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Medienkunst
Digitales Leben in der Shopping Mall

Ein Einkaufszentrum als Ankerpunkt digitaler Lebensentwürfe – wie Kindheit und Jugend im Zeitalter des Internets aussehen, zeigt die Künstlerin Britta Thie in der Teenage-Shopping-Mall-Soap-Opera "Powerbanks". Diese ist derzeit im Museum Abteiberg in Mönchengladbach zu sehen.

Von Peter Backof | 22.06.2018
    Das Gesicht der Künstlerin Britta Thie ist auf einem Flachbildschirm-Fernseher zu sehen, der in einem Elektrofachhandel steht
    Die Künstlerin Britta Thie überträgt ihren Film "Powerbanks" in eine Shopping Mall (Susanne Titz)
    "Ich gehe wirklich gerne in diese Screen-Abteilung von Elektromärkten", sagt Britta Thie. "Schon als Kind war das so, dass ich immer dachte: Es gibt ja die Technologie, die uns rettet."
    In der Mall zu sein heißt in der Welt zu sein.
    Mit der Künstlerin Britta Thie in der Shopping Mall. Auch im Minto in Mönchengladbach haben typische Mode- und Technik-Labels einen Shop; und es strömen Gruppen von Teenagern nach Schulschluss durch die Passage: In der Mall zu sein heißt in der Welt zu sein:
    "Diese Corporate Spaces sind ja auch unsere Natur. Sowas wie H&M oder DM, das ist manchmal für mich schon so wie der Baum am Straßenrand. Das war immer so die erste Idee, dass dieser Plot in dieser Mall eigentlich so eine Allegorie ist. Auf den Location Tags der Mall sieht man auch viele Teenager, die sich selbst inszenieren – nicht nur Teenager, das wollte ich auch nochmal betonen, auch Erwachsene -, die die ganze Zeit Selfies machen."
    Gerade in der Screen-Abteilung des Saturn-Elektromarkts im Minto kann man sich über ein Selfie in eine Interviewsituation mit Jogi Löw beamen oder überhaupt ein Hintergrund-Panorama generieren, das unendlich viel mehr her macht als das eigene Jugendzimmer. Oder wie die digital-eloquente Britta Thie das Biotop beschreibt:
    "Für mich ist das ein 'poem'. Diese Glossiness der Footage, ich finde es wirklich spannend, dass es damit in Resonanz geht. Du kannst als Influencer total viel Geld machen, schon als Teenager; ich habe so Teenager getroffen, die bringen ein so genanntes Identity Capital mit sich."
    Teenager als Influencer
    Klingt nach Gesellschaft 2030 ist aber auch Zukunft, die schon längst Gegenwart ist: Die Teenager im Minto hängen eben nicht nur ab, sie sind auch begehrte Influencer oder spielen eine andere, neuartige Rolle im digitalen Raum. Daraus haben Britta Thie und ihre Autorinnen ihrerseits einen Plot entwickelt, in Form der Shopping-Mall-Soap-Opera "Powerbanks"; und streamen sie auf eleganten OLED-Fernsehern in den Museumsraum sowie zu bestimmten Zeiten zurück in die Mall, auf die Geräte in der Elektroabteilung.
    Protagonistin Rosa ist neu in der Stadt. Typ intelligente Einzelgängerin, hantiert sie am liebsten an ihrem Sketch Pad herum, ihr digitales Tagebuch und erweitertes Selbst. Rosa wird argwöhnisch beäugt von den "Cuties" und den "Krass Boys". Das Sketch Pad wird ihr gestohlen und zwischen Zickenkrieg und "Wer-prankt-wen"" hat der Plot Potenzial für einige Staffeln Teenage Soap. Für Rosa wird es doppelbödig und existenziell. Britta Thie:
    "In dem Film geht es im Prinzip darum, dass die Mall wie so eine Art Metapher ist für den Feed von der Rosa. Sie wird gelöscht und auf einmal ist sie alleine und die Realität um sie ist auch gelöscht. Also wie immersiv gehen wir mit Instagram oder Social Media um? Also manchmal weiß ich auch nicht mehr, was ist wichtiger eigentlich. Es gibt ja zum Beispiel auch HD-Makeup, was in der Realität nicht so gut aussieht, aber auf Kamera besser aussieht."
    Warum also nicht gleich die HD-Schminke auflegen? Die beste Freundin kennt eh jeden Pickel, ihr muss man nichts vormachen. Wie flirtet man dann eigentlich, ohne Tinder oder sich zu blamieren? Agan kommt ins Spiel, Teenage-Deutschtürke, der gerne etwas mit Rosa hätte. Britta Thie:
    "Was ich immer schwierig finde, ist: In Berlin, wenn man so super 'woke' ist und jedes 'pronoun' richtig sagt, aber es ist halt nicht überall so woke und Agan ist halt kein woker Typ. Das ist halt Gender-altmodisches Verhalten, was er hat."
    Wenn er sich – ganz süß eigentlich – ein Küsschen auf die Wange stiehlt.
    "Teenage-Dasein ist für mich ein spannendes Thema. Diese Zeit strotzt so vor Potential, aber auch Angst, zu versagen oder es nicht zu schaffen. Diese Zeit, wo man dann denkt, ziehe ich nach der Schule irgendwo anders hin? Das ist ja auch in Minden für mich Thema gewesen. Ich bin dann nach Münster gegangen zuerst. Das war für mich wie New York."
    Sehnsucht nach analogem Kindsein
    Minden oder Mönchengladbach. Nicht Dorf, aber eben auch nicht Metropole. In einem Raum im Museum Abteiberg erweitert Britta Thie den Powerbanks-Gedanken um Material aus dem eigenen Privatleben. Tatsächlich hatte sie als Zehnjährige schon eine Videokamera und damit Fernseh-Verkaufssendungen parodiert:
    "Also ich bin ja noch nicht digital native, ich bin ja so mit der Pubertät des Internets mit pubertiert. Darum habe ich auch so eine komische Sehnsucht nach diesem analogen Kindsein."
    Und deshalb ist auch "Powerbanks" keine Abrechnung mit den Schrecken der Digitalisierung und Britta Thie keine Künstlerin auf Anti-Konsum-Mission. Der Pilot verspricht eine unterhaltsame Serie, die Teenager mit ihren Themen angeht. Und schließlich ist in einer Shopping Mall große Welt ja auch immer nur inszeniert. Das kann man sich genüsslich ansehen.