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Mano Bouzamour: "Samir, genannt Sam"
Literarische Befreiungsschlag von der Religion

Der marokkanischstämmige Autor Mano Bouzamour stammt aus dem Amsterdamer Stadtteil De Pijp. Sein Romanheld entrinnt in "Samir, genannt Sam" der Enge und Ausweglosigkeit dieses Milieus. Für sein Werk muss der Autor viele Anfeindungen hinnehmen.

Von Angela Gutzeit |
    Bücherstapel
    Bouzamours Roman trägt autobiografische Züge. (imago stock&people)
    Amsterdams südliches Viertel De Pijp ist ein lebendiger Stadtteil. Trotz der Versuche zur Gentrifizierung hat sich das bunt gemischte Milieu aus Studenten, Künstlern und Migranten bis heute erhalten. Zur Romantisierung besteht allerdings kein Grund. Folgt man Mano Bouzamours Romandebüt "Samir, genannt Sam", dann ist De Pijp zwar nicht Molenbeek, trägt aber hier und dort Züge von Klein-Marokko mit Begleiterscheinungen wie Abschottung, Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität. Der marokkanischstämmige Bouzamour kennt dieses Milieu in- und auswendig. Und es ist deshalb sicherlich nicht verfehlt, in seinem Ich-Erzähler Samir sehr viel vom Autor selbst zu vermuten.
    Erzählt wird in diesem Buch eine Entwicklungs- und Emanzipationsgeschichte. Der junge Samir, der lieber Sam genannt werden möchte, befreit sich aus der Enge und Ausweglosigkeit seines muslimisch geprägten Umfelds. Dabei gelingt Bouzamour das Kunststück, seinen musikalisch hochbegabten und lernbegierigen Protagonisten mit genau der Dosierung an Frechheit, Respektlosigkeit, aber auch gewitztem Charme auszustatten, die nötig ist, um sich über die Regeln dieser geschlossenen Gemeinschaft hinwegzusetzten – und zwar ohne seine Verbundenheit mit dieser zu verraten oder zu verleugnen.
    Samir vollzieht keinen Milieuwechsel
    So vollzieht Samir auch keinen Milieuwechsel als er durch seine Liebschaften mit der weißen, wohlhabenden Schicht in Berührung kommt. Die Kluft bleibt bestehen, wird aber durch die unbändige Lebens- und Liebeslust des Bouzamourschen Helden gemildert. Sein Anliegen beschreibt der 25-jährige Erfolgsautor so:
    "Meine Hauptthemen in diesem Buch sind die Liebe, die Freundschaft, Brüderlichkeit. Ich habe über die sozialen Unterschiede in einer großen Stadt geschrieben, über Klassenunterschiede. Ich denke, das sind die wirklich wichtigen Themen in der ganzen Welt."
    Es stimmt schon: Die Klassen- und sozialen Unterschiede werden in diesem Roman deutlich hervorgehoben. Das Migrantendasein und die Wohn- und Lebensverhältnisse in den wohlhabenden Vierteln Amsterdams erlebt Samir wie verschiedene Gestirne. Aber hier liegt nicht unbedingt die Stärke dieses Buches. Überzeugender ist der scharfe Blick auf die eigene Community in De Pijp.
    Vor der Langeweile der Freitagshasspredigten des Imams kann Samir sich nur mit ausschweifenden erotischen Träumen retten. Und die Erziehung der strenggläubigen muslimischen Eltern hat nichts daran ändern können, das der geliebte ältere Bruder zusammen mit dem engsten Freund Soussi in die Schwerkriminalität abgeglitten ist. Bevor der Bruder im Gefängnis verschwindet, gibt er Samir den Rat, es besser zu machen. Und Sam macht es besser. Er schafft es aufs Gymnasium und verlässt später De Pijp.
    Der Held überspringt Grenzen
    Mano Bouzamour lässt seinen Helden Grenzen überspringen - die der sozialen Herkunft und die der Religion. Letzteres nimmt der Autor auch für sich selbst in Anspruch:
    "Ich habe mich auch dafür entschieden, nicht religiös zu sein. Denn wenn du religiös bist, dann beförderst du dich selbst in eine Box. Du kannst dich anderen, die anders sind, nicht mehr vermitteln. Ich denke, dass mein Schreiben diesen ganzen Bullshit überschreitet, ja? Es ist einfach nicht wichtig, wo du herkommst."
    Die religiöse Grenzüberschreitung hat Bouzamour in seinem Roman noch auf eine andere Weise vollzogen. Man könnte auch sagen: verstärkt. Genau in der Mitte des Buches, platziert wie ein Wendepunkt, erfährt sein Protagonist vom Schicksal des jüdischen Mädchens Anne Frank. Er liest ihr Tagebuch, immer wieder, wie es heißt, etwa 30 Mal. Mit immer mehr Wut und Trauer und Entsetzen. In wilden Gewaltfantasien stellt sich Samir vor, ihre Verräter und Peiniger bestialisch zu ermorden.
    Das ist sicherlich etwas überzeichnet. Wie auch die ganze Erfolgsgeschichte dieses Helden ein klein wenig zu schön ist, um wahr zu sein. Aber das muss man seinem Schöpfer doch lassen: Bouzamour hat ein mutiges, trotziges Buch geschrieben - gespickt mit rasanten Dialogen, voller Witz und sprachlicher Raffinesse. Aber für nicht wenige Menschen aus dem marokkanischen Milieu ist dieser literarische Befreiungsschlag eine Zumutung und sein Autor seitdem ein Nestbeschmutzer.
    "Da ist ein großer Teil der marokkanischen Community in Holland, die sehr, sehr wütend auf mich ist. Aber die meisten der Leute, die wütend auf mich sind, haben das Buch gar nicht gelesen. Sie hörten nur von dieser Geschichte. Einmal traf ich meinen Nachbarn. Er wohnt in der Straße gegenüber. Und wir gerieten in Streit, weil er auf meine Schuhe spuckte. Ich fragte ihn, warum er auf meine Schuhe spuckt. Yeah, meinte er, du hast die Marokkaner beleidigt, du hast die Muslime beleidigt. Du hast Allah beleidigt. Ich fragte ihn, ob er überhaupt das Buch gelesen hat. Nein, sagte er. Und er stieß mich und wir gerieten aneinander. – Das war der Beginn – als mein Buch erschien."
    Buchinfos: Mano Bouzamour: "Samir, genannt Sam"
    Roman, Residenz Verlag. 296 Seiten, Preis: 22,- Euro