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Mary Beard
"Frauen und Macht. Ein Manifest"

Die britische Historikerin Mary Beard ist im angelsächsischen Kulturkreis bestens bekannt: Ihre Bücher über das römische Reich sind Bestseller und sie moderiert BBC-Serien über alte Geschichte. Jetzt hat Beard in einem Buch zwei Essays zum Verhältnis von Frauen und Macht vorgelegt.

Von Sabina Matthay |
    Hintergrundbild: 3. März 2017 - London, Großbritannien - MARY BEARD hällt einen Vortrag im British Museums über das Bild und die Realität von Frauen an der Macht, vom Mythos des Matriarchats bis Theresa May. Vordergrund: Buchcover
    Wer die Macht hat, hat das Wort, und beides ist immer noch fest in Männerhand, zu Lasten von Frauen. Die Kernthese von Mary Beards Manifest. (imago stock&people / Ray Tang / S.Fischer Verlag)
    Wer die Macht hat, hat das Wort, und beides ist immer noch fest in Männerhand, zu Lasten von Frauen. Die Kernthese von Mary Beards Manifest reicht sogar noch weiter: "Wenn es darum geht, Frauen zum Schweigen zu bringen, hat westliche Kultur Jahrtausende praktischer Erfahrung."
    Bis heute werden Frauen in aller Öffentlichkeit von Männern belehrt, unterbrochen, heruntergeputzt. Wer das bestreitet, sei an die Präsidentschaftswahldebatten 2016 zwischen Donald Trump und Hillary Clinton erinnert.
    Solche Schikane hat Tradition. Mary Beard zeigt, wie schon die alten Griechen Frauen mundtot machten: "Öffentliche Rede und Redekunst waren nicht nur etwas, was Frauen in der Antike nicht taten: es handelte sich um exklusive Praktiken und Fertigkeiten, die Männlichkeit als soziales Geschlecht definierten. [...] Öffentliche Rede war ein, wenn nicht das entscheidende Attribut von Maskulinität."
    Kein Wunder, wenn Männer die weibliche Stimme über die Jahrhunderte auch vehement abwerteten: dass Frauen angeblich kreischen und zetern und deshalb besser schweigen sollten, das fand Henry James ebenso wie Semonides von Amorgos zweieinhalbtausend Jahre vor ihm.
    Die erfolgreiche Frau - die bedrohliche Medusa
    Nur in zwei Fällen durften Frauen stets unangefochten öffentlich sprechen: wenn ihnen Gewalt angetan worden war und wenn es um Kinder und Haushalt ging.
    Deshalb fragt sich die geneigte Leserin, warum Beard ausgerechnet die "Black Lives Matter" - Bewegung als Beispiel eines ganz neuen, frauengemäßen Machtkonzepts preist. Schließlich engagieren deren Anführerinnen sich für Opfer und Familie, also für Belange, die Männer Frauen schon immer zugestanden haben. Auch die MeToo-Kampagne, so wichtig sie ist, wäre nach Beards Deutung keineswegs revolutionär.
    In ihrem zweiten Essay geht es Mary Beard um die Darstellung - und Verunglimpfung - erfolgreicher Frauen. Vor allem Politikerinnen werden oft als Ungeheuer Medusa gezeigt, im letzten US-Präsidentschaftswahlkampf machte in sozialen Medien eine blutrünstige Montage die Runde, in der Donald Trump die Medusa Hillary Clinton enthauptete.
    Der herrschende männliche Diskurs
    Solche Mord-Phantasien treiben auch viele Twitter-Nutzer um, die die streitbare Altertumswissenschaftlerin Beard angreifen: "Es ist gruselig, was Twitter-Schikaneure so schreiben; da heißt es zum Beispiel: 'Ich schneide Dir die Zunge ab, ich schneide Dir den Kopf ab und vergewaltige ihn'".
    Sich Gehör zu verschaffen sei Voraussetzung für die Teilhabe an der Macht, so Mary Beard, Frauen hätten in dieser Hinsicht viel erreicht. Doch immer noch würden erfolgreiche Frauen als Eindringlinge aufgefasst, die sich dem männlichen Kodex der Macht unterwerfen müssten, um akzeptiert zu werden. Etwa äußerlich, indem sie Hosenanzüge tragen wie Bundeskanzlerin Merkel oder sich tiefere Stimmlagen antrainieren wie Großbritanniens erste Premierministerin Thatcher. Reine Maskerade, die das Problem nicht löse, findet Beard: "Statt Frauen zur Sprecherziehung zu treiben, um eine schöne, tiefe, raue und völlig künstliche Tonlage zu erlangen, sollten wir mehr über die Verwerfungen und Brüche nachdenken, die dem herrschenden männlichen Diskurs zu Grunde liegen."
    Sie sei während des Schreibens sehr wütend gewesen, bekennt Mary Beard im Nachwort. Das merkt man den witzig und prägnant formulierten Essays dieses schmalen Bändchens nicht an. Beard jammert nicht, sie ist ungeduldig: "Irgendwie hat sich das, was in unseren Köpfen vorgeht, wie wir über Macht denken, nicht so sehr verändert wie wir gern glauben möchten."
    Das gilt nicht nur für Männer. Beard argumentiert, dass auch Frauen Macht immer noch männlich denken: "Das trifft sogar auf Professorinnen zu: das kulturelle Stereotyp ist so stark [...], dass es selbst für mich schwer ist, mir mich oder jemanden wie mich in meiner Rolle vorzustellen."
    Wenn Frauen Frauen diffamieren
    Deshalb ist es schade, dass Beard auf einen wichtigen Aspekt der Perpetuierung von männlicher Macht nicht eingeht, nämlich auf den Anteil, den Frauen daran haben. Wenn beispielsweise Journalistinnen Angela Merkels Entscheidungen als "eiskalt" diffamieren oder die Kanzlerin als "Mutti" abwerten, dann reproduzieren sie das Bild von der Frau, die an der Macht eigentlich nichts zu suchen hat. Das ist subversiver und deshalb vielleicht effektiver als offene Störmanöver von Männern.
    Solange Frauen Vorstellungen verfestigen, die sie letztlich selbst benachteiligen, wird auch Beards Empfehlung nicht greifen. Sie glaubt, eine Neudefinition des Konzepts der Macht könne Frauen die Teilhabe an derselben sichern. Doch wer sich für mächtig erklärt, ist es noch nicht. Erst wer über Anhänger, Prestige, Mandat verfügt, hat Einfluss und kann Veränderungen bewirken.
    Deshalb fragt sich auch, warum ein Engagement im Fußvolk angemessener sein soll als ein Platz an der Spitze. Erliegt Beard hier nicht dem Denken, das sie kritisiert?
    Ihre Darstellung, wie Frauen von der Antike bis heute zum Schweigen gebracht und von der öffentlichen Vertretung ihrer Anliegen abgehalten werden, ist eindrücklich und überzeugend. Ihre Schlussfolgerungen sind es jedoch oft nicht.
    Zielführend ist dagegen Mary Beards kämpferischer Rat an ihre Leserinnen, Streit und Anwürfen nicht auszuweichen. Die Klügere gibt nicht klein bei, sie verteidigt ihr Recht auf öffentliche Rede und auf ihren Platz am Tisch.
    Mary Beard: Frauen und Macht. Ein Manifest übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister,
    S. Fischer Verlag, 96 Seiten, 12,00 Euro.