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Mali
Strategiewechsel im Anti-Terror-Kampf

Der Kampf gegen die Dschihadisten in Mali wird auch mit Unterstützung ausländischer Soldaten geführt. Frankreich hat gerade erst seine Truppen in der Region aufgestockt. Doch der Präsident Malis setzt parallel dazu auch auf eine andere Lösung: Verhandlungen mit den Islamisten.

Von Dunja Sadaqi | 07.03.2020
Malis Präsident Keita am 7. November 2019 mit Soldaten des Landes
Malis Präsident Keita mit Soldaten (AFP)
Strategiewechsel in Mali. Lange Zeit hat Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keïta Verhandlungen mit den Dschihadisten im Land kategorisch ausgeschlossen. In einem Interview Mitte Februar mit dem französischen Radiosender RFI überraschte er - und gab das erste Mal zu: Malis Regierung versuche in Kontakt mit Dschihadisten zu treten. Ibrahim Boubacar Keïta:
"Es ist meine Pflicht und die Mission, jeden möglichen Raum zu schaffen und alles Mögliche zu versuchen, damit wir eine Art Frieden erreichen können. Denn die Zahl der Toten im Sahel wächst exponentiell. Ich glaube, es ist Zeit bestimmte Wege zu gehen."
Denn obwohl in Mali tausende nationale und internationale Soldaten im Anti-Terror-Einsatz operieren, hat sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert - der blutige Konflikt frisst sich vom Norden des Landes, wo er vor gut acht Jahren begann, ins Landesinnere. Der Terror breitet sich mittlerweile auch auf Nachbarstaaten aus. In den vergangenen drei Jahren hat sich in Mali, Burkina Faso und Niger die Anzahl der Opfer von Angriffen bewaffneter Gruppen, verfünffacht. Militärischer Erfolg hat sich bisher aber nicht eingestellt.
Skeptische Bevölkerung
Bereits in der Vergangenheit hatten Konfliktforscher als auch Oppositionspolitiker und Parteikollegen des malischen Präsidenten dazu geraten, den Dialog mit den Dschihadisten zu eröffnen. Jetzt scheint Malis Präsident diesen Schritt zu gehen. In der Hauptstadt Bamako wurde die Nachricht von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Schuldirektor Mohamed Ag hofft durch einen Dialog zum Beispiel auf Waffenstillstand. Er sagt:
"Angesichts der Lage in Mali, die sich von Tag zu Tag verschlechtert, könnten Verhandlungen ein guter Weg sein - wenn auch nur, um die Situation zu beruhigen. Die Lage hat sich in den vergangenen drei bis vier Monaten zugespitzt. Der Präsident ist ein verantwortungsvoller Mann. Er wird nicht um jeden Preis verhandeln."
Andere wie Händlerin Fatoumata Cissé sind dagegen skeptisch.
"Die malische Bevölkerung, die zu Verhandlungen mit den Dschihadisten Ja sagt, ist die gleiche Bevölkerung, die niemals akzeptieren wird, was diese Leute fordern, denn sie fordern nur die Scharia. Mali ist ein laizistischer Staat. Wollen wir unsere Sicherheit bewusst in die Hände dieser Dschihadisten legen? Unmöglich. Wir sollten damit keine Zeit verschwenden."
Und auch Student Ibrahim Dicko hat Bedenken.
"Ich halte das nicht für unmöglich. Aber man muss auch die internationale Gemeinschaft im Hinterkopf behalten. Werden die Franzosen, die MINUSMA, die auf unserem Boden stationiert ist, das akzeptieren?"
Militärischer Sieg nicht in Sicht
An der 12.000 Mann starken UN-Stabilisierungsmission MINUSMA ist auch die deutsche Bundeswehr mit rund 1.500 Soldaten beteiligt und bildet im Rahmen einer europäischen Trainingsmission malische Truppen aus. Die MINUSMA gilt bis heute als die gefährlichste Blauhelm-Mission weltweit. Der malische Sicherheitsexperte Abderrahman Alpha sagt, militärisch sei in Mali der Konflikt nicht mehr zu gewinnen:
"Die erste Alternative war der Krieg. Und die Erfahrungen haben uns gezeigt, der Krieg löst das Problem nicht. Denn wenn sie sich die zahlreichen Toten angucken - immer auf der Seite der Armee, der Zivilisten und nicht auf der der Dschihadisten. Na ja, wenn eine Strategie nicht funktioniert, muss man sie eben ändern. Es sind Malier - ich finde es richtig, sie zu fragen, was sie wollen, aber nicht zu jedem Preis."
Über welche Punkte Malis Regierung konkret mit den Dschihadisten verhandeln könnte, bleibt unklar. Erste Schritte für eine Annäherung mit dem rebellischen Norden sind getan. Anfang März reiste Malis Premierminister Boubou Cissé in die nordöstliche Stadt Kidal. Kidal war einst eine Rebellenhochburg. Nach gut acht Jahren Konflikt kehrte nun auch wieder die malische Armee in die Stadt zurück. Heute wird sie von Ex-Tuareg-Rebellen kontrolliert, deren Führung nun Malis Premier empfing - auch ein Teil des Friedens-Paktes.
Reform des Staatswesens
Mehr Autonomie, Dezentralisierung und ein Staat, der seinen hoheitlichen Aufgaben auch nachkommt - das könnte eine Lösung sein, sagt Sicherheitsexperte Abderrahman Alpha. Ob sich die ideologischen Hardliner unter den Dschihadisten darauf einigen können, ist fraglich. Präsident Ibrahim Boubacar Keïta betonte:
"Ich bin nicht naiv. Die, die befehlen in eine Moschee zu gehen, um sich in die Luft zu sprengen in der Mitte der Gläubigen, haben nicht meine Wertschätzung - und das weiß jeder."
Schon seit längerem gibt es umstrittene Angebote an ehemalige Rebellen, in die malische Armee eingegliedert zu werden. Denn für viele der bewaffneten Kämpfer geht es laut Befragungen um die wirtschaftliche Existenz und nicht um islamistische Ideologie. Für viele Menschen gerade im Norden Malis ist der Staat weder sichtbar, noch defacto vorhanden. Bildung, Gesundheit - von Sicherheit ganz zu schweigen. In diese Lücke treten oftmals islamistische Gruppen und haben staatsähnliche Strukturen aufgebaut, zum Beispiel über Koranschulen. Sicherheitsexperten sagen: So lange der malische Staat an diesen Problemen nicht arbeitet, bleibt ein Frieden noch in weiter Ferne.