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Maßnahmen gegen Corona
Die Rolle der Schulen im Infektionsgeschehen

Seit dem 2. November gilt der Teil-Lockdown. Anders als im Frühjahr werden Schulen und Kitas dieses Mal aber vorerst nicht geschlossen. Die damalige Annahme, dass Kinder Beschleuniger der Epidemie sind, hat sich so nicht bestätigt.

Von Volkart Wildermuth | 02.11.2020
Eine Lehrerin mit Winterjacke und Mundschutz steht vor der Tafel und gestikuliert
Einen Mund-Nasen-Schutz sollten Lehrkräfte zurzeit in jedem Fall tragen – zumindest, wenn sie sich im Klassenraum bewegen (picture alliance / imageBROKER / Michael Weber)
Noch im Frühjahr dieses Jahres wurden schnelle Schulschließungen als wichtiges Mittel im Kampf gegen die Corona-Ausbreitung betrachtet. Was bei einer Grippe wirkungsvoll sein könnte, ist es im Fall des neuen Virus SARS-CoV-2 hingegen nicht. Mit fortschreitender Forschungslage lässt sich die These "Schulen gleich Infektionsbeschleuniger" nicht aufrechterhalten.

Können Kinder SARS-CoV-2 effektiv verbreiten?

In dieser Frage sind sich Virologen nach wie vor uneinig. Es ist schon länger bekannt, dass sich Kinder auch mit dem Coronavirus anstecken können, aber seltener Symptome entwickeln als Erwachsene. Deswegen wird eine Infektion bei Kindern vermutlich auch häufiger übersehen. Das zeigt auch eine Studie zu Antikörpern aus Bayern. In dieser Untersuchung wurden Hinweise auf eine überstandene Infektion bei Kindern sechsmal häufiger gefunden, als sich aufgrund der positiven Tests vermuten ließ. Dennoch hatten weniger als ein Prozent der Kinder überhaupt Kontakt zu dem Virus. Zumindest im Abstrich können Kinder durchaus eine hohe Virenkonzentration aufweisen. Vielleicht sorgt aber ihr kleines Lungenvolumen dafür, dass die Erreger nicht so weit verbreitet werden.

Dennoch gibt es Ausbrüche an Schulen ...

Das stimmt – bislang jedoch verhältnismäßig selten. Von mehr als 32.000 Schulen waren in der vergangenen Woche 165 geschlossen, berichtet die "Welt". Interessant ist auch, dass Grundschulen und Kitas bei den bekannten Ausbrüchen anscheinend weniger betroffen sind als die weiterführenden Schulen.
Weltärztepräsident Montgomery - "Wir haben keinen Lockdown, wir haben Kontaktbeschränkungen"
Ohne Impfstoff gegen das Coronavirus sind Kontaktbeschränkungen nach Ansicht von Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery das einzige Mittel, um die Pandemie zurückzudrängen. Wichtig sei, die Maßnahmen auch freiwillig fortzusetzen und nicht sofort "wieder fröhlich feiern zu gehen", sagte er im Dlf.
Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) zufolge sind die Hälfte der Infizierten bei Ausbrüchen an Schulen Erwachsene. Gelegentlich kommt es zwar auch zu Übertragungen zwischen Schüler*innen, doch unterm Strich sieht es stärker danach aus, dass die Infektionen von außen in die Schulen eingetragen werden. Nach derzeitigem Forschungsstand kann also nicht der Schluss gezogen werden, dass Schulen massiv zur Ausbreitung der Viren in der Gesellschaft beitragen. Das Alter der Schüler*innen scheint jedoch eine wesentliche Rolle zu spielen: Jugendliche ab 15 Jahren infizieren sich genauso häufig wie Erwachsene und haben in der Regel auch viele Kontakte.

Was bedeutet das für den Schulunterricht?

Erstmal spricht alles dafür, die Schulen offen zu lassen. In diesem Punkt sind sich die meisten einig. Wenn die Infektionszahlen in der Gesellschaft insgesamt ansteigen, wird natürlich auch das Virus häufiger in die Schulen eingetragen. Das RKI plädiert deshalb dafür, die Maßnahmen an den Schulen an die Inzidenz der jeweiligen Region anzupassen. Die höchste Stufe soll bei 50 Fällen pro 100.000 Einwohner in der Woche greifen. Das ist in Deutschland großflächig schon erreicht. Dann sollten auch jüngere Kinder im Klassenzimmer einen Mund- und Nasenschutz tragen und die Gruppen nach Möglichkeit geteilt werden.
Rheinland-Pfalz, Remagen: Schüler eines Gymnasiums nehmen in einem Klassenzimmer am Unterricht bei geöffnetem Fenster teil.
Schulen in der Coronakrise - "Wechselunterricht ist verantwortungsvoll"
Der Gesundheitsschutz komme derzeit an den Schulen zu kurz, kritisierte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe im Dlf. Sie plädierte für den vom Robert-Koch-Institut ab einer Inzidenz von 50 empfohlenen Wechselunterricht. Dann gebe es noch regelmäßig Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern.

Wie lautet das Fazit der Wissenschaft?

Diverse Studien legen nahe, dass Schulen keine Treiber der Infektionswelle sind. Vonseiten der Politik wird es ähnlich gesehen: Bund und Länder betrachten Schließungen von Kitas uns Schulen derzeit als das letzte Mittel, wenn es um Einschränkungen geht.

Warum standen Schulen im Frühjahr im Fokus?

Damals war noch wenig über SARS-CoV-2 bekannt und es lag nahe, das neue Virus mit schon bekannten Atemwegserregern zu vergleichen. Bei der Grippe ist es beispielsweise tatsächlich der Fall, dass Kinder und Jugendliche stark zur Verbreitung der Viren beitragen. Nach und nach hat sich herausgestellt, dass SARS-CoV-2 eben keine Grippe ist und die Schulen nicht diese besondere Bedeutung haben. Bei der Grippe haben ältere Menschen in der Regel schon viele Varianten miterlebt und besitzen deshalb einen gewissen Schutz. Kindern fehlt dieser Schutz aber, weshalb sie Grippeviren vergleichsweise stark verbreiten. Im Fall des neuen Virus SARS-CoV-2 gibt es diesen Unterschied zwischen den Generationen nicht. Schulen sind deshalb wahrscheinlich nicht die entscheidenden Infektionsorte.
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)