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"Mein Vater bietet Spielwiesen der Fantasie an"

Nur 55 Tage habe ihr Vater Ottfried Preußler an der Geschichte vom "Räuber Hotzenplotz" geschrieben, sagt Susanne Preußler-Bitsch. Die Hotzenplotz-Figur sei "ein bisschen dieses freche polternde Großmaul, das man vielleicht auch mal ganz gern sein will", meint die Kulturwissenschaftlerin.

Susanne Preußler-Bitsch im Gespräch mit Sandra Schulz | 01.08.2012
    Sandra Schulz: Unveränderliche Kennzeichen gilt es da noch zu nennen: Sieben Messer, schwarzer Strubbelbart, und darin ist bis heute kein graues Haar zu finden, obwohl er heute 50 wird. Am 1. August 1962 ist der erste Band des "Räuber Hotzenplotz" erschienen. Fortsetzungen folgten, die Absatzzahlen sind bis heute stabil, und die Geschichten haben – mit anderen Büchern, dem "kleinen Wassermann", der "kleinen Hexe" – ihren Erfinder Ottfried Preußler zu einem der bedeutendsten Kinder- und Jugendbuchautoren unserer Zeit gemacht. Was hat die Geschichte um die gestohlene Kaffeemühle und obligatorische Verwicklungen, was andere nicht haben' Unter anderem darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen, am Telefon begrüße ich Susanne Preußler-Bitsch, sie ist eine der Töchter Ottfried Preußlers, promovierte Kulturwissenschaftlerin, und leitet den Preußlerschen Literaturbetrieb. Guten Morgen!

    Susanne Preußler-Bitsch: Ja, einen guten Morgen nach Köln!

    Schulz: "Der Räuber Hotzenplotz" ist also 1962 erschienen. Was sagt uns das Buch im Jahr 2012?

    Preußler-Bitsch: Na, ich denke, das sagt uns das Ähnliche wie vor 50 Jahren: Es ist eine lustige Kasperl-Geschichte, von einem Räuber und einer Großmutter wird erzählt, von einem Kasperl und einem Seppel, es gibt einen bösen Zauberer und eine gute Fee, und es ist eine durch und durch lustige Geschichte, die die Zuhörer, Selberleser oder Zuschauer im Kindertheater nach wie vor begeistert.

    Schulz: Wir haben hier in der Redaktion natürlich auch über die Bücher gesprochen, und von einer Kollegin ist die Geschichte überliefert, sie habe zeitweise als Kind sogar Bratwurst und Sauerkraut gegessen, nur weil das ja die Leibspeise ist von Kasperl.

    Preußler-Bitsch: Und zwar immer Donnerstags!

    Schulz: Und immer Donnerstags. Wie erklären Sie sich diese Wirkung?

    Preußler-Bitsch: Es ist eine ganz einfach gestrickte Geschichte. Und wenn man sich die einzelnen wirklich sehr meisterlich handwerklich geschriebenen Dialoge und Texte anschaut, dann wird ganz wenig wirklich beschrieben, sondern es wird viel angerissen, und der Rest wird imaginiert von dem Leser oder Zuhörer, und man riecht praktisch dieses Bratwürschtl durch das Buch, und dann will man das, glaube ich, auch essen. In den Geschichten meines Vaters ist, glaube ich – er nennt es, er bietet Spielwiesen der Fantasie an, und ich glaube, das ist genau der Punkt: Er bietet einen Kosmos, einen Raum an, wo jeder mit seinem Hintergrund, mit seinen Bedürfnissen, mit seinem auch kulturellen Hintergrund – deswegen haben die so viel Erfolg im Ausland –, dass er sich dazu denken und ausmalen kann, wie es für ihn richtig ist und gut passt.

    Schulz: Dabei ist die Figur eigentlich aus Verlegenheit entstanden, oder?

    Preußler-Bitsch: Ja, 1961 hat sich mein Vater, wie er sagt, an dem "Krabat", das ist eine sehr düstere Geschichte um den sorbischen Müllersburschen – jedenfalls hat er sich an seinem "Krabat" regelrecht festgeschrieben gehabt, das war so gegen die Weihnachtszeit, und er hatte aber seiner Verlegerin ein Manuskript fürs Frühjahr versprochen, und schlug ihr dann vor, ihr eine Kasperl-Geschichte zu schreiben. Denn er hatte sich überlegt, dass ihm gleich so was durch und durch Lustiges einfach eine Abwechslung zu dem düsteren Stoff bringt und ihn dann vielleicht auch hinterher beim "Krabat" wieder weiterhilft. Und dann hat er sich, so steht es auf dem Manuskript, am 21. Dezember hat er angefangen mit der Hotzenplotz-Geschichte und war nach 55 Tagen, nämlich am 13. Februar, damit fertig, 1962.

    Schulz: Und nach dem, was Sie aus den Rückmeldungen wissen, also auch heute noch, wer oder was ist dieser Räuber Hotzenplotz für seine Leser?

    Preußler-Bitsch: Ich denke, der Räuber Hotzenplotz ist einfach das augenzwinkernde, polternde Großmaul, der Brummbär mit der Pfefferpistole und den sieben Messern im Gürtel, die er aber maximal zum Abschneiden von Wurschtradln hernimmt, und der einfach frech durch die Lande läuft, und eines Tages raubt er Kasperls Großmutter die Kaffeemühle, weil er auch so eine haben will, und damit beginnt die Geschichte.

    Schulz: Ja, das ist der Punkt, an dem ich natürlich einhaken muss, weil das ja der Vorwurf ist, den es immer wieder gegeben hat: Der Räuber Hotzenplotz – man könnte auch sagen, ein Krimineller –, ist das eine gute Identifikationsfigur?

    Preußler-Bitsch: Gut, also er wird manchmal als der berühmteste Räuber bezeichnet. Ich denke mir, in dieser Geschichte, die mein Vater erzählt, geht es um Gut und Böse und um das Richtige und das Falsche, und manchmal ist es so, dass man beim ersten Blick meint, jemand ist wirklich ein durch und durch böser Mensch, und ist es aber dann im Endeffekt nicht, und ich denk mir, also der Raub einer Kaffeemühle ist, gemessen an den durchschnittlichen Zeitungsmeldungen an kriminellen Taten, die tagtäglich uns entgegenkommen, eigentlich ziemlich marginal. Wir dürfen nicht vergessen, es ist eigentlich eine Kasperl-Theater-Geschichte. Mein Vater hat eine Kasperl-Theater-Geschichte zwischen zwei Buchdeckeln geschrieben und hat sich einfach dieses klassischen Personals bedient. Und da gehört einfach der Räuber dazu, der sich das nimmt, was ihn gefällt, dazu, und es gibt einen Gegenspieler, in dem Fall sind es Kasperl und Seppel und vereint mit dem Wachtmeister Dimpfelmoser, der dann die Sache wieder ins Rechte Lot bringt.

    Schulz: Und trotzdem ist es ja der Räuber, der auch für Ihren Vater gerade diese spezielle Bedeutung hat und hatte, wohl auch über die letzten Jahrzehnte. Welche Bedeutung ist das?

    Preußler-Bitsch: Ja, ich denke, das ist auch für die Leser am wichtigsten. Also sie schlüpfen nicht in die Rolle von Kasperl und Seppel, sondern wenn sie sich mit den Geschichten vom Räuber Hotzenplotz identifizieren, dann mit dem Räuber. Und ich denke, das ist so ein bisschen dieses freche polternde Großmaul, das man vielleicht auch mal ganz gern sein will.

    Schulz: Sie haben in Interviews immer wieder gesagt, zeitweise habe der Räuber Hotzenplotz, sei Räuber Hotzenplotz auch bei Ihnen ein und aus gegangen. Wie stellen wir uns das vor?

    Preußler-Bitsch: Na ja, gut, es ist sozusagen, seitdem ich denken kann, ist der Hotzenplotz Mitglied in der Preußler-Familie, ähnlich wie die kleine Hexe und auch der kleine Wassermann oder die anderen Figuren aus den Büchern meines Vaters. Und gelegentlich beehrt uns der Räuber mit seinem Besuch, vorzugsweise an kalten Tagen, und dann hat er sich von seinem anstrengenden Räuberleben erholt und hat auf der einen Seite meinem Vater bei seiner Korrespondenz geholfen, er hatte dann auch ein eigenes Briefpapier, und ist seit vielen Jahren ein leidenschaftlicher Verfasser von Briefen und seit zehn Jahren von E-Mails, und für uns als Familie lebte er so praktisch imaginär mit uns mit, und manchmal war es ganz praktisch, weil wenn irgendwie ein derbes Wort gefallen ist, oder dreckige Fußstapfen im Haus waren, weil wir einfach die Schuhe nicht ausgezogen waren, dann konnte man es ab und zu dem Räuber Hotzenplotz unterschieben, das war eigentlich sehr praktisch.

    Schulz: Deswegen verteidigen Sie den Räuber möglicherweise auch?

    Preußler-Bitsch: Ja, möglich.

    Schulz: Welche Erinnerungen haben Sie denn an Ihren schreibenden Vater, an den schreibenden Ottfried Preußler?

    Preußler-Bitsch: Also in erster Linie ist mein Vater mein Vater, und dann war er Lehrer, und dann war er jemand, der eigentlich immer gearbeitet hat, und das von zu Hause aus. Und das war für mich eigentlich ganz normal. Dass er ein großartiger Erzähler ist, das weiß ich, seit er uns Kindern immer wieder Geschichten erzählt hat, wie großartig seine Kunst ist, das ist mir dann erst eigentlich viel später durch den stetig wachsenden Erfolg seiner Bücher klar geworden.

    Schulz: Als der "Räuber Hotzenplotz" erschienen ist – also heute vor 50 Jahren –, da waren Sie vier. Wie war das bei Ihnen zu Hause, waren Sie und Ihre Schwestern da auch die ersten Kritikerinnen?

    Preußler-Bitsch: Es ist so, dass der Vater uns seine Geschichten oder die Geschichten, an denen er gearbeitet hat, in denen er spazieren gegangen ist, dass er die uns zuhause erklärt hat. Das ist so beiläufig mal beim Abendessen gewesen, oder wir haben nachgefragt, oder ja, wir haben einfach sehr gerne mit diesen imaginären Figuren gelebt. Also die waren mit bei uns am Tisch, ab und zu, gelegentlich.

    Schulz: Und dazu gehört natürlich auch die Frage, die ja immer wieder gestellt worden ist, wo denn eigentlich die Eltern von Kasperl und Seppel sind?

    Preußler-Bitsch: Also die Antwort liegt dann eigentlich meistens so, dass die gerade nicht da sind, und sie sind ja bestens versorgt bei der Großmutter. Es wird auch immer nach dem Vornamen vom Räuber Hotzenplotz gefragt, und da antwortet dann der Räuber, dass das ein Geheimnis ist, und Geheimnisse sind nur so lange geheim, wie sie halt geheim sind.

    Schulz: Ja, und ein großes Geheimnis hat es auch immer gegeben, und die Frage nach der Nummer vier. Ihr Vater ist jetzt 88 Jahre, also ja noch deutlich jünger als Helmut Schmidt – warum gibt es die Nummer vier denn nicht?

    Preußler-Bitsch: Nun, das können Sie eigentlich im Buch selber nachlesen: Der Räuber hat sich zur Ruhe gesetzt, und Kasperl und Seppel, die ja am Ende jedes Bandes entweder Pflaumenkuchen mit Schlagsahne, Bratwürschtl mit Sauerkraut oder im dritten Band dann Schokoladenkürbisse essen, bis sie Bauchweh bekommen, sind im dritten Band so zufrieden mit sich, dass sie mit niemandem auf der Welt tauschen würden, nicht einmal mit sich selber.

    Schulz: Ja, und da wollen wir alle hin. Die Tochter von Ottfried Preußler, die Kulturwissenschaftlerin Susanne Preußler-Bitsch, heute Morgen hier im Deutschlandfunk.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.