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Mandäismus
Ohne Priester keine Zukunft

Die Mandäer bilden eine rund 2000 Jahre alte Religionsgemeinschaft, die allerdings vom Aussterben bedroht ist. Auch in Deutschland leben rund 2500 Mandäer, doch sie haben keinen einzigen Priester. Deshalb fordern manche politische Unterstützung.

Von Tim Baumann | 16.07.2020
Irakische Mandäerinnen, auch bekannt als Sabierinnen, nehmen an einer traditionellen Zeremonie anlässlich des fünftägigen religiösen Feiertags Eid Al-Khalqeh (Erschaffung der Welt) am Ufer des Tigris teil. Die Mandäer sind eine der ältesten Religionsgemeinschaften der Welt.
Die Mandäer sind eine der ältesten Religionsgemeinschaften der Welt (dpa / Ameer Al Mohammedaw)
"Meistens ist es so, dass dann die Großfamilie zusammenkommt. Bis zum Sonnenuntergang soll die ganze Familie zu Hause sein. Und dann muss jeder sich waschen – also wirklich duschen – und dann wird ein Gebet ausgesprochen", erzählt die Münchnerin Sali al-Dehaisi über Neujahr, das wichtigste Fest der Mandäer.
"Wir feiern die Schöpfung der Welt sozusagen, also das ganze Entstehen."
Die Welt der Mandäer ist zweigeteilt. Denn der Mandäismus gilt als die letzte gnostische Religion und hat dementsprechend ein dualistisches Weltbild, erklärt Sam Saidi, der Bruder von Sali al-Dehaisi:
"Im Mittelpunkt des irdischen Lebens steht der Mensch. Er lebt in der vergänglichen Welt des Dualismus. Damit ist gemeint: Leben und Tod, Gut und Böse, Licht und Finsternis. Die Verbindung zwischen diesen Welten ist die Seele, die auch mit Vernunft und Tugenden verbunden wird."
Reihe "Wir sind die Sonstigen – kleine Religionen in Deutschland"
In Deutschland leben Christinnen und Christen, Konfessionslose und Religionsfreie, Muslime und Jüdinnen, Buddhistinnen und Hindus. Und "Sonstige". So werden kleinere Religionsgemeinschaften in Statistiken oft bezeichnet. Doch wer verbirgt sich dahinter? Wir haben Drusen und Jainas getroffen, ein daoistisches Zentrum und einen Sikh-Tempel besucht, mit Mandäern, Jesidinnen und Bahá’i gesprochen – und nach langer Suche sogar jemanden gefunden, der sein Leben am Shintoismus ausrichtet.
Das große Fasten
Die Vernunft nimmt in der Religion der Mandäer eine besondere Rolle ein. Das zeigt sich schon am Namen: Das Wort Mandäer stammt vom aramäischen Wort "Menda" ab, was Weisheit bedeutet oder Erkenntnis. Durch die Vernunft versuchen die Mandäer, sich Gott zu nähern und in die Lichtwelt zu gelangen. Diese Lichtwelt ähnelt dem, was andere Paradies nennen:
"Das menschliche Leben ist die andauernde Anstrengung, dass die Seele ihre edlen Attribute behält und zu ihrem edlen Ursprung zurückkehrt am Ende des Lebens", sagt Sam Saidi.
Dafür müssen die Mandäer ihre Seele trainieren – ein wichtiger Aspekt hierfür ist ihr Verhaltenskodex, den nennen sie "das große Fasten".
Mandäer: Religion ohne Zukunft?
Ihre Religion ist jahrtausendealt, hat aber nur noch rund 60.000 Anhänger und 42 Priester. Seit dem letzten Irak-Krieg haben nahezu alle Mandäer ihre Heimat im Zweistromland verlassen müssen. Sie leben heute über die ganze Welt verstreut. Die Zukunft des Mandäismus ist ungewiss.
Sam Saidi: "Also man fastet von allen Taten, die die Tugenden von den Menschen stören können und auch das Verhältnis zwischen dem Menschen und seinem Gott. Das heißt, wenn man die Gebote des großen Fastens in den heiligen Schriften von den Mandäern liest, erkennt man darin die Grundsätze eines korrekten ethischen Verhaltens. Sei es das Fasten vom Lügen, vom Stehlen, vom Mord, vom Betrug und so weiter."
Eine Konsequenz daraus ist der strikte Pazifismus der Mandäer. Das "große Fasten" sei aber auch eine große Anstrengung, meint Sam Saidi: "Da braucht man Energie, eine spirituelle Energie, eine spirituelle Kraft."
Schätze religiöser Erfahrungen
Diese Kraft wollen die Mandäer aus dem Studium ihrer heiligen Schrift ziehen, dem "Ginza Rabba", was übersetzt so viel bedeutet wie "Der große Schatz". Außerdem suchen sie auch im alltäglichen Leben nach religiöser Erkenntnis.
Sam Saidi: "Jede Erfahrung, die man selber macht mit der Wahrheit, der Existenz und so weiter, ist völlig legitim, nach Erreichen von einem bestimmten Wissensrang, dass man auch diese Erfahrung dokumentiert. Mit der Zeit haben sich dann auch viele dieser Erfahrungen zu einer – wir nennen das ‚Schatztruhe‘ entwickelt. Sprich: Das sind Schriften, die haben jetzt nicht unbedingt diesen Charakter von heiligen Schriften im Sinne von Koran oder Bibel, sondern die führt man als sogenannte Diwane. Und diese Diwane, das sind Sammlungen von den Erfahrungen der Vorfahren, wie sie bestimmte Weltanschauungen gesehen haben oder wie sie da Erfahrungen gemacht haben."
Sam Saidi (rechts) mit einem mandäischen Priester
Sam Saidi (rechts) mit einem mandäischen Priester (privat)
Fließendes Wasser
Die Suche nach Erkenntnis ist aber nur ein Aspekt, durch den die Mandäer ihre Seelen stärken wollen. Denn die Seele regeneriert sich im Mandäismus auch durch Rituale im fließenden Wasser, in denen jeder Schritt, jede Geste genau choreografiert ist. Die Mandäer glauben, dass das Wasser des Flusses ihre Seelen reinigt und sie für kurze Zeit mit der Lichtwelt verbindet.
Deshalb lassen sie sich im Laufe ihres Lebens immer wieder taufen, erzählt Sali al-Dehaisi: "Also, wenn man jetzt ein Gotteshaus hat und es da ein Wasserbecken gibt, in dem man immer getauft werden kann, man kann sich dann tatsächlich jeden Sonntag taufen lassen."
Nur noch 40.000 bis 60.000 Mandäer weltweit
Diese Möglichkeit haben heute aber nur noch wenige. Weltweit gibt es noch 40.000 bis 60.000 Mandäer - die Schätzungen variieren. Viele von ihnen sind auf der Flucht oder leben in der Diaspora. Ihre ursprüngliche Heimat ist das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris in Irak und Iran. Die Religion ist vor rund zweitausend Jahren entstanden. Es gibt Elemente, die sich auch in Judentum und Christentum finden. Besonders wichtig ist für die Mandäer Johannes der Täufer.
Mandäer im Irak feiern das Schöpfungsfest |
Ist Johannes der Täufer der Begründer des Mandäismus?
Nein. Johannes der Täufer, der laut der Bibel Jesus im Jordan getauft hat, gilt im Mandäismus als wichtiger religiöser Reformer. Auch die Wissenschaft geht heute nicht mehr davon aus, dass sich die Mandäer aus der Anhängerschaft des Johannes entwickelt haben. Früher wurde dies jedoch angenommen, weshalb die Mandäer fälschlicherweise auch als "Johannes-Christen" bezeichnet wurden.

Wie ist der Zusammenhang von Mandäismus und Gnosis?
Der Mandäismus gilt als eine der letzten, vielleicht die letzte gnostische Religion der Antike. Unter Gnosis (altgriechisch für "Erkenntnis") werden religiöse Entwicklungen aus dem 2. und 3. Jahrhundert zusammengefasst, die von Judentum, Christentum, antiker Philosophie und weiteren Religionen beeinflusst waren. Typische Merkmale, die auch der Mandäismus aufweist, sind eine dualistische Einteilung der Welt – etwa in Licht und Schatten - und das Streben danach, diese dualistische Welt zu erkennen und zu begreifen, um so in die "Lichtwelt" gelangen zu können.

Wofür ist der Mandäismus bekannt?
Die Taufe spielt für Mandäer wohl eine wichtigere Rolle als für jede andere Religion. Mandäer lassen sich mehrmals im Leben taufen, im Prinzip ist es jedem Gläubigen in jedem Gottesdienst möglich. Sie nutzen dafür fließende Gewässer wie Flüsse, aber auch große Taufbecken, die sie an ihren Gotteshäusern, den Mandis, errichten und durch die ebenfalls fließendes Wasser geleitet wird. Bei der Taufe stehen die Mandäer im Wasser und tauchen dreimal komplett unter.
Doch Kriege und Verfolgung haben die religiöse Minderheit an den Rand der Vernichtung gebracht – was manchmal auch ganz profane Gründe hat. Sali al-Dehaisi: "Die Goldschmiederei ist bei uns so der Hauptberuf, von früher an. Und viele unserer Großväter, Väter, Onkel sind jetzt Goldschmiede. Und es ist jetzt so, dass im Irak viele überfallen wurden. Die wurden dann gleich auf der Stelle getötet. Dann wurde der Laden ausgeraubt."
Viele andere Mandäer wurden entführt, erzählt Sali al-Dehaisi: "Wir bekommen immer wieder mit, wie Leute aus unserer Religion einfach als Geisel genommen werden, um dann Geld zu bekommen. Und es ist auch sehr oft vorgekommen, dass man dann das Geld zusammenbekommen hat und den Entführern gegeben hat – und dann bekommt man trotzdem nur eine Leiche zurück."
Priester müssen eingeflogen werden
Viele Mandäer haben deshalb ihre Heimat verlassen und auch in Deutschland Zuflucht gesucht. Hier können sie zwar in relativer Sicherheit leben – die Religion ausüben, das ist in der Diaspora aber kaum möglich. Das Problem: "Wir haben leider keinen Priester. Wir hatten einen in München, der ist aber dann nach Schweden ausgewandert. Die haben dort mehrere Gotteshäuser, wir sagen dazu 'Mandi'. Aber in Deutschland gibt es leider noch kein Gotteshaus", sagt Sali al-Dehaisi.
Sali al-Dehaisi
Sali al-Dehaisi (privat)
Weltweit soll es laut einer aktuellen Studie nur noch rund 40 mandäische Priester geben. Manchmal gelingt es den Mandäern in Deutschland, für einen hohen Feiertag einen Priester einzufliegen. Der sei dann aber oft überfordert, weil hunderte Gläubige aus dem ganzen Land anreisen, um sich im fließenden Wasser taufen zu lassen.
Sali al-Dehaisi: "Er steht halt die ganze Zeit im Wasser – und auch wenn gutes Wetter ist, dann ist es so, dass ihm halt irgendwann die Füße einschlafen im kalten Wasser. Und deshalb versuchen wir halt dann immer, gruppenweise die Taufe durchzuführen. Also, er gibt halt immer sein Bestes, möglichst viele Angehörige zu taufen, aber es ist leider nicht immer einfach. Und es ist halt immer schwierig, zwei Priester gleichzeitig nach Deutschland zu bringen."
Eine mandäische Taufe
Eine mandäische Taufe (privat)
Der Priestermangel hat auch noch eine andere Konsequenz, erklärt Sali al-Dehaisi: "Man betet auf Aramäisch. Das ist eine alte Sprache, die nicht jeder kann. Und sie ist auch sehr schwierig zu lesen. Das ist auch eine komplett andere Schrift als Arabisch. Und es ist auch schwierig, jetzt heutzutage diese alte Sprache zu lernen. Die können mittlerweile eigentlich auch nur unsere Priester und ein paar Leute, die sich für die Sprache interessieren, die können diese Schrift lesen und auch sprechen. Und dann kann man auch beten."
Konvertieren nicht vorgesehen
Viele Mandäer sind also auf jemanden angewiesen, der ihnen vorbetet und die Schriften übersetzt. Daher sind ihre Rituale und Traditionen vom Aussterben bedroht – und auch die Mandäer insgesamt fürchten um ihren Fortbestand. Denn Mandäer können traditionell nur diejenigen werden, deren Eltern auch Mandäer sind. Es gibt keine Konversion. Das kann in den Familien zu Konflikten führen.
Sali al-Dehaisi: "Weil, wenn man eine Person aus einer anderen Religion heiratet, dann ist das wie ein Austritt aus unserer Gemeinde. Und viele Eltern brechen da einfach den Kontakt zum Kind ab."
Auch hier ist Teil des Problems, dass die Mandäer in Deutschland keine Gotteshäuser haben.
Sali al-Dehaisi: "Wo wir uns wenigstens an unseren religiösen Festen treffen können und die Jugendlichen unter sich zum Beispiel kennenlernen – oder einfach mal zusammenkommen an bestimmten Festen. Es ist schwierig, dass die Jugend dann sich kennenlernt."
"Wir sind Träger der alten Kultur von Mesopotamien"
Gemeindezentren schaffen, Priester ausbilden – das sind in Deutschland also die wichtigsten Herausforderungen für die bedrohte Religionsgemeinschaft. Momentan scheitert das allerdings am Geld. Die mandäische Gemeinde könne diese Kosten nicht alleine stemmen, sagt Sam Saidi. Deshalb hofft er auf staatliche Unterstützung:
Sam Saidi: "Ich wünsche mir immer, dass da eine Kenntnis entsteht, dass wir tatsächlich Erbträger der alten Kultur von Mesopotamien sind. Ich finde es schade, dass wir jetzt nicht diese Unterstützung oder diese Aufmerksamkeit haben, um dieses Kulturerbe zu pflegen. Es wird oft darüber gesprochen, wie man zum Beispiel bestimmte Altertümer ausgräbt, es werden Bücher geschrieben über Geschichten oder halt Interpretationen von bestimmten Phänomenen dort. Auf der anderen Seite lebt eine ganze Gruppe von Menschen und pflegt eine Tradition, eine lebendige Praxis, bestehend aus vielen Kulturfaktoren und Bestandteilen. Und dazu gibt es keine Unterstützung."
In Deutschland leben inzwischen zwar rund 2500 Mandäer. Doch ihre Religion hat hier noch keine neue Heimat gefunden.