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Martha Nussbaum
"Königreich der Angst"

Hinter der politischen Krise der USA verbirgt sich Angst, die seit frühester Kindheit prägt - und die eine große Gefahr für die Demokratie ist. Das ist die These der US-amerikanischen Philosophin Martha Nussbaum. Statt auf Weltuntergangsstimmung setzt sie auf Mäßigung und staatsbürgerliche Liebe.

Von Anne-Kathrin Weber | 04.03.2019
Buchcover Martha Nussbaum "Das Königreich der Angst" vom wbg Theiss Verlag. Hintergrundbild: ein Gewirr von dunklen Gestalten.
Um ein Gegengewicht zu politischen Ängsten zu schaffen, sollte laut Nussbaum eine staatsbürgerliche „Liebe“ kultiviert werden. (Buchcover: wbg Theiss Verlag/ Hintergrund: Ikon Images)
Als Babys sind wir dem Leben hilflos ausgeliefert. Ständig müssen wir fürchten, dass uns unsere Bezugspersonen verlassen und damit nicht nur die Quelle von Nahrung, sondern auch von Liebe und Geborgenheit. Diese Ur-Angst prägt jedoch nicht nur die Anfänge unseres individuellen Lebens - auf den angstvollen Erfahrungen aus der frühesten Kindheit basiert auch die gegenwärtige politische Krise der USA. Diese These stellt die US-amerikanische Philosophin Martha Nussbaum in ihrem neuen Buch "Königreich der Angst" auf:
"Die narzisstische, ängstliche Welt, in der wir begannen, dehnt sich in Zeiten der Not und Angst wieder aus und gefährdet unsere zögerlichen Schritte hin zum moralischen Erwachsensein und zu einer konstruktiven Staatsbürgerschaft."
Für Nussbaum stellt die Angst damit eine wesentliche Gefahr für die Demokratie dar. Eigentlich tauche diese Emotion traditionell in absoluten Monarchien auf, wo Alleinherrscher mit ihrer Hilfe politische Ziele verwirklichten. Bestimmt die Angst jedoch maßgeblich das politische Handeln in einer Demokratie, behindert sie damit laut Nussbaum das notwendige Vertrauen und das gleichberechtigte Geben und Nehmen zwischen den Bürgern. Außerdem nähre die Angst andere politische Emotionen wie Ekel, Zorn und Neid, die die amerikanische Gesellschaft gegenwärtig prägten.
Mahnung zur Mäßigung
Dass diese demokratiefeindlichen Emotionen grundlegend auf Angst beruhen - das ist neu in Nussbaums umfassender und einflussreicher Theorie über politische Emotionen. Allerdings sind viele ihrer Ausführungen über deren Wirkmacht bereits fester Bestandteil ihrer Analysen. Mit "Königreich der Angst" bietet Nussbaum daher vor allem einen Debattenbeitrag an. Darin mahnt die Philosophin angesichts der verbreiteten politischen Ängste zu Mäßigung und Reflexion - und zwar auf allen Seiten des politischen Spektrums.
Die gegenwärtige Zeit möge wie ein "Rückschritt in unseren Bemühungen in Richtung menschlicher Gleichberechtigung erscheinen, aber sie ist nicht die Apokalypse, und es ist tatsächlich eine Zeit, in der Hoffnung und Arbeit viel Gutes bewirken können. Nicht nur werden auf linker wie rechter Seite die Gefahren durch Panik übertrieben, sondern durch diese Panik wird die Zeit noch viel gefährlicher, als es sonst der Fall wäre, und dieser Umstand lässt wirkliche Desaster wesentlich wahrscheinlicher werden."
Liebe für den politischen Gegner
Um ein Gegengewicht zu politischen Ängsten, wie beispielsweise vor Muslimen oder Trump-Wählern, zu schaffen und damit reale Gefahren von der amerikanischen Demokratie abzuwehren, sollte laut Nussbaum eine bestimmte staatsbürgerliche "Liebe" gesellschaftlich kultiviert werden:
"Liebe, die mehr als ein narzisstisches Bedürfnis ist, verlangt die Fähigkeit, die andere Person als eigenständige Person zu sehen, sich vorzustellen, was diese andere Person fühlt und will, und dieser Person ein eigenes Leben jenseits von sklavischer Abhängigkeit zu ermöglichen."
Martin Luther King und Nelson Mandela sind für Nussbaum historische Paradebeispiele dafür, wie eine so verstandene Liebe tiefe ideologische Gräben überwinden und transzendieren kann. Der Gedanke einer gesellschaftlichen Liebe ist seit langem fest in Nussbaums Theorie verankert und charakteristischerweise mit einem, wenn auch kritischen, Patriotismus verbunden. Charakteristisch ist auch, dass Nussbaum ihre Gedanken mit Beispielen aus der Antike sowie aus der zeitgenössischen Kultur unterfüttert und sich selbst des Öfteren mit persönlichen Anekdoten einschaltet.
Die Philosophin Martha C. Nussbaum bei einer Preisverleihung in Spanien
Die Autorin Martha C. Nussbaum bei einer Preisverleihung in Spanien . (picture alliance / dpa / Jose Luis Cereijido)
Auch wenn Nussbaums essayistischer Schreibstil abstrakte Theorie verständlich und nahbar macht, hätte hier etwas mehr Subtilität gut getan. Zudem wirken einige Gedanken, wie beispielsweise im Kapitel über Frauenfeindlichkeit, eher diffus, andere zuweilen zu stark konstruiert. Ein Beispiel hierfür ist die Aussage, dass die rechtsextremen Demonstranten, die vor anderthalb Jahren in Charlottesville aufmarschierten, "neidische Menschen", gewesen seien.
Dienst für die Allgemeinheit
Dessen ungeachtet bietet Nussbaum in ihrem Buch neben der Weiterentwicklung ihrer Emotionstheorie auch konstruktive Ideen an, um die politische und gesellschaftliche Zukunft der USA langfristig gemeinschaftlicher und sozialdemokratischer auszurichten.
Neben der Förderung der Künste, für die sich Nussbaum seit langem als wortstarke Befürworterin einsetzt, wirbt sie in "Königreich der Angst" unter anderem für einen, "nationalen Dienst, der von allen jungen Menschen zu leisten ist und sie im Rahmen einer sinnvollen Tätigkeit in engen Kontakt zu Menschen bringt, die sich von ihnen in ihrem Alter, ihrer ethnischen Zugehörigkeit und ihren wirtschaftlichen Verhältnissen unterscheiden."
Angelehnt an den früheren deutschen Zivildienst skizziert Nussbaum hiermit einen Vorschlag dafür, wie eine, "Kultur der Tugendhaftigkeit" konkret gefördert werden könne. Diese empfiehlt sich wohl auch für Deutschland beziehungsweise Europa, auf die sie aber nur im Nachwort zur deutschen Ausgabe kurz zu sprechen kommt.
Gerade hierzulande schätzt Nussbaum die Gefahr der erstarkenden Angst potenziell größer als in den USA ein, weil die europäische Geschichte stärker von Homogenität geprägt sei als die des traditionellen Einwanderungslandes. Sowohl Amerikanern als auch Europäern rät Nussbaum in der aktuellen politischen Lage jedoch vor allem zu einer bewussten Übung in Zuversicht:
"Tatsächlich ist Hoffnung eine Wahl, die man trifft, und sie ist eine praktische Gewohnheit."
Position der Mitte
Angesichts der Kakofonie der Stimmen aus verschiedenen politischen und ideologischen Lagern ist Nussbaums unbeirrbarer Glaube an gute Mitmenschlichkeit und ihr Insistieren auf die Wirkmächtigkeit von politischen Emotionen eine wohlklingende Abwechslung - auch wenn man ihre Position der Mitte und ihr Plädoyer der Mäßigung letztlich nicht unbedingt teilen muss. Dass wir uns für die Hoffnung entscheiden und dabei den politischen Gegner als eigenständigen Menschen sehen und behandeln müssen - damit bringt Nussbaum treffend den Minimalkonsens auf den Punkt, auf den wir uns in Zeiten tiefgreifender politischer und gesellschaftlicher Umbrüche so dringend einigen sollten.
Martha Nussbaum: "Königreich der Angst. Gedanken zur aktuellen politischen Krise",
WBG Theiss, 304 Seiten, 28,00 Euro.