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Medikamentenreste
Probleme durch unsachgemäße Entsorgung in Kliniken und bei Ärzten

Kliniken und Ärzte verbrauchen täglich viele Arzneimittel - aber nicht komplett. Der Rest wird am Ende des Tages häufig wohl im Waschbecken oder Klo entsorgt, wie ein Studie jetzt gezeigt hat. Da viele Medikamente praktisch nicht abbaubar sind, reichern sie sich in Gewässern an. Das hat Folgen.

Von Volker Mrasek | 20.04.2021
Ein Stapel mit verschiedenen Tabletten
Ein Stapel mit verschiedenen Tabletten (dpa / chromorange)
Es lässt sich kaum vermeiden beim Einsatz von Röntgenkontrastmitteln in der Radiologie: Fast täglich werden Flaschen mit den Flüssigkeiten angebrochen, aber nicht aufgebraucht: "Es bleiben abends Reste übrig, weil angebrochene Verpackungen am nächsten Tag nicht mehr genutzt werden dürfen aus hygienischen und Stabilitätsgründen. Und die müssen halt entsorgt werden."
Meistens werden diese Reste wohl einfach ins Waschbecken oder Klo gekippt. Das hat Jutta Niederste-Hollenberg in einer exemplarischen Studie in Baden-Württemberg herausgefunden. Zusammen mit Kollegen schrieb die Forscherin vom Karlsruher Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung radiologische Einrichtungen an und fragte sie nach ihrem Umgang mit den Arzneiresten.

Ungiftig, aber nicht unproblematisch

Die Ergebnisse präsentierte die Ingenieurin jetzt erstmals auf der virtuellen Fachtagung über Spurenstoffe im Wasserkreislauf. Es zeigte sich, "dass von der Gesamtheit der Befragten - das waren 40, die direkt befragt worden sind und auch geantwortet haben - über 60 Prozent die Entsorgung über den Abwasserpfad wählen, wenn denn Röntgenkontrastmittel entsorgt werden müssen".
Röntgenkontrastmittel gelten zwar als ungiftig. Deswegen seien sie aber nicht unproblematisch, sagt Thomas Hillenbrand, Ingenieur für Verfahrenstechnik am Karlsruher Fraunhofer-Institut: "Da ist das Problem vor allem, dass die sehr schwer abbaubar sind und deshalb mit unseren normalen Maßnahmen, also normale kommunale Kläranlage etc., nicht oder nur in geringem Umfang abgebaut werden. Deshalb gehören diese Stoffe zu den Stoffen, die wir in unseren Gewässern von den Spurenstoffen her in den höchsten Konzentrationen finden."
Thomas Hillenbrand leitet den sogenannten Spurenstoff-Dialog des Bundes. Dabei geht es darum, den Eintrag kritischer Substanzen in Gewässer zu verringern. Röntgenkontrastmittel genießen mit der höchsten Priorität: "Da wird jetzt ganz konkret überlegt: Was können wir tun, damit die Belastungen in den Gewässern reduziert werden?"

Ins Klo statt in den Restmüll

Ideen und Projekte gibt es schon länger. Etwa Urinbeutel für Radiologiepatienten oder spezielle Toiletten mit Auffangfunktion in Kliniken und Praxen. Umso unverständlicher ist es, wenn Reste von Kontrastmitteln in denselben Einrichtungen einfach ins Waschbecken oder Klo gekippt werden statt in den Restmüll.
Das Problem scheint aber noch größer zu sein. Auch andere Arzneistoffe werden offenbar auf fragwürdige Weise entsorgt. Für Jutta Niederste-Hollenberg ergibt sich das aus einer weiteren Befragung, diesmal unter Pflegekräften in drei Krankenhäusern: "Über alle Arzneimittelgruppen hinweg werden etwa 26 Prozent über das Abwasser entsorgt, wenn sie entsorgt werden müssen. Wenn man sich nur die flüssigen Arzneimittel anguckt, also Infusionslösungen mit und ohne Wirkstoff, dann sind es deutlich mehr. Dann sind es über 50 Prozent. Infusionslösungen mit Wirkstoff können zum Beispiel eben auch Antibiotika sein. Und da merkt man eben, dass die Relevanz an der Stelle auch da ist."
Denn im Abwasser und später in der Umwelt kommen Krankheitserreger mit den Medikamentenresten in Kontakt. Das kann die Verbreitung von Resistenzen gegen Antibiotika fördern. Ein anderes Beispiel: Betäubungsmittel. "Da werden Tabletten auch schon ‘mal gemörsert, um sie dann über die Toilette zu entsorgen. Weil natürlich Betäubungsmittel mit einem gewissen Suchtpotenzial auch nochmal eine Gefährdung für die Patienten darstellen. Das ist dann die sichere Entsorgung, wenn das über die Toilette weggespült wird."

Umweltwissen für Pflegekräfte

Der Umgang mit Arzneiresten sei inzwischen Thema im Spurenstoff-Dialog des Bundes, sagt Jutta Niederste-Hollenberg. Mit am Runden Tisch sitzen dort auch Vertreter von Ärzteschaft und Krankenhausgesellschaft: "Wir fordern in dem Kontext, dass Umweltwissen in die Ausbildung integriert wird, sowohl in die Ausbildung der Pflegefachkräfte als auch in die Ausbildung an Universitäten für Ärztinnen und Ärzte. Denn auch da ist das Bewusstsein nicht unbedingt vorhanden. Es gilt grundsätzlich: Arzneimittelwirkstoffe haben eine Wirkung im Menschen, aber eben auch in der Umwelt. Und es gilt, diese Wirkung möglichst so zu minimieren, dass sie zumindest in der Umwelt keinen Schaden mehr anrichten. Beim Menschen sollen sie natürlich wirken!"
"Gib der Natur nicht den Rest!" Unter diesem Motto lief Anfang letzten Jahres eine Infokampagne des Bundesumweltministeriums. Sie appellierte vor allem an Haushalte, Medikamentenreste nicht in der Spüle oder Toilette zu entsorgen. Ähnliches wünscht sich Thomas Hillenbrand auch für den Medizinsektor: "Also, es gibt da noch Einiges zu tun, bis wir mit dem Thema wirklich bei dem entsprechenden Personal, bei den Ärzten, bei den Einzelnen vor Ort angekommen sind."