Freitag, 10. Mai 2024

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"Man kann den Rechtsstaat nicht dadurch verteidigen, dass man ihn abschafft"

Der FDP-Politiker Burkhard Hirsch hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur vorbeugenden Telefonüberwachung begrüßt. Man könne den Rechtsstaat nicht dadurch verteidigen, dass man ihn abschaffe. Der Staat dürfe nicht an der Unschuldsvermutung des Bürgers rütteln, sonst verliere der Bürger das Vertrauen in den Staat, so Hirsch.

Moderation: Doris Simon | 28.07.2005
    Doris Simon: Herr Hirsch, bedroht zuviel Schutz unsere Freiheit?

    Burkhard Hirsch: Es gibt den schönen Satz, dass derjenige, der alle bewachen kann auch alle unterdrücken kann. Der Bürger muss begreifen, dass jedes Recht, das er zu seinem Schutz fordert gleichzeitig die Freiheit Anderer einschränkt. Und davon wird er selber betroffen, weil das Volumen der Freiheit in unserer Gesellschaft immer weiter verringert wird. Man kann den Rechtsstaat nicht dadurch verteidigen, dass man ihn abschafft.

    Simon: Es werden ja derzeit sehr viele Maßnahmen diskutiert, als mögliche Maßnahmen im Kampf gegen den Terror. Welche Maßnahmen gehen da Ihrer Meinung nach zu weit?

    Hirsch: Wir haben ja im Laufe der letzten vierzig Jahre eine wirklich dramatische innenpolitische Aufrüstung gehabt in dem Kampf gegen alle möglichen apokalyptischen Reiter. Ob das die Drogenkriminalität ist, oder der Terrorismus - begonnen mit der RAF -, oder die organisierte Kriminalität, es war immer jemand da, gegen den man kämpfen musste. Und darum ist es eigentlich einfacher zu sagen, was man nicht angreifen darf. Ich denke, dass das Grundgesetz nun endlich tabu sein muss! Wir sollten das Grundgesetz nicht mehr ändern. Zweite Bemerkung: Der Staat darf nicht an der Unschuldsvermutung des Bürgers rütteln! Wenn er den Bürger, jeden Bürger, wie einen potentiellen Straftäter behandelt, also dem Bürger nicht traut, dann wird der Bürger auch dem Staat nicht trauen. Der Staat sollte keine Methoden zur Kriminalitätsbekämpfung einsetzen, die seinen Rechtstraditionen entsprechen. Also, zum Beispiel: die Tötung von Geiseln durch den Staat selber, oder das heimliche Belauschen im engsten privaten Bereich ist eines Staates einfach unwürdig. Und der dritte Punkt: Man sollte keine Maßnahmen erwägen und beschließen, die man nicht zumindest hinterher den Betroffenen offen mitteilt. Das sind wirklich Eckwerte unseres Rechtsdenkens und wenn man gegen die verstößt, und das ist wiederholt geschehen, dann in der Tat verändern wir unseren Staat in Richtung auf einen Überwachungsstaat hin. Und man muss ja daran erinnern, dass die beiden Richterinnen, die beim Urteil über den großen Lauschangriff ein Minderheitenvotum abgegeben haben, dass sie gesagt haben: es gilt nicht mehr den Anfängen, sondern den bitteren Ende zu wehren. Und das ist wirklich wahr.

    Simon: Das heißt zusammengefasst: Alles was vorbeugend ist und ohne konkreten Verdacht ist für Sie illegal?

    Hirsch: Nein, natürlich muss man vorbeugen. Die Frage ist nur, wo fängt das Vorfeld an? Also, mein Vorfeld beginnt bei meiner Geburt. Da muss man überlegen: Will man schon so weit gehen, dass man böse Gedanken, reine Gedanken, polizeipflichtig oder strafbar macht? Oder muss man nicht wenigstens sagen, sobald ein böser Gedanke anfängt sich in Wirklichkeit umzusetzen, dann, in der Tat, ist es für den Staat die Zeit, sich um jemanden zu kümmern?

    Simon: Herr Hirsch, Sie sprachen die RAF an. Sie haben Ihre Erfahrung gemacht als nordrhein-westfälischer Innenminister in den Siebzigern mit dem Terror der RAF. Heute ist der Terror, vor allem den, den wir in diesen Wochen erleben, diffus, weltweit und die Anschläge sind auf breites Töten angelegt. Da geht es nicht um herausragende Figuren des Staates, die umgebracht werden müssen - und nicht umgebracht werden müssen, sondern von denjenigen umgebracht werden. Die Sicherheitsbehörden klagen im Kampf gegen diese Art von Terror fehlten Ihnen die nötigen Instrumente. Halten Sie diese Klage für berechtigt?

    Hirsch: Sie ist in dieser Form nicht richtig. Ich habe den Eindruck, dass das eigentliche Problem doch nicht nur in polizeilichen oder repressiven Maßnahmen liegt. Da muss man dem Bürger offen sagen, dass ein absoluter Schutz nicht möglich ist. Man kann nicht Flugzeugabwehrraketen um den Reichstag, um den Kölner Dom, und um die bayerische Landesregierung und um wen immer stationieren. Wo will man da aufhören? Sondern das eigentliche Problem der Bekämpfung des Terrorismus liegt darin, sich um die Ursachen zu kümmern und politische Lösungen für die Ursachen solcher Entwicklungen zu finden. Das haben wir bei der RAF versucht mit einigem Erfolg und ich glaube, dass auch die Diskussion um den so genannten Islamismus oder die islamistischen Täter, dass man sich überlegen muss, was treibt diese Leute? Was ist ihr Motiv? Geht es Ihnen wirklich darum, bei uns die Demokratie abzuschaffen? Oder geht es Ihnen vielleicht darum, die politische Zusammenarbeit westlicher Staaten mit nahöstlichen Diktatoren einzuschränken oder zu verhindern? Da sind Entwicklungen im Gange, die politisch nicht wirklich ausdiskutiert werden und darin liegt die eigentliche Gefahr für unsere Freiheit.

    Simon: Aber noch mal zurück zur Diskussion "Sicherheit - Bürgerrechte". Die Menschen haben ja deutlich mehr Angst vor terroristischen Anschlägen, als Angst davor abgehört zu werden. Da hat sich doch auch einiges im Bild vom Staat geändert. Heute wird er doch gar nicht mehr als so feindlich empfunden wie vor zwanzig, dreißig Jahren, sondern die Bürger in ihrer Gesamtheit fordern Aktiv-Schutz ein und interessieren sich nicht so richtig dafür wie das geschieht.

    Hirsch: Ja, das muss man verstehen. Das liegt zu einem Teil nicht nur daran, dass das Verhältnis zur Privatheit sich etwas verändert hat - wenn Sie daran denken, wie sie heute mit ihren Handys im Zug oder was, ihre privaten Dinge in die Gegend blöken, sondern das liegt daran, dass jeder glaubt solche Maßnahmen treffen ihn nicht, sondern nur den Anderen. Man selber ist ja der Überzeugung, dass man gut ist und gar keine Straftat plant und denkt nicht daran, dass man ja auch ohne eigene Tätigkeit in den Verdacht einer Straftat geraten kann. Jeder will seine eigene Freiheit schützen, zu Lasten der Freiheit eines Anderen und glaubt meinetwegen vom großen Lauschangriff nicht berührt zu werden. Das ist in meinen Augen politische Zechprellerei. Man sucht einen Vorteil für sich und glaubt, dass ein anderer dafür bezahlen muss. Und man übersieht, dass der eigentliche Zusammenhalt unserer Gesellschaft doch nicht in polizeilicher Macht beruht, sondern darin, dass die Vielzahl der Bürger davon überzeugt ist, dass unsere Rechtsordnung richtig, gerecht und vernünftig ist. Und da finde ich es bemerkenswert und fast bedauerlich, dass das Bundesverfassungsgericht nun durch eine Reihe von Entscheidungen dafür sorgen muss, dass wir uns von einer politischen Hysterie allmählich lösen und wirklich zu rationaler, distanzierter Überlegung darüber zurückkehren was man wirklich machen und vertreten kann.

    Simon: Also, ganz rational in der Abwägung "Sicherheit - Bürgerrechte": wie viele Gefahren müssen wir für den Schutz der Bürgerrechte und die Aufrechterhaltung in Kauf nehmen?

    Hirsch: Ja, das ist die Gratwanderung vor der die Politik ihre Verantwortung übernehmen muss und übernimmt. Ich glaube, dass es eben ein paar Grundsätze gibt, an denen man nicht rütteln darf. Ich denke, dass Schluss sein muss andauernd an unserer Verfassung herumzufummeln. Ich denke, dass man wirklich den privaten Bereich freihalten muss von staatlicher Schnüffelei. Ich denke, dass es absolut unerträglich ist, wenn ein Staat hergeht und will auch die Opfer einer Straftat vorsätzlich erschießen. Denken Sie also an diese Überlegung, die ja Gesetz geworden ist, den Abschuss eines vollbesetzten Passagierflugzeugs zu ermöglichen. Das sind Dinge wo der Staat an die Grenzen stößt, und, wenn er sie überschreitet, seine eigene Rechtsordnung zu Grund richtet.

    Simon: Das heißt aber auch im Umkehrschluss, die Politik müsste aber auch ganz deutlich und laut sagen, die Verantwortlichen: ihr Bürger müsst in einer solchen Situation bereit sein gewisse Risiken auf euch zu nehmen, das gehört einfach dazu.

    Hirsch: Das ist jedes Mal so, das ist bei jeder Kriminalitätsform so. Und vor allen Dingen müsste die Politik endlich aufhören immer nur an die Polizei zu denken oder gar an die Bundeswehr im Inland, sondern sie müsste überlegen was man tun muss, um das Verhältnis zu den vielen Staaten auf dieser Erde, die islamisch sind, das Verhältnis zu ihnen in vernünftige Bahnen zu bringen. Und wie man zu einer Zusammenarbeit mit den Vertretern der ja mehreren Millionen Mohammedaner in unserem Land zusammenkommen kann.

    Simon: Herr Hirsch, sind wir eigentlich sicher in Deutschland? Fühlen Sie sich sicher?

    Hirsch: Ja! Ich fühle mich genau so sicher wie vor Jahren. Wir leben in einer Gesellschaft zu der ein gewisses Maß an Kriminalität gehört. Das hängt mit der Beweglichkeit zusammen, mit der Anonymität in der wir leben wollen. Wir haben übrigens immer mehr Vermögensdelikte, die Gewaltdelikte nehmen erheblich ab, die Einbrüche, die Kraftfahrzeugdiebstähle nehmen erheblich ab, während wir immer mehr Vermögensbetrug, Kreditkartendelikte haben. Darüber müssen wir mal nachdenken, wodurch wir eigentlich plötzlich bedroht werden.

    Simon: Der FDP-Politiker Burghard Hirsch. Herr Hirsch, vielen Dank für das Gespräch!

    Hirsch: Bitte schön!