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"Man kann sich einfach nicht hundertprozentig absichern"

Menschenmassen wie bei der Loveparade - oder dem jährlichen Ansturm auf Mekka - seien immer ein Risiko, sagt Tim Meyer-König. Einziges Gegenmittel sei es, Stauungen der Massen zu vermeiden.

26.07.2010
    Jürgen Liminski: Tim Meyer-König ist Mitarbeiter bei der Firma TraffGo, die auf Evakuierung bei Massenveranstaltungen spezialisiert ist. Guten Morgen, Herr Meyer-König!

    Tim Meyer-König: Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Meyer-König, in Duisburg gab es offensichtlich schwere Lücken und Mängel beim Sicherheitskonzept, wir haben es eben gehört. Welche Voraussetzungen muss es denn geben, damit eine so große Veranstaltung ohne Panik evakuiert werden kann? Kann so etwas überhaupt voraussehen?

    Meyer-König: Also, wir reden hier von zwei Dingen, was man immer berücksichtigen sollte: Also der Unfall ereignete sich ja jetzt während der Befüllung und Sie spielen jetzt auf die Evakuierung an. Es gibt natürlich pauschale Antworten wie zum Beispiel gut geschultes Personal und ausreichend dimensionierte Wege und dass man Stockungen im Fluss vermeiden soll. Aber letztendlich stößt man eben bei der Planung wieder an praktische Grenzen und dann muss der Planer eben abschätzen, welche Risiken und welche Folgen er vertretbar findet, also um die Risiken dafür einzugehen und welche nicht. Und das ist eigentlich das alltägliche Problem, was man als Planer solcher Veranstaltungen hat.

    Liminski: Ich höre daraus heraus, dass es bei Füllung oder Evakuierung immer im Fluss sein muss.

    Meyer-König: Ja, das ist natürlich wünschenswert. Wobei man eben nie – oder es ist eigentlich nie garantiert, dass der Fluss nicht irgendwo mal ins Stocken geraten kann. Aber das sollten man natürlich tunlichst vermeiden.

    Liminski: Also, wenn es dann zu Stockung kommt, heißt das, es gibt nicht genügend Flusswege, also Ausgänge?

    Meyer-König: Das weiß ich nicht. Also, das kann ganz unterschiedliche Gründe haben. Es gab zum Beispiel auch schon mal ein Ereignis, wo ein Regenschauer für eine sogenannte Massenpanik sorgte. Also, es gibt eben viele Ereignisse, die man auch vorher nicht abschätzen kann. Das heißt, man kann sich einfach nicht hundertprozentig absichern, wenn man so große Menschenmengen hat, geht man immer irgendwo auch ein Risiko ein.

    Liminski: Wenn es dann einmal zu einer Panik kommt, gibt es dann unter den Experten einen Plan B, den man einsetzen könnte?

    Meyer-König: Ja, also wenn es Probleme gibt, dann gibt es, dann greifen immer sogenannte Notfallpläne, also die liegen immer vor. Darin wird beschrieben, was zu tun ist, wenn es zu Unfällen kommt. Das dreht sich dann maßgeblich darum, dass die Rettungskräfte eben gut vor Ort kommen. In diesem Fall lief das ja über die A 59, die gesperrt war, und das Gelände war also außen rum überall zugänglich für die Rettungskräfte. Also, das ist dann der sogenannte Plan B.

    Liminski: Das heißt, die Rettungskräfte müssen immer Zugang haben. Aber das war ja in diesem Fall nicht gegeben?

    Meyer-König: Das weiß ich nicht, also dazu fehlt mir die Information. Letztendlich in das Gedränge genau reinzukommen, ist natürlich schwierig, aber an das Gedränge heranzukommen, das ist natürlich das, was auch wichtig ist.

    Liminski: Wie geht man mit Panik um, gibt es dafür Konzepte?

    Meyer-König: Also, da muss man einmal sagen, dass das Thema Panik wird in der Presse häufig etwas übertrieben dargestellt. Also häufig entsteht dieses Bild von einer, dass die Menschen wie eine Büffelherde dahergerannt kommen und alles platt laufen, was ihnen in den Weg kommt. Aber häufig ist dieses, so diese Ereignisse, wo Leute eben zu Tode kommen durch zu hohe Drücke, das verläuft für die Einzelnen, also die einzelnen Personen kriegen das häufig gar nicht mit. Also, es kann passieren, dass Sie in einer Gruppe stehen, die Bewegung kommt zum Stocken, sie drängeln ein wenig auf ihren Vordermann und 20 Meter vor ihnen werden eben Leute durch diesen enormen Druck, der sich da aufbauen kann, erdrückt und kriegen keine Luft mehr. Also das Problem ist einfach, dass sie, dass das die Leute erst hinterher mitkriegen, dass 20 Meter vor ihnen Leute zu Schaden kamen. Und das Einzige, der einzige Weg, der ihnen dann noch bleibt, ist eben, die Leute mit klaren Informationen und Anweisung zu versehen, um solche Stockungen schnellstmöglich wieder aufzulösen, wenn sie denn mal vorkommen.

    Liminski: Ihre Firma hat auch schon die katholische Kirche bei den Weltjugendtagen beraten und auch die Saudis, die in Mekka jedes Jahr Großveranstaltungen mit Millionen Teilnehmern, Pilgern aus aller Welt haben. Wie sieht ein Konzept für solche Ereignisse aus? – Oder ist jedes Konzept immer anders?

    Meyer-König: Also, abstrakt betrachtet kann man sagen, dass die Konzepte alle ähnlich sind. Ich habe es ja am Anfang schon gesagt, dass man versucht, die Strömung im Fluss zu halten und große Stauung zu vermeiden. Allerdings unterscheidet sich Mekka von der Loveparade extrem dadurch, dass es noch viel größer ist, also dort kommen an einem Wochenende etwa drei Millionen Pilger zusammen. Und wie gesagt, man versucht eben im Wesentlichen, solche Stauungen, wo es zu diesen Knubbel ... , also zu diesen Menschenansammlungen mit hohen Drücken kommt, zu vermeiden. Das ist das Einzige, was man tun kann.

    Liminski: Das war Tim Meyer-König von der Firma TraffGo, die auf Evakuierung spezialisiert ist. Besten Dank für das Gespräch, Herr Meyer-König!

    Meyer-König: Bitte!

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