"Manifest" aus der SPD
Friedensinitiative oder Wunschdenken?

In einem sogenannten Manifest wenden sich SPD-Politiker gegen die Aufrüstung und fordern eine Wiederannäherung an Russland. Kritik kam prompt. Manche sehen darin aber auch den Anstoß zu einer gesellschaftlichen Debatte.

    Rolf Muetzenich, ehemaliger SPD Fraktionsvorsitzender, aufgenommen nach der Fraktionssitzung der SPD in Berlin, 26.02.2025.
    Rolf Mützenich und die anderen Unterzeichner des sogenannten "Manifests" wollen ein „Konzept der gemeinsamen Sicherheit“ in Europa. (picture alliance / photothek.de / Florian Gaertner)
    Prominente SPD-Politiker haben in einem "Manifest" eine Kehrtwende in der Außen- und Sicherheitspolitik der schwarz-roten Bundesregierung gefordert: Mehr Diplomatie und weniger Aufrüstung, inklusive einer Wiederannäherung an Russland. Zu den Unterstützern gehören laut der verbreiteten Liste auch frühere sozialdemokratische Ministerinnen und Minister aus Bund und Ländern, SPD-nahe Journalisten sowie linke und parteilose Persönlichkeiten.
    Damit wenden sie sich gegen die Linie der Bundesregierung, die Bundeswehr in den kommenden Jahren deutlich besser auszustatten und einen harten Kurs gegen den Kreml und dessen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu verfolgen. Das "Manifest" wird in Zeitungskommentaren auch als Absage an den Kurs von Parteichef Lars Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gewertet.
    Zu den über 100 Unterzeichnern des Papiers gehören unter anderem Ex-Fraktionschef Rolf Mützenich, der frühere SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans und Ex-Bundesfinanzminister Hans Eichel. Außerdem stehen mehrere Bundestagsabgeordnete hinter dem Papier, darunter die Energieexpertin Nina Scheer und der Außenpolitiker Ralf Stegner. Letzterer geriet kürzlich in die Kritik, weil er sich in Aserbaidschan zu Gesprächen mit hochrangigen russischen Vertretern getroffen hatte.

    Inhalt

    Worum geht es in dem "Manifest"?

    Kurz vor dem Bundesparteitag Ende Juni stellen sich SPD-Linke, aber auch Vertreter anderer sozialdemokratischer Strömungen, gegen die Pläne der Bundesregierung und der SPD-Spitze in der Außen- und Sicherheitspolitik. Das Papier skizziert "zentrale Elemente einer neuen, zukunftsfähigen Friedens- und Sicherheitspolitik". Um das "Töten und Sterben in der Ukraine" möglichst schnell zu beenden, werde "eine Intensivierung der diplomatischen Anstrengungen aller europäischen Staaten" benötigt.
    "Die Unterstützung der Ukraine in ihren völkerrechtlichen Ansprüchen muss verknüpft werden mit den berechtigten Interessen aller in Europa an Sicherheit und Stabilität. Auf dieser Grundlage muss der außerordentlich schwierige Versuch unternommen werden, nach dem Schweigen der Waffen wieder ins Gespräch mit Russland zu kommen, auch über eine von allen getragene und von allen respektierte Friedens- und Sicherheitsordnung für Europa", heißt es wörtlich.
    Die Verfasser sehen sich in der Tradition Willy Brandts und dessen Entspannungspolitik zu Zeiten des Kalten Kriegs. Militärische Alarmrhetorik und riesige Aufrüstungsprogramme würden am Ende nicht mehr Sicherheit für Deutschland oder Europa schaffen, sondern zur Destabilisierung und zur Verstärkung der wechselseitigen Bedrohungswahrnehmung zwischen NATO und Russland beitragen.
    Die Verfasser kritisieren auch die steigenden Verteidigungsausgaben. Für eine auf Jahre festgelegte Erhöhung des Verteidigungshaushalts auf 3,5 oder 5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gebe es "keine sicherheitspolitische Begründung", heißt es in dem Papier. "Wir halten es für irrational, eine am BIP orientierte Prozentzahl der Ausgaben für militärische Zwecke festzulegen." Zudem wenden sie sich gegen eine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen.

    Welche Reaktionen gibt es darauf?

    SPD-Parteichef und Vizekanzler Klingbeil distanzierte sich von dem Papier. Zu mehreren Aussagen aus dem "Manifest" habe er explizit eine andere Meinung, sagte der Bundesfinanzminister nach Angaben der SPD in einer Live-Unterhaltung mit Kevin Kühnert auf Instagram. "Wir brauchen keine Kehrtwende, was die Unterstützung der Ukraine angeht." SPD-Fraktionschef Matthias Miersch, ein Parteilinker, betonte ebenfalls seine Distanz zu dem "Debattenbeitrag". Verteidigungsminister Pistorius sprach mit Blick auf das "Manifest" von "Realitätsverweigerung".
    Solange der Kreml „an seiner aggressiv-imperialistischen Außenpolitik festhält“, sei eine neue Sicherheitsarchitektur mit Russland nicht möglich, sagte der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Adis Ahmetovic. Juso-Chef Philipp Türmer hingegen lobte das „Manifest“, weil es eine Debatte über deutsche Verteidigungsausgaben anstoße.
    Auch die Grünen haben mit scharfer Kritik auf das „Manifest“ reagiert. Vize-Fraktionschefin Agnieszka Brugger kritisierte den Aufruf als „Wunschdenken“. Die Verteidigungsexpertin verweist auf die „brutale Realität in der Ukraine“ und die „sehr offensichtlichen Sabotageversuche der Istanbuler Gespräche durch den Kreml“. Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter bezeichnete das "Manifest" als "ungeheuerlich".
    Vonseiten der AfD gab es dagegen Beifall für das „Manifest“. Die Partei sieht sich in ihrer Forderung, mit Russlands Präsident Putin ins Gespräch zu kommen, bestätigt. Politikerinnen und Politiker der AfD zeigen immer wieder eine große Nähe zum autoritären Regime in Moskau.

    Was spricht für militärische Aufrüstung?

    Der Bundesnachrichtendienst hat erst kürzlich wieder vor den Absichten Russlands gewarnt. Es gebe „nachrichtendienstliche Belege, dass die Ukraine nur ein Schritt auf dem Weg nach Westen ist“, sagte BND-Präsident Bruno Kahl.
    Einige Menschen in Moskau würden gern testen, ob Artikel 5 der NATO noch funktioniere, so Kahl. Der Artikel, auch "Bündnisfall" genannt, besagt, dass ein Angriff auf ein Nato-Land als ein Angriff auf alle Partner angesehen würde und eine gemeinsame Verteidigungspflicht auslöst. Kahl wirbt deshalb für Abschreckung – das sei der „unblutigste Weg, um Krieg zu verhindern.“
    Verhandlungen mit Russland hält auch Kahl derzeit nicht für vielversprechend. Russland sei bei den Verhandlungen in Istanbul nicht von seinem Ziel einer Kapitulation der Ukraine abgerückt.
    Hinzukommt, dass die Bundeswehr aus Sicht von Militärexperten zurzeit „nicht verteidigungsfähig“ ist. Auf dem Nato-Gipfel Ende Juni, der fast zeitgleich mit dem SPD-Parteitag stattfindet, will sich Deutschland dazu verpflichten, die Verteidigungsausgaben massiv hochzuschrauben.

    Wie geht es nach dem "Manifest" weiter?

    Umfragen zeigen, dass die Kriegsangst in der Bevölkerung weiter hoch ist. Das wissen Populisten für sich zu nutzen. Hat die SPD-Parteispitze also eine gesellschaftliche Debatte über Wiederbewaffnung, Krieg und Frieden unterschätzt?
    Nach Ausbruch des Krieges in der Ukraine stieg auch die Kriegsangst der Deutschen an. Im Januar 2025 gaben rund 45 Prozent der Befragten an, sich von einer militärischen Auseinandersetzung mit deutscher Beteiligung bedroht zu fühlen.
    Der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (SPD) spricht sich für eine Mitgliederbefragung auf dem kommenden Parteitag aus. Die grundsätzlichen Fragen, die das Manifest aufwirft, müssten dringend diskutiert werden, „auch um in der Bevölkerung Akzeptanz zu finden.“ Dazu gehört seiner Ansicht nach auch eine Debatte über die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht.
    Dass ein Antrag im Sinne des Manifests eine Mehrheit auf dem SPD-Parteitag finden würde, gilt als unwahrscheinlich. Verkannt wird von den Unterzeichnern auch, dass Willy Brandt als sogenannter sozialdemokratischer Friedenskanzler immer einen relativ hohen Verteidigungsetat von über drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts hatte.

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