Dienstag, 19. März 2024

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Mediziner zu E-Zigaretten
"Die Jugend wird süchtig gemacht"

Mediziner Thomas Münzel hat vor der schädlichen Wirkung und der hohen Nicotinkonzentration von E-Zigaretten gewarnt. Die Industrie habe sich auf den Jugendmarkt konzentriert, sagte er im Dlf. E-Zigaretten seien mehr und mehr eine Einstiegsdroge, viele Jugendliche stiegen dann auf Tabakprodukte um.

Thomas Münzel im Gespräch mit Stefan Heinlein | 14.11.2019
Ein Mann verwendet eine E-Zigarette
Medizinprofesssor Thomas Münzel zum Risiko von E-Zigaretten: "Das Konzept E-Zigarette und Aussteigen funktioniert nicht" (dpa / picture alliance / Fabian Strauch)
Stefan Heinlein: Es ist eine erfreuliche Entwicklung: Seit Jahren sinkt bei uns in Deutschland kontinuierlich die Zahl der Raucher. Vor allem bei Jugendlichen sind Kippen zunehmend uncool. Preiserhöhungen und Rauchverbote in Kneipen und öffentlichen Einrichtungen sorgen zusätzlich für leere Aschenbecher - ein Problem für die Tabakindustrie. Die satten Gewinne der Vergangenheit schrumpfen. Viele Konzerne haben deshalb umgesattelt und vermarkten gezielt E-Zigaretten. Sie werden als Lifestyle-Produkt angepriesen - weniger schädlich als Tabakzigaretten, aromatisch, geruchsfreundlich und modern. Doch nun haben Wissenschaftler der Boston Harvard University gemeinsam mit der Uni Mainz eine Studie vorgelegt, die vor dem Konsum von E-Zigaretten warnt. Mitautor ist Professor Thomas Münzel von der Uniklinik Mainz. Guten Morgen, Herr Professor!
Thomas Münzel: Guten Morgen.
Heinlein: Dampfen ist tödlich - ist das in einem Satz das Ergebnis Ihrer Studie?
Münzel: Das kann man so nicht sagen, weil man muss jetzt unterscheiden. Unsere Studie, die ja schon insgesamt zwei Jahre läuft, von den aktuellen Todesfällen, die in den USA jetzt berichtet worden sind. Die Ursachen für die Todesfälle in den USA sind mittlerweile, glaube ich, geklärt. Das ist das sogenannte Vitamin-E-Acetat, was in den USA den E-Zigaretten zugemischt wird, die es aber in Europa in der Form nicht gibt. Das heißt, was wir gemacht haben, dass wir die traditionellen E-Zigaretten, bestehend aus Glycerin, Propylenglycol, mit und ohne Nicotin untersucht haben, das was hier praktisch täglich über den Schalter geht.
E-Zigaretten ähnlich schädigend für Gefäßfunktionen wie Tabakrauch
Heinlein: Was sind denn nach Ihren Forschungsergebnissen die gesundheitsschädlichen Folgen des Konsums von E-Zigaretten? Vielleicht können Sie es einmal so erklären, dass auch wir Laien es verstehen.
Münzel: Im Prinzip ist es so: Wir hatten ja zwei Untersuchungen gemacht. Das erste ist, dass wir Raucher E-Zigaretten haben inhalieren lassen und die Gefäßfunktionen gemessen haben, was in der Kardiologie ein wichtiger prognostischer Marker ist. Da haben wir gesehen, dass 30 Minuten E-Zigaretten zu einer deutlichen Verschlechterung der Gefäßfunktionen führt - übrigens in einem Ausmaß, was man auch nach dem Rauchen von normalen Zigaretten sieht. Was wir auch gesehen haben: Der Spannungszustand der Gefäße nimmt zu, und das ist auch eine Art Stressaktivierung der Gefäße.
Dann sind wir hingegangen und haben im Tiermodell untersucht, was sind denn die Mechanismen für die Verschlechterung der Gefäßfunktionen, und da haben wir gesehen, dass drei Organe primär betroffen sind: die Gefäße, das Gehirn und die Lunge. Und wichtig noch mal: Hier werden - ich denke, das kennen die meisten schon - viele freie Radikale gebildet, von denen wir heute wissen, dass sie den Krankheitsprozess in den Organen beschleunigen. Ich kriege mehr chronische Bronchitis, ich kriege mehr Atherosklerose, Gefäßverkalkung, Herzinfarkt. Und wichtig war, auch noch nachzuweisen, dass im Gehirn die E-Zigaretten auch Nebenwirkungen haben, die möglicherweise dazu führen, dass die Gedächtnisleistung insgesamt nachlässt.
Eine Frau raucht in Hamburg eine elektrische Zigarette. Die elektronische Zigarette wird als "gesunde Alternative" zum Rauchen gehandelt, da sie keinen Tabak verbrennt. Kritiker warnen aber davor, die Auswirkungen des E-Glimmstängels zu unterschätzen.
Die E-Zigarette zwischen Einstiegsdroge und Ausstiegshilfe
Der Umsatz mit E-Zigaretten ist weltweit steil angestiegen. Sie gelten im Vergleich zu konventionellen Glimmstängeln als deutlich gesünder. Aber taugen sie tatsächlich als Entwöhnungsmittel für Nikotinabhängige? Oder führen sie durch ihre vermeintliche Harmlosigkeit nicht gerade erst Jugendliche an den Konsum von Nikotin heran?
E-Zigaretten als Einstiegsdroge
Heinlein: Ist es eine Illusion, um es auf den Punkt zu bringen, wenn viele Raucher denken, mit E-Zigaretten habe ich eine gesundheitsfreundliche Alternative zu Tabakzigaretten und das ist alles halb so schlimm?
Münzel: Ich glaube, das Wichtige ist noch mal: Warum wurde die E-Zigarette eingeführt? Das war eine Idee, die Leute, die Raucher von den Zigaretten wegzubekommen. Das funktioniert nicht. Wir wissen, dass nach einem Jahr zum Beispiel 80 Prozent der Leute, die auf E-Zigaretten umgestiegen sind, noch bei diesen E-Zigaretten hängen. Das ist in erster Linie eine Konsequenz der hohen Nicotinspiegel in diesen E-Zigaretten.
Das zweite ist: Wenn Sie eine traditionelle Methode nehmen wie Nicotinpflaster oder Nicotinkaugummis, sind nur sechs Prozent nach einem Jahr noch auf diesem Ausstiegsprodukt. Diese sogenannte tolle, gesunde Alternative funktioniert nicht. Wir sehen eher das Gegenteil. Sie haben das toll gesagt in Ihrer Einführung. Der Zigarettenindustrie unterstelle ich mal nicht, dass sie daran interessiert sind, dass die Leute aufhören zu rauchen, sondern sie wollen mehr verkaufen. Das heißt, sie haben sich jetzt auf den Jugendmarkt konzentriert. Das ist ganz toll, diese Juel-Zigarette, so einen USB-Stick, sich in den Mund zu stecken mit verschiedenen Flavors, die mit dabei sind. Und was wir gesehen haben ist, dass die Jugendlichen, die E-Zigaretten rauchen, mit dem hohen Nicotingehalt dreimal mehr dann Tabakzigaretten rauchen. Das was unser Plan war, eine Ausstiegsdroge aus den Zigaretten zu haben, ist jetzt mehr und mehr eine Einstiegsdroge und der Jugendmarkt ist das, worauf sie sich konzentriert haben, und das finde ich die absolute Katastrophe.
"Zigarettenwerbung nur in Deutschland nicht verboten"
Heinlein: Herr Professor Münzel, in der Tat: Die Entwicklung der E-Zigarette ist ja auch eine Reaktion der Konzerne auf die sinkende Zahl der Raucher weltweit.
Münzel: Genau.
Heinlein: Haben die Konzerne dann auch versucht, uns Konsumenten etwas vorzugaukeln mit der E-Zigarette, nach dem Motto: Dampfen ist modern und weniger schädlich, sondern cool?
Münzel: Ja, ich denke, das ist das prinzipielle Problem. Die E-Zigaretten-Firmen gehen ja sogar hin und sagen, hört mit dem Rauchen unserer normalen Zigaretten auf und geht Richtung E-Zigaretten. Was mich persönlich wundert ist: Diese Studien, die wir jetzt machen, wo wir zeigen, dass E-Zigaretten deutliche Nebenwirkungen haben, das ist ja fast so, wie wenn ich ein Medikament auf den Markt bringe, ohne dass ich vorher getestet habe, was es für Nebenwirkungen hat. Die Nebenwirkungen, die wir gesehen haben, die sind nicht zu vernachlässigen. Wenn man den Tabakrauch mit dem E-Zigaretten-Dampf vergleicht, dann sind die Giftstoffe in dem Dampf der E-Zigaretten natürlich geringer, aber es gibt eine andere Aufnahmegenetik. Wir wissen zum Beispiel: Das was wir in unserer Studie gezeigt haben, ein wichtiges giftiges Zwischenprodukt, dieses Acrolein, ist im Zigarettenrauch in zehnfach höheren Konzentrationen als im E-Zigaretten-Dampf. Das was wir im Urin aber messen können ist, dass die Konzentration nur zweieinhalbfach höher ist bei denen, die Zigaretten rauchen, versus E-Zigaretten. Es ist eine andere Resorptionsgenetik. Ich inhaliere den Rauch und ich exhaliere den Rauch auch wieder, während der Zigaretten-Dampf über die Lunge besser aufgenommen wird. Hier sind so viele offene Fragen, und was wir überhaupt nicht wissen, wie die Langzeitwirkungen dieser Produkte sind. Das heißt, hier wird was mit aller Macht auf den Markt geschmissen. Die Nicotin-Konzentrationen sind extrem hoch. Die Jugend wird süchtig gemacht. Und was in Deutschland eine absolute Katastrophe ist: Wir sind das einzige Land, das einzige Land in ganz Europa, wo Zigarettenwerbung noch öffentlich erlaubt ist. Das zeigt mal, wie stark die Zigarettenlobby ist, und das muss jetzt, verdammt noch mal, verboten werden. Derjenige, der das verhindert hat, war der Herr Kauder. Der Herr Kauder ist nicht mehr da. Zigarettenwerbung muss verboten werden und E-Zigarettenwerbung muss auch verboten werden.
Junge Erwachsene stehen vor einer Auslage mit Vaping-Produkten in den USA.
Studie: US-Jugend im Griff der E-Zigarette
E-Zigaretten sind in den USA der Renner: Manche Schüler fangen schon in der 7. Klasse damit an. Bislang wurden die massiven Probleme aus Imagegründen an vielen Schulen totgeschwiegen. Lungenerkrankungen und erste Todesfälle zwingen aber zum Handeln.
Heinlein: Nun gibt es auch andere Studien, die sagen, Dampfen ist nicht oder kaum schädlich für die Gesundheit. Sind das aus Ihrer Sicht, aus wissenschaftlicher Sicht Auftragsarbeiten der Tabakindustrie?
Münzel: Das ist ein ganz wichtiger Punkt, den Sie ansprechen. Es ist ja eine extrem kontroverse Diskussion. England zum Beispiel, die schwören auf die E-Zigarette, und da hat es auch schon üble Kritik an unserer Arbeit jetzt gegeben. Es gibt natürlich auch Untersuchungen, das finde ich besonders spannend: Wenn zum Beispiel eine E-Zigarette eine Studie gesponsert hat, dann kommt mit 95 Prozent heraus, dass die E-Zigaretten harmlos sind. Wenn Studien gemacht werden, wo die E-Zigaretten kein Sponsor waren, kommt genau das Gegenteil raus. Ich glaube, das ist noch mal ein wichtiger Punkt, hier Untersuchungen zu machen, wo man komplett unabhängig ist in der Förderung von der Industrie. Aber die generelle Meinung geht eher dahin, dass E-Zigaretten schädlich sind. Wir haben keine Langzeiterfahrungen und man muss sagen, es haben mittlerweile 20 Länder auch die E-Zigaretten verboten, weil man einfach befürchtet, dass durch diese E-Zigaretten möglicherweise gesundheitliche Schäden auch langfristig auftreten. Aber was ich als Hauptproblem sehe ist das, was Sie angesprochen haben: Tolles Design, tolle Flavors mit dazu, und dann machen wir hohe Nicotin-Konzentrationen rein, damit die Kinder und Jugendlichen süchtig werden. Wir kriegen eine ganz neue Generation an nicotinabhängigen Studenten und die steigen dann auf die Tabakprodukte um, und dann war alles umsonst.
Belastbare Langzeitstudien fehlen
Heinlein: Noch mal kurz zu diesen Studien, Herr Professor Münzel. Sind beim Thema E-Zigaretten viele Fake News, pseudowissenschaftliche Studien auf dem Markt?
Münzel: Das würde ich nicht sagen. Aber es ist ja immer so, wenn eine Studie durch die E-Zigaretten-Industrie gesponsert wird, das kommt dann auf die Fragestellung an. Ich habe gerade jetzt im "Lancer" gelesen, das ist eine ganz wichtige Zeitschrift in England, die hat im Oktober jetzt einen Kurzbericht rausgegeben und die zeigen auch, dass große kontrollierte Studien gezeigt haben, dass die Abstinenzrate nach sechs Monaten durch die E-Zigarette relativ gering ist. Die Daten legen nahe, dass Raucher auf E-Zigaretten umsteigen, dann langfristig aber abhängig bleiben von der E-Zigarette. Dieses Konzept, E-Zigarette und Aussteigen, das funktioniert nicht und was wir brauchen sind unabhängige Studien, nicht von der E-Zigaretten-Industrie gesponsert, und Untersuchungen von langfristigen Auswirkungen. Das wird uns die Frage beantworten, ob E-Zigaretten schädlich sind. Meiner Meinung nach muss man so was vorher machen, bevor man so ein Produkt auf den Markt bringt und millionenfach unter die Leute streut. Die Steigerungsraten sind in Deutschland und ganz Europa, in Europa vor allem in Frankreich und England, und katastrophal in den USA. Hier werden Dinge geraucht, von denen wir nicht wissen, was es langfristig für negative Auswirkungen hat, und das ist für mich der eigentliche Skandal.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.