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"Manchmal geht mir die Political Correctness wirklich sehr viel zu weit"

Nachdem beim Oetinger-Verlag schon vor Jahren der Negerkönig bei "Pippi Langstrumpf" zum Südseekönig wurde, kündigte nun auch der Thienemann-Verlag an, diskriminierende Sprache in Kinderbuch-Klassikern auszutauschen. Ganze Texte würde er aber nicht ändern, meint Kinderbuchautor Paul Maar.

Paul Maar im Gespräch mit Friedbert Meurer | 08.01.2013
    Friedbert Meurer: Kinder lesen zu wenig, sie sitzen nur noch vor der Glotze oder hängen vor dem Computer herum, heißt es oft. Kinder sollen stattdessen lieber lesen, am besten gute und wertvolle Kinderliteratur, die die Fantasie anregt und die kindliche Seele anspricht. Eltern geben ihren Kindern da auch gerne das zu lesen, was ihnen selbst als Kind lieb und teuer war: "Der Räuber Hotzenplotz" zum Beispiel oder "Die kleine Hexe" von Otfried Preußler, "Pippi Langstrumpf" von Astrid Lindgren.

    Nach dem Oetinger-Verlag hat jetzt auch der renommierte Kinderbuchverlag Thienemann angekündigt, Preußlers kleine Hexe und andere Bücher "dem sprachlichen und politischen Wandel anzupassen. Nur so bleiben sie zeitlos, diese Begriffe sind nicht mehr zeitgemäß, entsprechen nicht mehr dem heutigen Menschenbild."

    Paul Maar ist Kinderbuchautor, berühmt geworden unter anderem mit "Das Sams". Das Sams ist ein kleines freches Wesen, das die Welt der Erwachsenen ordentlich aufmischt. Guten Morgen, Herr Maar.

    Paul Maar: Guten Morgen!

    Meurer: Wollen Sie, dass Ihre Texte sich so demnächst anhören?

    Maar: Nein. Bei meinen Texten ist das auch nicht nötig. Bei mir kommen weder Eskimo, noch Zigeuner, noch Nigger oder Neger vor, und ich finde, dass der Oetinger-Verlag Recht daran getan hat, schon vor vier oder fünf Jahren bei einer Neuübersetzung von Pippi Langstrumpf zum Beispiel den Begriff Negerkönig durch Südseekönig zu ersetzen.

    Denn das Wort Neger ist ja bei uns wirklich negativ belastet und außerdem ist es viel korrekter, von einem Südseekönig zu sprechen, denn in der Südsee, die Bewohner dort in Polynesien, die würde ich sowieso nicht als Neger bezeichnen, nicht als Schwarzafrikaner, sondern das sind Polynesier.

    Meurer: Sie schreiben selbst auch, publizieren selbst auch im Verlag Oetinger, sollte man hier kurz sagen. Was wäre denn, wenn der Verlag auf Sie zukäme, und würde sagen, Paul Maar, hör mal zu, Sie sind ein frauenfeindlicher Chauvinist, weil Ihre Vermieterin Frau Rotkohl heißt?

    Maar: Das würde ich natürlich nicht ändern. Da gibt es ja auch einen ganz bestimmten Hintergrund, den wahrscheinlich nur meine Kinder kennen. Als wir noch in – ich will gar nicht den Ort nennen – wohnten, im fünften Stock, die Kinder waren klein, da hatten wir eine Hausmeisterin, die Frau Rockohl, die immer den Kindern verboten hat, im Hof zu spielen, obwohl es ein großer Hof war, es einen großen Hof gab.

    Und kaum sah sie unsere Kinder im Hof, schon schrie sie raus: Auf dem Hof wird nicht gespielt, im Hof wird nicht gespielt, raus hier! Und meine Kinder haben sich fürchterlich gefreut, als es dann in meinem Buch eine Frau nicht Rockohl, aber Rotkohl gab, und haben sich vorgestellt, dass die aus dem Fenster ruft, weil sie ja das Gegenteil sagen muss von dem, was sie sagen will durch einen Wunsch: Ach, liebe Kinder, spielt im Hof, bringt auch bitte noch andere Kinder herein. Schon aus diesem persönlichen Hintergrund würde ich die Frau Rotkohl nie ändern wollen.

    Meurer: Sie verteidigen es, dass der Oetinger-Verlag und jetzt auch der Thienemann-Verlag Glättungen vornehmen. Wo soll das denn noch hinführen? Dann wird möglicherweise Otfried Preußlers Buch nicht mehr "Die kleine Hexe" heißen, sondern "Die kleine Göre", weil Hexe auch frauenfeindlich ist.

    Maar: Nein. Das ist ja eine absolut übertriebene Sache. So weit würde ich nie gehen. Ich würde wirklich einige Begriffe weglassen oder ersetzen, die die Betroffenen, die das lesen, einfach als unhöflich oder als ärgerlich empfinden würden. Wenn sich ein Schwarzafrikaner als Neger wiederfindet oder als Nigger, wird er sich wahrscheinlich nicht gerade erfreuen, und das kann man ja ersetzen.

    Wenn ein Inuit sich als Eskimo in einem Buch wiederfindet, findet er das auch nicht gut, weil Eskimo ja ein absolutes Schimpfwort ist, das die Indianer für die Eskimos oder für die Inuit genauer gesagt erfunden haben. Das könnte man ersetzen, das sind winzige, winzige Änderungen. Aber ich würde nicht anfangen, die ganzen Texte zu ändern.

    Meurer: Das sind literarische Werke der Literaturgeschichte, "Pippi Langstrumpf", "Die kleine Hexe". Darf man sich da vergehen an der Authentizität?

    Maar: Sie wissen ja gar nicht, wie das im schwedischen Original heißt. Vielleicht heißt es da gar nicht so. Es ist ja eine deutsche Übersetzung, und ich glaube, wenn ein einziges Wort geändert ist, wie bei Pippi Langstrumpf der Negerkönig zum Südseekönig gemacht wird, dann ist das überhaupt kein Eingriff in den Inhalt des Buches oder in die Geschichte selbst. Ich würde das nur nicht so weit treiben, wie ich das vor Kurzem erlebt habe. Vielleicht kann ich das noch schnell erzählen?

    Meurer: Ja, gerne!

    Maar: Es gibt hier im Fränkischen eine Nachspeise, ein Dessert, das nannte sich bis jetzt immer "Mohr im Hemd". Das ist ein brauner Schokoladenpudding, der umgestülpt wird und mit weißer Vanillesoße übergossen wird. Das ist der Mohr im Hemd. Und ich glaubte, meinen Augen nicht zu trauen, weil ich in einem Restaurant jetzt gesehen habe, Dessert: "Farbiger im Hemd".

    Meurer: Aber das gibt es ja auch beim Negerkuss, das sagt keiner mehr. Der heißt jetzt Schaumkuss. Vor Kurzem gab es in Tübingen die Geschichte mit dem Mohrenköpfle, diese Begriffe gelten schon als anstößig.

    Maar: Manchmal geht mir die Political Correctness wirklich sehr viel zu weit. Auch wie Frau Schröder jetzt bei allen Märchen versucht, die zu ändern. Die Märchen haben eine tiefe symbolische Bedeutung, und die würde ich nicht ändern, indem ich jetzt plötzlich alles ändere.

    Mein Sohn hat ja sehr viel über Märchen geschrieben und hat nachgewiesen, dass die Stiefmutter, die im Märchen immer die Stiefmutter genannt wird, in Wirklichkeit die Mutter genannt wird, und dass es dieses ambivalente Mutterbild ist, das es auf der einen Seite die liebevolle Mutter ist und auf der anderen Seite auch die strafende Mutter, und dass das für das Kind symbolisiert wird in der normalen Mutter und in der Hexe. Das ist tiefenpsychologisch von großer Bedeutung für das Kind, und ich würde da jetzt nicht plötzlich die Hexe ändern.

    Meurer: Ganz kurz: Was würde das Sams dazu sagen?

    Maar: Mir fällt so früh am Morgen noch kein guter Reim ein. Ich bin gerade im Moment aufgestanden, sitze gerade bei meinem Morgenkaffee. Es würde wahrscheinlich irgendetwas reimen.

    Meurer: Gut. Wenn Sie dann Martin Taschenbier treffen, fragen Sie ihn nach dem Sams, was es sagen würde.

    Maar: Gut.

    Meurer: Paul Maar, der Kinderbuchautor, heute Morgen im Deutschlandfunk, …

    Maar: Noch ein bisschen verschlafen.

    Meurer: Danke, aber Ihre Meinung ist angekommen. Wir sprachen über sprachliche Glättungen in Kinderbüchern, wie jetzt zuletzt "Die kleine Hexe". Danke und auf Wiederhören, Herr Maar.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.