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Mathematiklehrer über Lernen mit YouTube
"Erreiche die Schüler dann, wann die Schüler es wollen"

Mehr als 1.000 Lernvideos hat der Mathematiklehrer Kai Schmidt bei YouTube gepostet. Durch die Rückmeldungen dort sehe er, dass er wirklich helfen könne, sagte der Schulrektor im Dlf. Seine Erfahrung zeigen jedoch: Lernvideos funktionieren nicht in allen Fächern gleich gut.

Kai Schmidt im Gespräch mit Jasper Barenberg |
Der Youtuber Lehrerschmidt bringt seinen Followern Mathe bei
Der Youtuber Lehrerschmidt bringt seinen Followern Mathe bei (Youtube-Screenshot)
Jasper Barenberg: Schminktipps, Pannenvideos und Influencer mit Millionen Abonnenten – all das und viel mehr findet sich auf YouTube. Und wenn Jugendliche dort surfen, dann suchen sie vor allem nach Ablenkung und nach Unterhaltung. Aber - auch das hat der Rat für kulturelle Bildung mit seiner Befragung herausgefunden: Jeder vierte sucht gezielt nach Informationen, nach Wissen. Wenn Schülerinnen und Schüler nicht mehr weiterwissen, dann suchen sie gezielt ein Video, das ihnen hilft zur Vorbereitung von Klassenarbeiten, für Hausaufgaben, und gerade das Angebot in den Naturwissenschaften ist riesig.
Über 1.000 Lernvideos hat der Mathelehrer Kai Schmidt ins Netz gestellt. In diesem Moment sitzt er in der Oberschule in Uelsen in einer Abiturprüfung. Deshalb haben wir gestern vor dieser Sendung telefoniert und ich habe ihn gefragt, warum er diese Lernvideos auf YouTube postet.
Linke Hand Kamera, rechte Hand Stift
Kai Schmidt: Das ist tatsächlich aus dem Unterricht entstanden. Ich hatte vor vier Jahren eine ganz, ganz tolle zehnte Klasse. Die haben aber leider nie Hausaufgaben gemacht und die haben mir immer erzählt, dass sie es nicht konnten. Da bin ich dann angefangen und habe ganz kurze Lernvideos gedreht. Und zwar wirklich müssen Sie sich das vorstellen, linke Hand Kamera, rechte Hand Stift, und habe die Aufgaben vorgerechnet und das auf den Schulserver hochgeladen. Aber nach kurzer Zeit war der Schulserver voll und ich brauchte irgendeine Möglichkeit, wo ich Videos zwischenspeichern konnte, und dann gab es Google, in dem Fall YouTube.
Barenberg: Muss ich das auch so verstehen, dass Ihr Unterricht, wenn ich da so persönlich werden darf, nicht ausgereicht hat, um den Stoff zu vermitteln?
Schmidt: Ich glaube, man muss da zwei Dinge beachten. Das eine ist: Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass es eine Ausrede eines Schülers ist zu sagen, ich habe das nicht verstanden, um sich vor den Hausaufgaben zu drücken. Das andere ist natürlich: Klar kann es bei einer ähnlichen Aufgabe auch zu Problemen kommen. Ich glaube, das ist wahrscheinlich beides.
"Die größte Freude für mich sind die Kommentare"
Barenberg: Haben Sie denn einen Eindruck davon - ich meine, die Zahl ihrer Abonnenten ist ja wirklich beachtlich -, haben Sie auch persönlich aus den Reaktionen, sagen wir, im Netz einen Eindruck davon, wie wichtig die Videos für die Nutzer, für die Schülerinnen, die Schüler, die Abonnenten sind?
Schmidt: Ich begleite diesen Prozess jetzt ja seit vier Jahren vom ersten Video bis heute, und das allerschönste an meinem Kanal und die größte Freude für mich, das sind die Kommentare und die Rückmeldungen. Und die sind nicht nur herzlich, sondern auch wirklich immer nett, und man sieht wirklich und man bekommt die Rückmeldung, dass man wirklich hilft und wirklich was bewegt. Ja, das ist einfach toll.
Barenberg: Was schätzen die Schülerinnen und Schüler? Ich habe gelesen, für viele Videos ist auch bezeichnend, dass sie schlicht mehr Spaß machen als der normale Unterricht eines normalen Mathelehrers.
Schmidt: Ich habe natürlich das große Glück, dass ich, wie sagt man so schön, ein anderes Setting habe. Ich erreiche die Schüler dann, wann die Schüler es wollen, und das ist natürlich ein ganz großer Unterschied. Ich habe nicht die Illusion, dass ich es besser oder schlechter als ein anderer Mathelehrer erkläre. Ich glaube aber sehr wohl, dass manchmal eine Lehrer-Schüler-Beziehung ganz, ganz wichtig ist. Und ich glaube, dass ein Mathelehrer mit einem Schüler vielleicht besser funktioniert als mit einem anderen Schüler. Vielleicht bin ich da für einige einfach die richtige Wahl, während ich für andere dann auch nicht die richtige Wahl bin.
"Ergänzung zur Vorbereitung, zur Nachbereitung, zum Lernen"
Barenberg: Kann es auch sein – das hat ja dieser Rat für kulturelle Bildung bei der Studie, bei dieser Befragung auch herausgefunden -, dass es so sein könnte, dass es auch ein angstfreier Zugang ist und dass es heute auch Realität in Klassenzimmern ist, oder immer noch Realität, ich weiß es gar nicht, dass man nicht zugeben mag oder zugeben kann, dass man etwas noch nicht verstanden hat und dann dankbar ist für diese Extrarunde, die man im Netz drehen kann?
Schmidt: Gelesen habe ich es auch. Ich kann mir das Ganze vorstellen. Ich nehme es allerdings nicht so wahr. Aber das mag so sein.
Barenberg: Für Sie ist das quasi eine Ergänzung zu Ihrem Unterricht? Oder ist das geradezu eine Parallelschule, die man da im Netz auf YouTube findet?
Schmidt: Nein. Für mich ist es eindeutig eine Ergänzung zur Vorbereitung, zur Nachbereitung, zum Lernen, vielleicht zu einer Überbrückung von einem Krankheitszeitraum, eindeutig eine Ergänzung und auf gar keinen Fall eine Konkurrenz.
Barenberg: Warum kann es kein Ersatz sein, irgendwann?
Schmidt: Weil ich glaube, dass dieses Mensch zu Mensch, Lehrer-Schüler-Beziehung in Echt, im Real Live - ich glaube, das ist unersetzbar, unersetzlich. Das gehört einfach zur Schule. Schule ist ja mehr als die Vermittlung von Wissen.
"Ein Deutschvideo zu produzieren ist viel, viel schwieriger"
Barenberg: Aber da gibt es Defizite, die man im Netz dann nicht hat?
Schmidt: Nein! Ich glaube, manchmal hat man zuhause vielleicht auch einfach ein bisschen mehr Ruhe und auch die Bereitschaft, sich dann genau jetzt hinzusetzen. Und das ist dann vielleicht freitags in der zweiten Stunde, nachdem man Sport gehabt hat, vielleicht nicht so. Das mag sehr individuell sein.
Barenberg: Jetzt sind Sie Mathematiklehrer, und ich lese auch, dass vor allem im Bereich der Naturwissenschaften es ein großes Angebot gerade auf YouTube gibt an diesen Lernvideos. Und das liegt ja auch nahe, weil es da richtig oder falsch gibt. Gibt es aus Ihrer Sicht, was, sagen wir mal, die Fächer angeht, durchaus auch Grenzen, wo das nicht so gut funktioniert auf dieser Plattform?
Schmidt: Ja. Ich habe auch ein paar Deutschvideos und es sind tatsächlich nur ein paar, weil ein Deutschvideo zu produzieren, viel, viel schwieriger ist als ein Mathevideo. Sie haben es eigentlich genau richtig beschrieben: In einem Mathematikvideo, da gibt es richtig und falsch, und auch wenn es mehrere Wege gibt, so sind die alle gut nachzuvollziehen. Im Deutschen, deutsche Grammatik, da gibt es so viele Ausnahmen, da gibt es immer die Regel und dann die Ausnahme von der Regel, und dann gibt es noch den Sonderfall. Das macht ein Video wieder sehr langwierig und deswegen funktioniert das vielleicht besonders gut in den Naturwissenschaften und vielleicht in anderen Fächern dann weniger gut.
Es fehlt noch ein Qualitätssiegel
Barenberg: Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, die hat ja auch gleich sich zu Wort gemeldet, nachdem diese Studie rausgekommen ist, die zeigt, wie geschätzt das bei vielen Schülerinnen und Schülern ist, und sie hat ja relativ skeptisch reagiert und gesagt: Eltern und Schüler, die müssten immer schon ganz genau hinterfragen, ob die Informationen in den Videos tatsächlich stimmen. Jetzt weiß ich nicht, wie weit Sie einen Überblick haben über alternative andere Angebote, aber hat sie im Prinzip jedenfalls Recht?
Schmidt: Absolut! Ich sehe das ganz genauso. Was aus meiner Sicht auf YouTube noch fehlt, das wäre so was wie ein Qualitätssiegel, wo dann unten meinetwegen ein grünes, blaues oder gelbes Häkchen steht, wo ein Dritter sagt, ja, das hat der Lehrer Schmidt richtig gerechnet. Das wäre eine Sache, die sehe ich auch. Es ist natürlich für einen Schüler total schwierig zu überprüfen, ob der Lehrer Schmidt sich da jetzt verrechnet hat oder nicht, und da ist man dann auf dieser Vertrauensebene. Das mag ganz, ganz oft funktionieren, aber es gibt mit Sicherheit auch Kanäle, wo das nicht funktioniert, und das ist schwierig. Da hat sie Recht.
Barenberg: Nun sind Sie schon Mathelehrer und man kann im Internet googeln, dass Sie Schulrektor sind in Uelsen. Wie sollen Schüler in anderen Fällen denn überprüfen, ob die Informationen stimmen, oder wie sollen sie dieses Vertrauen entwickeln? Das ist ja das Grundprinzip auch auf YouTube: Jeder kann Sender sein.
Schmidt: Ja, ganz klar! Ich glaube, was da mithilft sind die Kommentare. Ich schätze YouTube unter anderem dafür, dass dort alle sehr brutal und ehrlich sind. Das einen sind die Däumchen, die hoch und runtergehen; das andere sind die Kommentare. Wenn ich tatsächlich ein schlechtes Video veröffentliche, oder einen Fehler drin habe, dann kann ich mich darauf verlassen: Wenn ich es übersehen habe, dann werden es die ersten fünf Zuschauer mir aber relativ schnell mitteilen. Und ich glaube, der gute Kanal unterscheidet sich dann von einem schlechten Kanal nicht, dass er keine Fehler macht, sondern dass er dann auf seine Fehler reagiert, das Video dann runternimmt, korrigiert, neu hochlädt. Ich glaube, das ist der Unterschied.
Keine vernünftige Alternative zu YouTube
Barenberg: Nun bleibt aber YouTube insgesamt immer noch eine kommerzielle Plattform. Das heißt, das Unternehmen YouTube setzt alles daran, dass die Schüler jetzt nicht nur Ihr Video anschauen, sondern danach noch möglichst weiter auf YouTube bleiben, irgendwas kaufen, die Werbung wird nach den Algorithmen geschaltet, die auf diese Nutzer passt. Ist das ein klarer Schwachpunkt dieser Bildungseinrichtung YouTube-Lernvideos?
Schmidt: Das ist auf jeden Fall ein Problem und ich glaube, man muss da zwei Dinge sehen. Das eine ist: Mir ist keine vernünftige Alternative bekannt. Und selbst wenn wir eine Alternative hätten – es gibt ja immer wieder diesen Begriff Bildungsserver, an dem sich ja auch verschiedene Bundesländer schon abgearbeitet haben. Ich glaube, der wäre einfach nicht so cool wie Google, in dem Fall dann YouTube. Weil ich glaube, die Schüler, die sind sowieso auf YouTube, und der Weg dann von einem Musikvideo oder von einem Unterhaltungsvideo rüber zu einem Lernvideo, der ist ganz kurz. Und ich glaube, das wäre auf einer anderen Plattform vielleicht anders.
Barenberg: Wir sollten gar nicht den Aufruf von dieser Stelle starten an alle Bildungspolitiker in der Republik, dass es so was wie eine werbefreie Bildungsplattform geben sollte, dass sie sich endlich darum kümmern müssen?
Schmidt: Ich würde das super begrüßen. Ich finde das ganz toll. Ich fände das richtig gut, wenn wir so was hätten. Ich sehe das nur überhaupt nicht.
Barenberg: Mir ist auch aufgefallen, dass ja die Befragten selber in dieser Studie sich selber wünschen, dass es eine durchaus kritische Auseinandersetzung über Vor- und Nachteile solcher Videos gibt, und durchaus auch den Wunsch, Videos zu hinterfragen. Erleben Sie das denn an Ihrer Schule? Wird das gemacht? Fordern die Schülerinnen und Schüler das beispielsweise auch im Unterricht ein?
Schmidt: Ich glaube, grundsätzlich ist Medienbildung und auch dieses kritische Auseinandersetzen mit Medien, aber auch mit Information an sich, Information bewerten, beurteilen, einordnen, ich glaube, das ist ein ganz, ganz wichtiges Thema. Natürlich wird das in Schulen bearbeitet und auch an meiner Schule. Aber ich glaube, das muss ein andauernder Prozess sein. Es ist ja auch für Erwachsene heute total schwierig, eine Information entsprechend einzusortieren, und dann ist das natürlich auch für Schüler schwierig.
Nach dem Digitalpack muss noch mehr kommen
Barenberg: Was wünschen Sie sich da noch mehr, als es unter dem Stichwort Medienkompetenz bisher noch an den Schulen gibt?
Schmidt: Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass der Digitalpakt jetzt endlich, möchte ich als Pädagoge dann mal sagen, auf den Weg geht. Und ich hoffe, dass das dann auch erst der Anfang war. Es ist toll, wenn die Schulen dann demnächst vernünftige Geräte haben und wenn das mit Konzepten hinterlegt wird. Aber ich glaube, das ist auch nur ein Anfang, und ich hoffe, dass auch die Politiker das wissen, dass da noch mehr kommen muss.
Barenberg: Jetzt sind es Hunderte von Videos, die Sie schon gepostet haben. Haben Sie schon eine Idee für das nächste Video im Kopf?
Schmidt: Ja! Ich habe sogar auch ganz sicher die Idee für die nächsten 300 Videos im Kopf.
Barenberg: Für die nächsten 300?
Schmidt: Ja, ja. Das ist ganz, ganz einfach. Mittlerweile sind es 1.600 Videos, die in den vier Jahren entstanden sind. Es ist aber so, dass mir ganz viele Leute E-Mails schreiben oder Kommentare schreiben, und da steht dann immer drin: Kannst Du bitte mal dies oder das machen, oder kannst Du das noch mal machen? Oder ich kriege Fotos von irgendwelchen Aufgaben. Ich habe noch genug Stoff für eine ganz, ganz lange Zeit.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews