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"Man muss natürlich auch gezielt hingucken"

Kontakte von Neonazis in und aus Gefängnissen müssen besser kontrolliert werden, sagt Marjana Schott, hessische Landtagsabgeordnete und Obfrau der Linken im Ausschuss Vollzug. Angesichts der personellen Unterbesetzung in den JVAs sei es allerdings schwierig, mögliche Netzwerke aufzudecken.

Marjana Schott im Gespräch mit Friedbert Meurer | 10.04.2013
    Friedbert Meurer: Nächste Woche ist es so weit. In München beginnt der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Schon jetzt ist klar: Es wird der Prozess des Jahres. Rund um den Globus werden Fernsehen, Zeitungen, Internet über ein Verfahren berichten, bei dem es um eine zehnfache Mordserie durch Rechtsradikale geht. Bundesaußenminister Guido Westerwelle mahnt mit Blick auf die Akkreditierungspraxis von Journalisten, der Ruf und das Ansehen Deutschlands könnten unter dem Ablauf des Verfahrens Schaden nehmen. Also: Alles steht jetzt unter schärfster Beobachtung. Auch die Meldung, dass Neonazis in Deutschland ein geheimes Netzwerk unterhalten, mit dem rechtsradikale Häftlinge untereinander und nach außen hin kommunizieren.

    In Wiesbaden begrüße ich die Landtagsabgeordnete der Fraktion Die Linke, Marjana Schott. Sie ist Obfrau Ihrer Fraktion im Unterausschuss Vollzug des Rechtsausschusses. Guten Tag, Frau Schott.

    Marjana Schott: Guten Tag, Herr Meurer.

    Meurer: Die Linke, Ihre Fraktion, hat eine große Anfrage gestartet, die offenbar das ganze ins Rollen gebracht hat. Was wissen Sie über dieses Neonazi-Netzwerk?

    Schott: Die Ausgangssituation war die, dass wir Hinweise bekommen haben aus verschiedenen Richtungen, dass es Subkulturen, Neonazi-Subkulturen im Strafvollzug gibt. Wir wollten dem auf den Grund gehen, wir wollten, dass die Regierung dem auf den Grund geht. Das Instrument der großen Anfrage ist ja, dass man sich mit dem Thema beschäftigen muss, dass man Fragen stellt und auf diese Fragen Antworten gesucht werden müssen. Das heißt, dass auch vor Ort nachgeguckt werden muss. Das war unsere Intention, deswegen haben wir gefragt, wie viele Häftlinge sitzen ein, die man eindeutig einer Neonazi-Organisation zurechnen kann, wie viele sitzen ein wegen einschlägiger Straftaten. Es kann ja auch jemand durchaus wegen Ladendiebstahl oder Autodiebstahl oder so was einsitzen und in eine Neonazi-Szene gehören. Das sind ja dann zwei verschiedene Dinge. Das alles haben wir abgefragt, in welchen Anstalten, in welchen Zeiträumen.

    Meurer: Was meinen Sie mit Subkulturen im Neonazi-Strafvollzug?

    Schott: Na ja, es gibt Vernetzungen, es gibt das Bilden kleiner Gruppen, es gibt immer wieder auch den Versuch, Kontakte zu anderen Anstalten aufzunehmen. Es gab ja auch in der Vergangenheit schon Hilfsorganisationen, die sich gegründet haben und verboten worden sind. Das ist ja alles nichts Neues.

    Meurer: Wie werden die Kontakte hergestellt?

    Schott: Vielfältigst. Zum einen sind es natürlich Menschen, die sich kennen, die voneinander wissen und sich schreiben. Zum anderen versuchen dann Menschen in Anstalten auch andere anzuwerben, ganz aktiv, und auch über Wege außerhalb der Anstalten. Beispielsweise ging es hier jetzt in Hessen konkret über das Schalten von Zeitungsanzeigen.

    Meurer: Dürfen die Untersuchungshäftlinge Briefe schreiben, die dann aber eben kontrolliert und gelesen werden?

    Schott: Häftlinge dürfen Briefe schreiben. Die werden mehr oder weniger kontrolliert im Sinne von, die werden immer kontrolliert, ob da irgendwas drin ist, was da nicht drin sein darf. Die Inhalte werden stichprobenartig kontrolliert. Wir wollen ja auch nicht, dass jede Bewegung eines Häftlings Tag und Nacht im Sinne von Überwachung kontrolliert wird, so einen Vollzug kann man auch nicht wollen. Aber ich denke schon, dass man Menschen im Auge behalten muss, von denen man weiß, dass sie organisiert sind in solchen Strukturen und dass sie zum Teil auch die Organisatoren dieser Strukturen sind.

    Meurer: Es heißt, dass Neonazis in Untersuchungshaft oder in Haft überhaupt sich ziemlich vorbildlich und korrekt verhalten, zumindest nach außen. Das wäre ein krasser Unterschied zu den RAF-Häftlingen in den 70er-Jahren, die ihre Aufseher bespuckt, beschimpft haben. Ist das nur Tarnung und dann passt man vielleicht nicht so richtig auf, was die rechtsradikalen Häftlinge tun?

    Schott: Je besser sich ein Häftling führt, umso eher hat er Lockerungen: Lockerungen in Form von Kontakte nach draußen, also von Freigang, von vorzeitiger Haftentlassung, all diese Dinge, und auch arbeitsmäßig, in den Anstalten vertrauensvollere Stellungen einzunehmen. Die werden dort ja beschäftigt. Und je besser sich ein Häftling führt, umso besser ist dort seine Situation und umso besser ist natürlich auch seine Möglichkeit, sich zu vernetzen und auch früher wieder rauszukommen.

    Meurer: Welchem Zweck, Frau Schott, dient Ihrer Kenntnis nach diese ganze Kommunikation über Neonazi-Netzwerke?

    Schott: Na ja, sie verfolgt mehrere Zwecke. Das eine ist natürlich für die Inhaftierten, sich selber zu stärken in ihrer Ideologie und da was aufzubauen, für ihre Idee was zu schaffen. Das gibt ihrem inhaftiert sein noch mal einen anderen Sinn und einen anderen Stellenwert, stärkt ihre Reputation in den eigenen Reihen. Und zum anderen hat es natürlich tatsächlich auch den Zweck, andere anzuwerben. Und ich will gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn viele solcher Menschen in einer Anstalt versammelt sind, wie dann die Subkulturen untereinander in den Einrichtungen aufeinander einwirken.

    Meurer: Wer wirbt jetzt wen an?

    Schott: Wer wirbt wen an?

    Meurer: Werben diejenigen, die in Haft schon sitzen, Leute außerhalb des Gefängnisses an?

    Schott: Nein, innerhalb des Gefängnisses.

    Meurer: Also andere Mitgefangene?

    Schott: Ja. Es geht natürlich darum zu sagen, wir sind hier, wir sind für euch da, wir gehören einer Organisation an, die euch unterstützt, die eure Interessen kennt, die euere Interessen teilt, und wir helfen euch. Es geht um ganz konkrete Hilfsangebote und Unterstützungen, die dann dazu führen, dass Menschen sich dieser Idee auch anschließen.

    Meurer: Das heißt, diese Hilfsorganisationen, diese Netzwerke, die robben sich sozusagen an die normalen Gefangenen heran, um sie auf ihre Seite zu ziehen?

    Schott: Ja, ganz eindeutig.

    Meurer: Warum lässt man das zu?

    Schott: Man sollte es niemals zulassen und man sollte auch nicht verharmlosen, dass es so ist. Aber es ist zum Teil natürlich schwierig, es aufzudecken, aber man muss natürlich auch gezielt hingucken. Das ist das, was wir mit unserer Anfrage provoziert haben, gezieltes Hingucken. Und man muss genug Personal haben, um dem entgegenzuwirken.

    Meurer: Die große Anfrage haben wir erwähnt. Es gibt auch eine Arbeitsgruppe in Hessen, Justiz, Landtag. Wie zufrieden sind Sie mit der Arbeit der Justizbehörden?

    Schott: Na ja, man sollte jetzt nicht von dieser Situation auf die Justizbehörden und die Arbeit der Menschen, die dort im Einzelnen getan wird, schließen. Ich denke schon, da sind viele Menschen, die sehr, sehr genau ihrer Arbeit nachkommen. Da sind Strukturen, die aus unserer Sicht nicht gehen. Wir brauchen, wenn wir einen geordneten Vollzug haben wollen, auch genug Personal in diesem Vollzug. Wir brauchen natürlich keine Privatisierung oder Teilprivatisierung, wir wollen hier keine amerikanischen Verhältnisse im Vollzug, sondern wir müssen ein klares Auge darauf haben, was dort geschieht, um zum einen im Vollzug zu verhindern, dass dort so was aufgebaut wird, und zum anderen, um Resozialisation tatsächlich zu ermöglichen.

    Meurer: Sie erheben also jetzt nicht den Vorwurf, dass sozusagen mit rechtsradikalen Häftlingen ein bisschen generöser umgegangen wird als mit linksradikalen?

    Schott: Ich würde den Vorwurf erheben, dass man auf dem rechten Auge blind ist beim Hingucken. Ich kann nicht nachvollziehen, wie auf eine Frage, in welchen hessischen Anstalten Menschen mit einer Neonazi-Geschichte einsitzen, der Ort Hünfeld, um den es hier geht, nicht auftaucht, wenn wir wissen, dass dort einer der führenden Köpfe einsitzt. Das ist Blindheit, das ist eindeutig Blindheit im Ministerium.

    Meurer: Marjana Schott, hessische Landtagsabgeordnete der Linken. Sie sitzt für Ihre Fraktion im Unterausschuss Vollzug. Das Gespräch habe ich kurz vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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