungshühnern eignen sich nur für einen Nischenmarkt – und nicht für den deutschen Durchschnittsverbraucher: Denn der verzehrt über 200 Eier und knapp 12 Kilo Hähnchenfleisch jährlich. Zweinutzungsrassen können das massenhafte Eintagskükentöten also nicht beenden –, sondern nur außerhalb des industriellen Produktionssystems eine Alternative sein.
    Inga Günther geht ein paar Schritte zu den Ställen ihrer 90 Zuchthennen. Mit der Gewichtszunahme ihrer Hähne ist sie recht zufrieden. An der Legeleistung der Hennen muss sie noch arbeiten.
    "Wenn wir es schaffen, 240 Eier konstant bei jedem Tier zu erreichen – da wäre ich schon richtig glücklich damit. "
    Auch wenn das gut 60 Eier weniger wären als bei den spezialisierten Hochleistungsrassen. Seit zwei Jahren erst baut Inga Günther ihre Züchtung im Miniaturmaßstab auf und steht damit noch ganz am Anfang. Gerade Bio-Bauern bestellen schon jetzt mehr Hennen und Hähne bei ihr, als sie liefern kann, sagt sie. Denn viele Biolandwirte wollen von den großen Legehennen-Anbietern unabhängig werden.
    Es kommt auf den Verbraucher an
    Thomas Bayer ist ein solcher Landwirt. Sein Hof liegt in einem kleinen Weiler etwa 25 Autominuten vom Bodensee entfernt. Er hält nicht nur 1.500 herkömmliche Bio-Legehennen, sondern seit eineinhalb Jahren auch Zweinutzungstiere. Derzeit legen noch 45 Hennen bei ihm Eier. Die männlichen Tiere hat er 20 Wochen lang gemästet, dann geschlachtet und verkauft.
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    In einem Labor wird ein Ei untersucht. (Carmen Jaspersen dpa/lni)
    "Das waren 65 Hähne, die wir noch hatten zum Vermarkten – das war alles kein Problem. 65 Hähne ist eigentlich auch keine Zahl. Es wird interessant, wenn ich 500 Hähne verkaufen muss - dann wird es interessant, ob die Anzahl von Leuten noch zur Verfügung stehen, wo die alle brauchen und wollen."
    Er habe 20 Jahre lang mit dem systematischen Töten der Eintagsküken gehadert, erzählt der große, kräftige Mann mit kurzem, grauen Vollbart und grauen Haaren. Vor allem damit, dass er als Hühnerhalter selbst ein Teil des Systems sei. Die Zweinutzungstiere – für den Bauern sind sie der Weg aus seinem persönlichen Gewissenskonflikt. Jetzt muss er sich dafür nur noch einen Stamm an Kunden aufbauen.
    "Die sind durchaus bereit, auch einen höheren Preis zu bezahlen. Es dreht sich nur darum: Wie viele Leute sind bereit? Und deswegen versuchen wir mit unserer Zweinutzungsrasse zu wachsen. Wir haben jetzt 120 Tiere eingestallt gehabt. Den nächsten Durchgang im Frühjahr werde ich mit 250 Tieren machen. Und dann werden wir sehen, ob die Verbraucher auch mitgehen, ja. "