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Mehr als Bewegung

Hip-Hop, Ballett, Tango oder Fitnesstanz: Es gibt viele verschiedene Arten zu tanzen. Das sei eine der ältesten Ausdrucksformen des Menschen, erklärt die Kuratorin der Ausstellung "tanz", die aktuell im Hygiene-Museum Dresden zu sehen ist und die sich aus diversen Perspektiven dem Tanz nähert.

Colleen Schmitz im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 11.10.2013
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Dresdner Hygiene-Museum ist thematisch der Gesundheit verpflichtet, pflegt dieses Thema aber immer recht weit zu fassen. Morgen öffnet dort eine Ausstellung mit dem Titel "tanz!" (und einem nachgestellten Ausrufezeichen). Man soll den Titel also als Imperativ, als Aufforderung verstehen. Colleen Schmitz ist die Kuratorin dieses Bewegungsappells. Frau Schmitz, was ist Ihr Ansatz? Betrachten Sie Tanz unter dem Aspekt der Fitness oder der Kunst?

    Colleen Schmitz: Weder noch, sondern alles. Die Ausstellung hat eigentlich einen sehr breiten Blickwinkel. Sie guckt eigentlich auf den künstlerischen wie auch auf die gesellschaftspolitischen, kulturhistorischen, kunsthistorischen Dimensionen des tanzenden Menschen. Entsprechend kommen dann verschiedene Perspektiven auf den Tanz zum tragen, weil der Kern als Museum für Menschen für uns ist, was macht den Menschen aus, und als älteste Ausdrucksform des Menschen ist der Tanz natürlich sehr gut bei uns aufgehoben und entsprechend wird nicht nur auf den Kunsttanz auf der Bühne geguckt, sondern auch ein bisschen zu der Alltagskultur, vom Volkstanz bis hin zu urbanen Lebenskulturen wie das b-boying, was als Subkultur in New York stattfand und jetzt überall um die Welt eine Eigendynamik entwickelt hat.

    Müller-Ullrich: Warum tanzt der Mensch?

    Schmitz: Es gibt ein Zitat von dem französischen Philosophen Jean-Luc Nancy, wo er eigentlich über den Tanz redet. Er schreibt das in seiner Literation und das geht so: Er, also der Mensch, springt einen Ursprung. Ursprung ist das deutsche, also folglich metaphysische Wort für den absolut genommenen Anfang. Sprung des Urs, in sich selbst genau wie außerhalb seiner, ein Sprung bildet die Arche des Prinzips. Nach Nancys Beschreibung hier sind wir im Prinzip prädestiniert zu tanzen, da unser gesamter Körper sozusagen durch Bewegung durchdringt ist. Das Sein, das wir haben, ist ein bewegtes Sein. Wir müssen schreiten, greifen, laufen, und dementsprechend liegt es dann sehr nahe, dass der Tanz eigentlich ein wesentlicher Teil von unserem Leben ist, was vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so klar wird, weil man erst mal immer an den Kunsttanz denkt, oder man denkt an den Freizeittanz, und das ist nur im Prinzip Spaß, oder was die ältere Generation vielleicht Unsinn nennen würde. Aber es steckt eigentlich viel, viel mehr darin.

    Müller-Ullrich: Jetzt stelle ich mir vor, es ist ein bisschen schwierig, so etwas im Museum darzustellen, denn es geht essenziell um Bewegung. Gut, man kann mit Videos natürlich viel arbeiten. Ich nehme an, das tun Sie auch?

    Schmitz: Ja, und zwar es stimmt schon: Ist die Bewegung einmal ausgeführt, ist sie schon wieder verschwunden. Das ist das Einzigartige am Tanz oder an irgendwelchen Performance-Arbeiten. Aber es bleiben eigentlich immer Spuren davon. Man hat schon seit Langem, seit Urzeiten versucht, den Tanz zu übersetzen in andere Formen, sei es in Skulpturen oder in Gemälden, mit dem Aufkommen vom Fernsehen natürlich in Videoformat bis hin jetzt heute mit den neuen Technologien in dreidimensionalen Raum hinein. Wir fokussieren auf sehr viele verschiedene Übersetzungen, wie ich gerade erwähnt habe, das ist eine Ebene, und durch diese verschiedenen Objekte werden Erkenntnisse über den Tanz vermittelt und was er eigentlich mit uns zu tun hat, was er über uns sagt, wie wir zu uns selber stehen oder wie wir zueinander stehen. Aber da schon diese physische Dimension, diese körperliche Dimension, die ästhetische Dimension, die Raumerfahrung auch so wesentlich ist, greift diese Ausstellung auch noch mal auf performative Methoden, um zu versuchen, ein bisschen zu sensibilisieren für diese physische Ebene des Tanzes, und deswegen ist die Ausstellung umrahmt mit choreografischen Interaktionen, die sehr klein sein können, wie aber auch sehr großen inversiven Rauminstallationen. Aber dann geht es auch ganz klein wie bei den ersten Tanz-Notationen, diese ersten Bodenschritte, die erstmals aufgeschrieben wurden als Manuskript, und die Musik, zu der getanzt wurde, kann man gleichzeitig auch mit in den Kopfhörern hören. Wir gehen auf sehr viele verschiedene Ebenen ein, um zu versuchen, nicht nur diese visuelle Erfahrung des Tanzes, sondern auch die körperliche Erfahrung herüberzubringen. Wir haben auch ein Tanzinstrument, nennen wir das, zum Beispiel, und da tanzt man nicht zu Musik, sondern man tanzt, um Musik zu machen. Dann kann man wackeln, oder man kann drehen oder springen oder breaken, und da kommen dann verschiedene Klänge heraus und man kann zusammen komponieren durch die Körperbewegung.

    Müller-Ullrich: Eine Ausstellung über das Tanzen als Conditio Humana ist zu sehen ab morgen im Hygiene-Museum in Dresden, und Colleen Schmitz, die Kuratorin, gab uns darüber Auskunft.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Deutsches Hygiene-Museum in Dresden
    Das Deutsches Hygiene-Museum in Dresden zeigt die Ausstellung "tanz!". (DHM / Oliver Killig)