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Mehr Basis, mehr Inhalt

Er gilt als Pragmatiker, als einer, der sich für die Partei einsetzt, als einer, der in Ost und West anerkannt wird. Dietmar Bartsch will im kommenden Jahr für den Parteivorsitz der Linken kandidieren. Sein Ziel: Die Partei soll wieder basisorientierter werden.

Von Almuth Knigge | 08.12.2011
    Mittwochnachmittag im mecklenburgischen Ludwigslust. Bei der Behindertenhilfe sind die Tische adventlich gedeckt, draußen ist es trist wie lange nicht mehr aber drinnen ist die Stimmung heiter. Dietmar Bartsch ist in seinem Wahlkreis unterwegs, um mit den Genossen einen besinnlichen Jahresabschluss zu feiern. Am Morgen hat er schon ein Wahlkreisbüro eröffnet, dann standen Gespräche mit der Wirtschaftsförderung auf dem Programm, jetzt steht er in Jeans und Jackett vor den Genossen und dankt für die Zusammenarbeit im vergangenen Jahr – ein mäßig erfolgreiches – nicht nur im Nordosten.

    "Ich muss mich vor allen Dingen aber auch entschuldigen, weil es ja nicht in Ordnung ist, hier sitzen jetzt heute zwei Journalisten dabei. Eigentlich wollte ich das nicht, und ich hab auch beiden gesagt, das kommt gar nicht in die Tüte, aber die haben mich so lange bedrängt, dass ich gesagt habe – na gut, ne halbe Stunde, aber dann nach ner halben Stunde, da hetze ich die Basis auf."

    Die Genossen nicken – sie sind einverstanden.

    "Das hat natürlich andere Gründe, nicht mit der wunderbaren Wahlkreisarbeit hängt das zusammen. Das hängt schlicht mit meiner Bewerbung oder mit meiner Kandidatur zum Parteivorsitz zusammen, und da hat man dann automatisch etwas mehr Beobachtung, und dann wollen die auch mal sehen, wie ist es denn an der Basis und so."

    Gut ist es an der Basis – hier in Ludwigslust. Jetzt – für den Moment zumindest. Bei Hannelore Kritzer zum Beispiel ist die Stimmung seit einer Woche wieder enorm gestiegen. Da hatte Dietmar Bartsch erklärt, er wolle im nächsten Jahr für den Parteivorsitz kandidieren.

    "Er ist einer der wenigen von den oberen Genossen, die die Partei auf der Agenda haben und nicht ihre eigenen Befindlichkeiten. Wenn nicht er dann keiner, also besser als das Gespann was wir jetzt haben. Das würde ich schon sehr begrüßen, er hat die Partei auch groß gemacht als Geschäftsführer damals. Also ich habe schon lange gehofft, dass er sich bereit erklärt, weil wir ihn für den fähigen Mann halten, der die Partei zusammenhalten kann der in Ost und West anerkannt ist. Wir kennen ihn aus der gemeinsamen Arbeit hier, und wir freuen uns einfach nur."

    Im Moment sagt sie, stagniere die Partei:

    "Ich seh’ das in dem Moment so, dass wir nicht genug in der Öffentlichkeit sind, von oben vom Vorstand, dass dort oben nicht genug rüberkommt, was wir wollen."

    Denn in den Medien wird die Partei mehr wegen des Ärgers um die Parteispitze, deren Briefe an Fidel Castro oder den Umgang der Partei mit ihrer Vergangenheit wahrgenommen als wegen ihres Programms. Das sieht auch Dietmar Bartsch so.

    "Wir haben kein Beschlussdefizit in der Linken, sondern wir haben mehr ein Handlungsdefizit."

    Mit ihm soll das anders werden, wie, das hat er vor gut einer Woche in Berlin erklärt:

    "Vielleicht hat es auch der ein oder andere im Internet gelesen, was ich zu meiner Kandidatur erklärt habe, zumindest kann ich es empfehlen, da stehen dann auch ein paar Bemerkungen zur Partei und Stärkung der Partei drin."

    Postideologisch, pluralistisch, populär - aber nicht populistisch, so wie es der italienische Linke Nichi Vendola gesagt hat, soll die Linke in Deutschland werden, wenn es nach Bartsch geht. Also regierungsfähig. Es wurmt ihn, das merkt man ihm an, dass die Linke in den öffentlichen Debatten um Mindestlohn und Euro-Krise keine Rolle mehr spielt.

    Ausgerechnet in der Finanzkrise, sagt er, die immer mehr zu einer Krise von Demokratie und gesellschaftlichem Zusammenhalt wird, hätte DIE LINKE zwar viel zu sagen, findet aber wenig Gehör und Zustimmung.

    "Der Weg zurück in die politischen Auseinandersetzungen zur Stärkung der Linken ist ein langwieriger."

    Bartsch kennt das. Er hat den Weg mitgemacht von 2,4 Prozent 1990 bis 11,9 Prozent bei der letzten Bundestagswahl. Jetzt sind die Umfrageergebnisse fast halbiert, da kann man schon mal schlechte Laune kriegen.

    "Das ist nicht per Knopfruck, das ist ganz ganz harte Kärrnerarbeit."

    Der Kärrner, das war der Wagenzieher und das trauen sie ihm hier zu, den Karren wieder auf die Spur zu ziehen.

    "Das ist das Kümmern um die Partei, dass die handlungsfähig wird, also Schwerpunktsetzung und Ähnliches, das müssen wir schaffen."

    Andere Parteien hätten längst viele linke Vorschläge übernommen. Sie der Linken weggenommen. Ein Problem der Führung – der er, der Pragmatiker, allerdings selber über Jahre hinweg in den verschiedensten Positionen angehört hat. Als Schatzmeister, als Bundesgeschäftsführer, jetzt als stellvertretender Fraktionschef im Bundestag.

    "Allerdings will ich dann schon betonen: Ich war Wahlkampfleiter und Bundesgeschäftsführer bei den erfolgreichen Bundestagswahlen, wo wir 11,9 Prozent erreicht haben und bei den Landtagswahlen in dem Jahr und auch noch bei den Wahlen in NRW im Mai letzten Jahres – danach ist unser Aufbau ins Stocken gekommen. Wir haben seitdem weniger erfolgreiche Wahlen. Wir haben seitdem rückläufige Mitgliederzahlen und wir sind aus den politischen Debatten häufig raus."

    Deshalb soll die Basis wieder mehr eingebunden werden. Der neue Vorsitzende soll per Mitgliederentscheid bestimmt werden. So ein Führungskampf mache die Partei attraktiv – findet er – das sehe man an der SPD in Schleswig-Holstein. In Ludwigslust kommt das an.

    "Vor allen Dingen auch, dass sie drüber nachdenken, sich Gedanken machen. Es regt an zum Gedanken machen.
    Das ist besser, also früher wurde nicht viel Mitgliederentscheid gemacht. Also, es wurde mehr von oben und heute finde ich das gut, dass die Mitglieder sich selbst zu bestimmten Dingen äußern können."

    Die Freude über den Vorschlag war in der Spitze eher verhalten. Das Verhältnis zu Gregor Gysi und Oskar Lafontaine gilt als – wenn nicht zerrüttet dann zumindest schwierig. Vor zwei Jahren hat Gysi ihn öffentlich abgewatscht, weil er dem Spiegel das Verhältnis von Lafontaine und Sarah Wagenknecht gesteckt haben soll. Das sitzt immer noch tief.
    Am Fall Bartsch, so sagt man, entzünden sich tief sitzende Konflikte in der Partei zwischen Ost und West, zwischen Pragmatikern und Fundamental-Oppositionellen.

    "Wir in Mecklenburg sind die Reformer."

    Und auch weil die Linken im Osten wesentlich mehr Mitglieder haben als im Westen hat Bartsch, der Pragmatiker, gute Chancen, die Mehrheit der Mitglieder hinter sich zu vereinen.

    "Aber ich kandidiere und das ist nicht an den Mitgliederentscheid gebunden."