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Mais-Malheur

Der gentechnisch veränderte Mais NK603 wächst in mindestens sieben Bundesländern, obwohl die Sorte in Deutschland verboten ist. Viele Landwirte haben ein Saatgut erhalten, das mit NK603 verunreinigt war. Alexander Hissting von Greenpeace sagt, der eigentliche Skandal sei, dass man rechtzeitig von der Verunreinigung gewusst habe.

Alexander Hissting im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: NK603 – so heißt eine Maissorte, die im Labor gentechnisch verändert wurde, um sie widerstandsfähiger – zum Beispiel gegen Schädlinge – zu machen. Ihr Anbau ist in Deutschland verboten, und doch wächst der Genmais auf Feldern in sieben Bundesländern, weil eine Firma in Niedersachsen Saatgut lieferte, das mit dem Mais der Sorte NK603 verunreinigt war. Das Landwirtschaftsministerium in Hannover hat die Panne inzwischen eingeräumt, für ein Interview allerdings steht die zuständige Ministerin in Hannover nicht zur Verfügung und auch in den anderen betroffenen Ländern haben die verantwortlichen Politiker leider keine Zeit für ein Gespräch mit uns. Also halten wir uns an die, die den Stein ins Rollen gebracht haben, das ist die Umweltschutzorganisation Greenpeace. Deren Agrarexperte ist jetzt am Telefon. Einen schönen guten Morgen, Alexander Hissting!

    Alexander Hissting: Ja, schönen guten Morgen, Herr Barenberg!

    Barenberg: Herr Hissting, nach Ihren Recherchen sprechen Sie vom größten Gentechnik-Saatgut-Skandal in Deutschland. Warum?

    Hissting: Noch nie wurde so viel mit Gentechnik verunreinigter Mais in Deutschland auf die Felder ausgebracht, vor allem wissentlich ausgebracht, und das ist wirklich eigentlich auch der große Skandal, dass man rechtzeitig Bescheid wusste, aber das Saatgut nicht rechtzeitig zurückgezogen hat aus dem Handel.

    Barenberg: Welchen Vorwurf machen Sie den Behörden in Niedersachsen?

    Hissting: Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium hat eindeutig zu langsam reagiert. Sie haben nach eigenen Angaben fast zwei Monate gebraucht, um das Saatgut zu testen und dann hat es noch einmal über einen Monat gedauert, bis die Ergebnisse veröffentlicht wurden. Alle anderen Bundesländer, die auch ähnliche Tests gemacht haben, haben es geschafft, rechtzeitig das Saatgut zurückzuziehen vor der Aussaat, und das ist natürlich der richtige Weg, um eine weitere Ausbreitung auf dem Acker zu vermeiden und um die Kosten natürlich auch niedrig zu halten, aber das selbst ernannte Agrarland Nummer eins Niedersachsen schafft das anscheinend nicht.

    Barenberg: Sie haben Zahlen genannt, wie viel Hektar in Deutschland betroffen sind, 3000 Hektar sind es, soweit ich es weiß. Können Sie sicher sein, dass es dabei bleibt, oder können möglicherweise noch weitere Flächen betroffen sein?

    Hissting: Wir verlassen uns hier auf die Angaben des Umweltministeriums in Niedersachsen, die angegeben haben, dass Saatgut in einer Größenordnung verkauft wurde, das ausreicht, um 2000 bis 3000 Hektar zu bestellen. Ich gehe davon aus, dass es nicht mehr wird, das hoffe ich zumindest. In der Anzahl der Bundesländer kann sich natürlich noch etwas tun, weil bisher nur bekannt ist, in welche Bundesländer das Saatgut an den Landhandel verkauft wurde. Möglicherweise kaufen aber auch Landwirte in dem einen Bundesland und säen in einem anderen Bundesland aus, also, hier ... das ist noch nicht definitiv, aber ich glaube, die Hektarangabe von 2000 bis 3000 maximal, die sollte jetzt feststehen.

    Barenberg: Nun ist von einer Verunreinigung mit dem Genmais von 0,1 Prozent die Rede. Warum muss bei diesem geringen Anteil Ihrer Ansicht nach die gesamte Ernte vernichtet werden?

    Hissting: Wir haben ein gesetzlich festgelegtes Reinheitsgebot für Saatgut. Saatgut steht am Anfang der Lebensmittelproduktion. Wenn wir im Saatgut nicht aufpassen, dass eine Reinheit herrscht, dann können wir natürlich auch die Gentechnikfreiheit in Lebens- und Futtermitteln in der fortschreitenden Produktion nicht garantieren. Und 0,1 Prozent heißt immerhin, dass etwa 100 gentechnisch veränderte Pflanzen auf dem Hektar wachsen, das ist nicht zu vernachlässigen. Wenn dieser Mais zur Blüte käme, kann er sich natürlich auch auskreuzen auf Nachbarflächen und würde die Dimension des Skandals noch vergrößern.

    Barenberg: Nun sagt das Landwirtschaftsministerium in Hannover in Niedersachsen, der Mais sei unbedenklich, er wird in den USA angebaut, es gäbe dort keine Studien, die irgendeine Gesundheitsgefährdung belegen würden. Sind Sie da anderer Meinung?

    Hissting: Es gibt neuere Untersuchungen aus dem Ende 2009, die legen nahe, dass man eine Gesundheitsgefahr bei NK603 für Mensch und Tier nicht ausschließen kann. Allerdings muss ich auch ganz klar sagen, dass in diesem Fall, bei einer Verunreinigung von maximal 0,1 Prozent, sicherlich die ökonomische Gefahr für die Landwirte absolut im Vordergrund steht und weniger die Gesundheitsgefahr, zumal der Genmais auch nicht direkt von Menschen verzehrt werden wird.

    Barenberg: Mancherorts sollen die Felder, die betroffen sind, ja nun umgepflügt werden, der Mais vernichtet werden. In Brandenburg allerdings hat das Ministerium entschieden, dass es seine Bauern nicht dazu zwingen will, den Mais zu vernichten. Das ist also aus Ihrer Sicht auch keine problematische Entscheidung?

    Hissting: Doch, das ist unverantwortlich, den Mais stehenzulassen, weil wenn er stehenbleibt, heißt, dass er blüht, er kann sich auch auskreuzen durch Pollenflug auf benachbarte Felder. Das gilt es unbedingt zu verhindern. Greenpeace fordert eindeutig, dass dieser Mais nun vernichtet werden muss. Wir schlagen vor, ihn abzuhäckseln und ihn im Boden einzuarbeiten und dann ein bis zwei Jahre lang zu kontrollieren, ob nicht noch weitere Maispflanzen auflaufen auf dem Acker. Aber stehenlassen ist überhaupt keine Alternative.

    Barenberg: Wie es dazu kommen konnte, darüber haben wir schon kurz gesprochen. Die Länder testen jedes Jahr vor der Aussaat im Frühjahr das Saatgut auf gentechnische Verunreinigungen, um gerade zu verhindern, dass gentechnisch verändertes Saatgut auf die Felder gelangt. Ist dieses Verfahren aus Ihrer Sicht untauglich?

    Hissting: Diese Kontrollen haben in allen anderen Bundesländern relativ gut funktioniert, alle anderen Bundesländer bis auf Niedersachsen haben es geschafft, die beprobten Genmais-Chargen zurückzuziehen aus dem Handel, bevor sie auf dem Acker sind. Es gab eine Übereinkunft der Bundesländer, bis Ende März die Ergebnisse zu veröffentlichen. Ich habe bisher noch keine plausible Erklärung gehört, warum dies in Niedersachsen nicht geklappt hat. Ich glaube eher, es ist ein niedersächsisches Problem als ein grundsätzliches Problem.

    Barenberg: Nun sagt man im Landwirtschaftsministerium von Niedersachsen, man sei gar nicht selber zuständig für die Kontrolle, es handle sich vielmehr um freiwillige Kontrollen der Hersteller selber. Ist das ein akzeptabler Weg, um Verunreinigungen, Ausbringungen dieser Art zu verhindern?

    Hissting: Es gibt zwei Verantwortlichkeiten in diesem Fall. Natürlich muss Pioneer, der betroffene Saatguthersteller, das Reinheitsgebot für Saatgut einhalten, aber die Länderbehörden kontrollieren regelmäßig: Genauso wie auch Lebensmittel im Supermarkt kontrolliert werden, kontrollieren sie auch Saatgut. Und hier muss man so frühzeitig reagieren, dass man noch das Schlimmste verhindern kann, nämlich dass dieses Maissaatgut ausgesät wird. Und da liegt die Verantwortlichkeit eindeutig im Landwirtschaftsministerium in Niedersachsen.

    Barenberg: Ist denn dieser Fall, den Sie jetzt recherchiert haben und bekannt gemacht haben, eigentlich ein Einzelfall, oder kommt es öfter vor, dass verunreinigtes Saatgut, auch bei Raps meinetwegen, ausgebracht wird und auf den Feldern wächst?

    Hissting: Es kommt immer wieder vor, und man muss auch klar sagen, dass die Behörden nur Stichproben nehmen und in etwa sieben bis acht Prozent der Stichproben gentechnisch veränderte Verunreinigungen gefunden wurden. Das lässt auch den Rückschluss zu, dass natürlich in anderen Proben, die nicht untersucht wurden, ebenfalls gentechnisch veränderter Mais drinsteckt und die auch unbehelligt derzeitig auf dem Acker wachsen. Das ist natürlich das eigentliche Problem. Deswegen müssen wir auch ganz viel Sorgfalt darauf verwenden, dass dieses Problem in der Saatgutherstellung in Zukunft nicht mehr passiert.

    Barenberg: Die Deutschen sind insgesamt – und das ist anderswo auf der Welt anders – skeptisch, was dieses Saatgut angeht, was gentechnisch veränderte Lebensmittel angeht. Es gilt das Trennungsverbot, die Wahlfreiheit – ist das aus Ihrer Sicht gefährdet?

    Hissting: Die Wahlfreiheit des Verbrauchers ist, glaube ich, noch nicht gefährdet. Aber die Wahlfreiheit des Landwirtes ist akut bedroht. Auch der Landwirt hat ein Recht darauf, zu entscheiden, ob er Gentechnik anbaut oder nicht, und bei einer schleichenden Verunreinigung von Saatgut hat er diese Wahlfreiheit nicht mehr und irgendwann später sicherlich auch der Verbraucher nicht mehr. Deswegen müssen natürlich Saatguthersteller wirklich alles daran setzen, dieses Reinheitsgebot auch einzuhalten. Und hier sehe ich schon das Problem, dass in zunehmendem Maße immer wieder Verunreinigungen auftauchen, die nicht zu tolerieren sind.

    Barenberg: Alexander Hissting, der Agrarexperte von Greenpeace. Vielen Dank für dieses Gespräch!

    Hissting: Gern geschehen, Herr Barenberg!