Samstag, 27. April 2024

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Meckel für Veröffentlichung von Kohls Stasi-Akten

Elke Durak: Leipzig heute: Das Bundesverwaltungsgericht muss klären, ob Stasi-Akten über Helmut Kohl für wissenschaftliche Zwecke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen oder nicht. Helmut Kohl pocht auf Opferschutz und seine Grundrechte, auf informationelle Selbstbestimmung und natürlich auch auf die Achtung der Persönlichkeit. Die Stasi-Unterlagen-Behörde sieht indes beides nicht in Gefahr. Es gab 2001 eine Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes, womit ein vorangegangener Urteilsspruch zugunsten Kohls hinfällig war. Nun wieder der neuerliche Gerichtsgang. Weshalb sperrt sich der Altkanzler so, zumal das Gesetz Veröffentlichungen ausdrücklich ausschließt, wenn schutzwürdige Interessen der Opfer verletzt würden? Guten Morgen, Markus Meckel.

Moderation: Elke Durak | 23.06.2004
    Markus Meckel: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Herr Meckel, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, Mitbegründer der Ost-SPD. Sie haben mehr als nur einen Gedanken auf solche Dinge verschwendet. Weshalb - wie erklären Sie sich das - weshalb sperrt sich der Alt-Kanzler so?

    Meckel: Das ist für mich auch eine ziemlich grundsätzliche Frage, die ich nicht wirklich beantworten kann, weil man ja sagen muss, dass auch schon die erste Fassung des Gesetzes von Helmut Kohl selber unterschrieben worden ist. Es ist ein Gesetz, das in seiner Regierungszeit gemacht worden ist. Das dann nach der Regierungszeit sechs Jahre lang praktiziert worden ist, in der Weise, wie es dann auch seine Akten und die Herausgabe seiner Akten für wissenschaftliche Zwecke möglich gemacht hätte. Dann hat er geklagt, dann hat er auch Recht bekommen, weil die Formulierung des Gesetzes missverständlich war. Dann haben wir das Gesetz geändert, um wieder deutlich zu machen, dass Personen der Zeitgeschichte, dass diese Akten offen gelegt werden müssen, und das sind natürlich berechtigte, schutzwürdige Interessen. Das heißt für intime und persönliche Dinge, dass so etwas nicht veröffentlicht wird. Das war vorher nicht so, das ist auch jetzt nicht so, dass so etwas der Öffentlichkeit gegeben wird, aber es geht um seine politische Tätigkeit. So was ist bei Personen der Zeitgeschichte von Beginn an offen nach diesem Gesetz. Wir wollten, dass dies so bleibt und haben das Gesetz entsprechend geändert. Ich kann nicht nachvollziehen, weshalb er solange geschwiegen hat, solange Personen aus dem Osten davon betroffen waren und wo es ihn selbst betrifft er plötzlich sagt, das soll nicht so sein. Das halte ich nicht für machbar, und deshalb war es wichtig, dass es durchgesetzt wird. Ich hoffe sehr, dass nach der Änderung des Gesetzes, nachdem diese missverständliche Formulierung weg ist, ihm dann auch jetzt nicht Recht geben wird.

    Durak: Wird es also wieder eine Lex Kohl geben, wenn er durchkommt?

    Meckel: Wenn das so wäre, müsste ich den Eindruck haben. Wobei ich beim ersten Mal nicht behaupten würde, dass es eine Lex Kohl war, sondern es war eine mögliche Auslegung des Gesetzes, die aber die ganze Zeit anders ausgelegt worden ist - übrigens auch zu seiner Regierungszeit anders ausgelegt worden ist. Das war das, was uns damals sehr verwundert hat, dass dem trotzdem dann stattgegeben wurde. Aber dem wurde stattgegeben, wir haben das Gesetz geändert, jetzt dürfte ihm nicht Recht gegeben werden.

    Durak: Herr Meckel, der Anwalt von Helmut Kohl, hat es ja im Grunde klar und deutlich gesagt, in den Akten stehe nichts Besonderes, es gehe ums Prinzip, nämlich darum, ob der Rechtsstaat rechtswidrig erworbene Informationen weitergeben darf. Wird damit nicht das gesamte Stasiunterlagen-Gesetz in Frage gestellt, wenn er durchkommt?

    Meckel: Das ist jedenfalls offensichtlich jetzt seine Absicht, die sagt, wir haben damals ja durchaus gegenüber manchen Diskussionen und Bedenken im Westen Deutschlands dieses Gesetz durchgesetzt, da wir überzeugt haben, dass diese Akten aus der Diktatur stammen - natürlich immer mit dem Schutz der Persönlichkeit - aber dass es wichtig ist, die Akten einsehen zu können. Um der Demokratie Willen und der Glaubwürdigkeit der demokratischen Institutionen Willen soll deutlich sein, wer wie zusammengearbeitet hat mit der Staatssicherheit. Es gibt ja auch keinen Automatismus, dass daraus irgendetwas folgt, sondern man soll es wissen können und dann soll die Öffentlichkeit darüber entscheiden. Es betrifft Abgeordnete, es betrifft Menschen im öffentlichen Dienst, und es wäre natürlich besonders fatal, wenn für jeden im öffentlichen Dienst eine solche Überprüfung nötig ist und bei einem früheren Kanzler das nicht möglich wäre. Das würde faktisch heißen: Die kleinen tränkt man, die großen lässt man laufen. Wobei hier ja so etwas überhaupt nicht im Verdacht steht, dass hier eine Zusammenarbeit oder so etwas wäre, das wäre ja absurd. Aber hier geht es wirklich auch um das Prinzip, dass deutlich gemacht wird: Da wo bei anderen überprüft wird - in Ost und West - muss dies auch bei Kanzler Kohl, dem ehemaligem Kanzler möglich sein.

    Durak: Er ist der Kanzler der Einheit und wurde und wird ja auch sicherlich in den neuen Bundesländern bei allem, was sonst noch geschah als solcher gesehen und gewürdigt. Schadet er unter Umständen damit seinem Bild?

    Meckel: Natürlich schadet er seinem Bild, wobei dieses Bild ja auch ein sehr geschöntes Bild ist. Das lässt sich ja nun auch nicht leugnen, denn man kann ja nun wirklich nicht sagen, dass die Einheit von ihm abhing. Die Einheit ist im Osten Deutschlands durch den Sturz der Diktatur ermöglicht worden, und nach dem 9. November gab es im Grunde auch für die Bundesregierung keine wirklichen Alternativen dazu. Er hat dies gemanagt, er hat es in vielen Bereichen gut gemanagt, er hat es aber durchaus auch im Sinne der eigenen Partei gemanagt. Er hätte ohne die deutsche Vereinigung die Bundestagswahl 1990 wohl verloren, wenn man die Umfrage von 1989 sieht. Er hat auch den gesamten Vereinigungsprozess durchaus in der Perspektive auf diese künftige Wahl gestaltet. Da habe ich nicht so ein rosarotes Bild, wie es die Öffentlichkeit normalerweise hat. Um so trauriger ist es, wenn er dann eine Politik - die seine Politik nach 1990 war, in der es möglich war, dieses Gesetz zu verabschieden, was wirklich im europäischen und weltweiten Maßstab von besonderer Bedeutung war, eine Diktatur durchleuchtet werden konnte, in ihrem Tun nach ihren eigenen Akten - nun plötzlich versucht rückgängig zu machen.

    Durak: Markus Meckel, ehemaliger DDR-Bürgerrechtler, Mitbegründer der Ostdeutschen SPD. Herzlichen Dank, Herr Meckel für das Gespräch.