Dienstag, 23. April 2024

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"Man muss dieses Phänomen Beppe Grillo ernst nehmen"

Das gute Abschneiden des Komikers Beppe Grillo zeige, dass "die Enttäuschung über die etablierte Politik" stark zugenommen habe, sagt Christoph Butterwegge. Dem politischen System sei es nicht gelungen, für Verhältnisse zu sorgen, die den Menschen die Angst vor dem sozialen Abstieg nehmen, so der Politikwissenschaftler von der Universität Köln.

Christoph Butterwegge im Gespräch mit Gerd Breker | 26.02.2013
    Gerd Breker: Nach der Wahl in Italien sah es nicht gut aus für Europa. Es wird ganz eng für den Euro und natürlich auch ganz eng für Europa.
    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Christoph Butterwegge, er ist Politikwissenschaftler an der Universität Köln. Guten Tag, Herr Butterwegge.

    Christoph Butterwegge: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Lassen Sie uns über das Phänomen Beppe Grillo reden. 25 Prozent für jemanden, der ein Spaßmacher ist und mit dem etablierten politischen System überhaupt nichts zu tun hat. Was lernen wir daraus?

    Butterwegge: Dass Korruption, die er anprangert, ein ernstes Problem ist, und dass vor allen Dingen die Enttäuschung über die etablierte Politik sich ausgebreitet hat, insbesondere bei jungen Menschen, und ich finde, man muss dieses Phänomen Beppe Grillo ernst nehmen. Es hat keinen Zweck, so zu tun, als drückten sich darin nicht auch ernste Sorgen der Menschen aus, dass ihre Interessen nicht mehr wahrgenommen werden in diesem politischen System, und das ist in Italien so, das ist sicherlich aber auch in anderen europäischen Ländern vielleicht nicht so ausgeprägt so.

    Breker: In Italien ist die Jugendarbeitslosigkeit derzeit bei 37 Prozent. Grillo hat seinen Wahlkampf auch sehr viel übers Internet geführt. Nun werden sicherlich nicht nur die Jugendlichen Grillo gewählt haben, aber ein großer Anteil von ihnen bestimmt, denn da wächst ja eine ausgegrenzte Gruppe an, die eben mit diesem Politsystem überhaupt nichts mehr anfangen kann.

    Butterwegge: Man fühlt sich abgehängt, man fühlt sich verlassen, man fühlt sich nicht ernst genommen, und Jugendliche, die keine soziale, berufliche Perspektive haben, die nicht daran denken können, eine Familie zu gründen, weil ihnen dafür die Mittel fehlen, die in Unsicherheit im Grunde auch für ihr ferneres Leben gelassen werden, die reagieren sicher nicht rational immer politisch. Die sind zutiefst enttäuscht. Nur wir dürfen nicht so tun, als wäre es allein ein Problem der Arbeitslosigkeit. Ich denke, in der Bundesrepublik Deutschland, wo die Jugendarbeitslosigkeit sehr viel geringer ist, können wir uns nicht beruhigen, weil die Gruppe der 18 bis 24jährigen ist die Bevölkerungsgruppe mit dem höchsten Armutsrisiko. Fast ein Viertel dieser jungen Menschen liegen unter der Armuts-Risikoschwelle, und das bedeutet, bei uns sind sie nicht arbeitslos, bei uns haben sie prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Minijobs, Midijobs, Leiharbeit. Kurzum: es sind Menschen, gerade junge Menschen, die kaum noch eine unbefristete Stelle bekommen können, die deswegen eben Schwierigkeiten haben, sich auf diesem soliden Fundament eine politische Meinung zu bilden, aber auch auf diesem Fundament ihr Leben gestalten zu können. Und die sich ausbreitende Unsicherheit in einer so reichen Gesellschaft wie Italien, diese Unsicherheit, glaube ich, die wird auch in Zukunft die Politik beschäftigen und die etablierten Parteien, egal welcher Richtung, natürlich besonders jetzt deutlich abgewählt das Mitte-Rechts-Bündnis von Silvio Berlusconi, aber auch eben das Mitte-Links-Lager von dem demokratischen, sozialdemokratischen Politiker Pier Luigi Bersani, sind nicht so attraktiv für junge Menschen, dass man denen Vertrauen entgegen bringen würde, sondern die Glaubwürdigkeit der etablierten Politik ist einfach verloren gegangen. Und für mich ist das kein Ausdruck von Politik- oder Parteienverdrossenheit dieser jungen Menschen, sondern es ist eine politische Repräsentationskrise. Das politische System hat sich als nicht fähig erwiesen, für soziale Verhältnisse zu sorgen, die den Menschen die Angst vor dem Abstieg oder Absturz in die Armut nimmt.

    Breker: Und dies ist ein Phänomen, was nicht auf Italien beschränkt bleibt. In Spanien, Portugal und Griechenland ist die Jugendarbeitslosigkeit zum Teil sogar noch höher.

    Butterwegge: Ja deshalb werden wir ähnliche Phänomene und ähnliche Entwicklungen sicherlich auch in anderen Teilen Europas zu beobachten haben, ganz besonders aber natürlich in den genannten südeuropäischen Ländern, denn diese südliche EU-Peripherie, die ist im Grunde von insbesondere auch der starken Exportwirtschaft der Bundesrepublik getroffen und von einer Bundesregierung, die auf Lohndumping gesetzt hat, mit Hartz IV diesen Prozess verstärkt hat und die anderen Länder eben im Grunde mehr und mehr gedrängt hat, nicht mehr exportieren zu können in dem Maße, sondern sich verschulden zu müssen. Um wachsende Importe zu bezahlen, haben wir im Grunde, die Bundesrepublik Deutschland, diese Krise an der südeuropäischen Peripherie auch mit ausgelöst.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Christoph Butterwegge. Er ist Politikwissenschaftler hier in Köln an der Universität. Herr Butterwegge, ich danke für dieses Gespräch.

    Butterwegge: Bitte schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.