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Marina Weisband
Verteidigung des alten, weißen Mannes

Als Zielscheibe der #metoo-Debatte mussten heterosexuelle, weiße Männer zuletzt einiges einstecken. Zu Unrecht, meint unsere Kolumnistin Marina Weisband. Nicht der Mann als solcher stehe in der Kritik, sondern der Mann als Norm für die Gesellschaft.

Von Marina Weisband | 27.12.2018
    HANDOUT - Die undatierte Aufnahme zeigt Horst Seehofer (M, CSU), Minister für Inneres, Bau und Heimat, zusammen mit den Staatssektretären Helmut Teichmann (l-r), Klaus Vitt, Gunther Adler, Marco Wanderwitz, Stephan Mayer, Günter Krings, Hans-Georg Engelke und Markus Kerber. Foto: /Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits |
    Keine einzige Frau: Als Horst Seehofer im Herbst die Staatssekretäre des Bundesinnenministeriums vorstellte, erntete er viel Kritik. (Bundesministerium des Innern, Bau und Heimat)
    Alte, weiße Männer: Ein Begriff, der in bestimmten Kreisen mit großer Zuverlässigkeit auftaucht und in anderen Kreisen mit noch größerer Zuverlässigkeit für Empörung sorgt. Der Subtext in den 2010er-Jahren, zwischen #metoo, den amerikanischen Midterm-Wahlen, durchgehend weiblichem CDU-Vorsitz etc., ist: Das Zeitalter der alten, weißen Männer ist vorbei.
    Nicht alle alten, weißen Männer sind reich
    Dabei klingt das so beleidigend! Warum sollte man jemanden abwerten, bloß weil er zufällig betagt, blass und männlich ist? Haben denn alle alten, weißen Männer Macht? Sind sie etwa alle privilegiert? Was ist mit denen darunter, die arm sind? Die depressiv sind? Die einsam sind oder chronisch krank?
    Ist es nicht absurd, dass wir einer ganzen Gesellschaftsgruppe sagen: "Jetzt seid mal kurz still?" Jeder, der zufällig ein weißer Mann ist, am besten auch noch cis und heterosexuell, denkt: "Hey Moment, was hab' ich getan?"
    Porträtfoto von Marina Weisband
    Marina Weisband (Lars Borges)
    Die Essenz des Weißer-Mann-Seins
    Das ist aber der falsche Gedanke. Der Grund, warum die einen diesen Begriff so gern nutzen und die anderen sich so bitter darüber empören, ist, dass beide damit Verschiedenes meinen. Wenn ich zum Beispiel von alten, weißen Männern rede, meine ich keinen einzigen individuellen weißen Mann. Ich spreche mehr von der Essenz des Weißer-Mann-Seins.
    Ich habe viele Freunde, die durch ihr Leben als weiße Männer gegangen sind und sicherlich Probleme hatten. Aber sie hatten nie Probleme aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer Hautfarbe zusätzlich zu ihren Problemen. Das ist ihnen nur nie aufgefallen, weil sie nun mal nie ein anderes Geschlecht oder eine andere Hautfarbe hatten. Als sie es irgendwann verstanden, sagten einige davon: "Es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen, dass Menschen diese völlig andere Lebenserfahrung haben können." Und das ist ein wenig der Punkt.
    "Check mal deine Privilegien"
    Es ist recht leicht zu sehen, warum jemand mit einer Behinderung einen Nachteil im Leben haben könnte. Oder warum jemand leidet, wenn ihn der Partner verlassen hat. Aber strukturelle Diskriminierung ist wirklich schwer zu sehen. Man muss sie einmal erlebt haben, um sie zu verstehen - all die kleinen Dinge, die einem jeden Tag begegnen, wenn man als Frau in der Politik oder als Person of Color irgendwo unterwegs ist.
    Unsere Welt ist aber noch immer, auch medial, ganz stark beherrscht von Menschen, die diese Erfahrungen systematischer Diskriminierung kaum je gemacht haben. Das ist nicht ihre Schuld! Sie machen das ja nicht aus Bosheit! Aber wenn man sagt: "Check mal deine Privilegien", meint man genau das. Besinne dich darauf, dass andere Menschen andere Erfahrungen gemacht haben, in die du dich nicht hineinversetzen kannst. Gib diesen Menschen eine Stimme.
    Der weiße Mann als Norm für "Mensch"
    Sehr deutlich wurde mir das nochmal, als Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen Vorsitzenden der CDU gewählt wurde und die "Zeit" titelte: "Ein Hauch von Matriarchat". Bei all meiner Liebe zu Bernd Ulrich, aber das ist eine "Weißer-Mann-Überschrift". Niemand würde auf die Idee kommen, das Patriarchat zu betonen, wenn ein Mann einem anderen Macht übergibt.
    Eine Frau an der Macht ist ja in Ordnung. Das ist die gleichberechtigte Gesellschaft. Aber wenn mal zwei Frauen eine machtvolle Position innehaben, dann ist das gleich ein Hauch von Matriarchat? Dieses Beispiel, sowie eine Sintflut von Beispielen im medialen Bereich, deren Nennung mich hier überfordern würde, sind einfach nur Ausdruck dessen, dass der weiße Mann nun mal immer noch die Norm für "Mensch" ist und alles davon Abweichende das Besondere.
    Wir brauchen euch - und alle anderen
    Das Ende der alten, weißen Männer bedeutet nicht wörtlich das Ende aller tatsächlichen individuellen weißen Männer. Sondern das Ende von deren Projektion als Norm und Mittelpunkt der Gesellschaft. Hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen auch mal weiblich und lesbisch und schwarz sein und Macht haben können, ohne dass irgendjemand das seltsam findet.
    Also seid uns nicht böse, liebe alte, weiße Männer. Wir brauchen euch. Wir brauchen nur auch alle anderen.