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Meinungsforscher: Wahlstrategisch betrachtet müsste Schavan zurücktreten

In der öffentlichen Wahrnehmung sei Annette Schavan "nicht der große Bringer", sagt Klaus-Peter Schöppner, Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Emnid. Aus rein politisch-strategischen Überlegungen im Wahljahr sei sie daher im Falle ihres Rücktritts kein allzu großer Verlust.

Klaus-Peter Schöppner im Gespräch mit Martin Zagatta | 06.02.2013
    O-Ton Annette Schavan: ""Die Entscheidung der Universität Düsseldorf werde ich nicht akzeptieren und dagegen klagen. Da ich nunmehr in einer rechtlichen Auseinandersetzung mit der Universität bin, bitte ich zugleich um Verständnis dafür, dass ich heute keinerlei weitere Stellungnahme abgeben werde. Vielen Dank!""

    Martin Zagatta: Annette Schavan will um den ihr gestern Abend aberkannten Doktortitel weiter kämpfen und offenbar vorerst nicht zurücktreten. Die Universität Düsseldorf hat Annette Schavan gestern Abend ihren Doktortitel aberkannt. Sie hat, so heißt es zur Begründung, systematisch und vorsätzlich gedankliche Leistungen vorgegeben, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hat. Ist die Bildungsministerin jetzt noch haltbar? Ihren Rücktritt hat sie jedenfalls nicht verkündet, als sie sich heute auf ihrer Reise in Südafrika geäußert hat.

    Wir haben Klaus-Peter Schöppner gefragt, den Geschäftsführer des Emnid-Instituts, das vor Wochen schon Umfragen zum Fall Schavan gemacht hat, und zwar, ob er glaubt, ob es den Wählern in einem Wahljahr zu vermitteln ist oder wäre, dass eine Bildungsministerin nicht abtreten will, die ihren Doktortitel wegen Schummelei verloren hat.

    Klaus-Peter Schöppner: Genau das ist ja das Problem. Man muss sich schon fragen, worüber wird geurteilt: Wird über diese Schummelei, die ja inzwischen 30 Jahre her ist, wird darüber berichtet? Ich glaube, da könnten die Deutschen schon großherzig sein. Aber Sie haben recht: Wir haben ein Wahljahr und da gibt es zwei weitere Komponenten, die ja auch von der Presse und von den Medien genüsslich ausgespielt werden. Das erste ist die Frage: Geht es, dass eine Bildungsministerin ausgerechnet ihren Doktortitel verliert, dass sie sozusagen unredlich diesen Titel erworben hat? Das ist die eine Geschichte und die zweite Geschichte ist: War es so gut, dass sie ja sehr despektierlich über zu Guttenberg damals geurteilt hat, dem das auch passiert ist? Also das hat ein Geschmäckle. Und wenn Sie auf das Wahljahr ansprechen, dann ist das große Problem, was die Union hat, dass gerade solche Themen - ob das nun Wulff ist, ob das Brüderle ist, ob das Schavan ist, ob das zu Guttenberg ist - sehr genüsslich von der Presse ausgeschlachtet werden, über Wochen und Monate, und die politische Auseinandersetzung nicht stattfindet. Und das wird sicherlich der Union im Wahlkampf nicht besonders gut tun.

    Zagatta: Sie mit Ihrer Erfahrung, würden Sie sagen, Frau Schavan ist jetzt noch haltbar als Ministerin?

    Schöppner: Also es gibt zwei Situationen. Das eine ist wirklich die Frage, müssen wir uns weiterhin der Prangerisierung stellen, oder können wir nicht mal einen politischen Druck aufbauen und wirklich diese Sache klären, ob das nun wirklich gerechtfertigt ist, was da erscheint. Und übrigens in der Causa Brüderle sagen auch nur 20 Prozent, der ist fair behandelt worden, und 60 Prozent, dass Medien, dass die politischen Gegner unfair mit ihm umgehen. Das andere ist natürlich dann der politische Aspekt. Und von daher muss Annette Schavan im Prinzip gehen, denn auf der einen Seite ist sie ja nicht der große, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, Bringer in dieser Koalitionsregierung. Das meiste, was sie macht, wird ja unter der normalen politischen Wahrnehmungsgrenze durchgeführt. Und in der Situation ist sie aus rein politisch-strategischen Überlegungen kein allzu großer Verlust. Und sie könnte natürlich der Union schaden dadurch, dass hier die eben genannten Themen genüsslich hochgespielt werden und die Union wie gesagt nicht zu ihrem wirklichen Thema kommt. Und interessant ist ja auch - und das ist ja das Dilemma -, dass ja nicht über Bildungspolitik die Leute sich auseinandersetzen, sondern nur um so eine, na ja, lassen Sie sie mich mal Lapidarfrage nennen.

    Zagatta: Würden Sie Frau Merkel raten, da auf einen Rücktritt ihrer Ministerin zu drängen, wenn die nicht freiwillig gehen will?

    Schöppner: Ich würde es im Prinzip tun, denn Sie sehen ja, dass die Politiker, die aus eher nichtigen Anlässen zurückgetreten sind, wie vor längerer Zeit der damalige Innenminister Seiters wegen dieser Affäre in Bad Kleinen, dass sie eine gute Reputation haben, dass sie anerkannt werden, und diejenigen, die so als Platzhalter, als Stammpersonal sich dort zeigen, dass sie eher in der öffentlichen Wahrnehmung negativ wahrgenommen werden. Um es mal im Klartext zu sagen: Sachlich ist es sicherlich nicht begründet, aus parteipolitischen, gerade im Wahljahr parteistrategischen Überlegungen würde die Sache der Union nicht gut tun.

    Zagatta: Die Kanzlerin hat ja auch lange zu ihrem Verteidigungsminister Guttenberg damals gestanden und jetzt gilt es ausgerechnet als Stärke auch von Frau Merkel, Probleme auszusitzen. Das gilt ja als Stärke. Wäre das in dem Fall nicht auch ein Weg?

    Schöppner: Na ja, die Stärke geht ja immer nur bis zu einem bestimmten Teil, bis zu einer bestimmten Situation, wo die öffentliche Meinung möglicherweise deutlich dem widerspricht. Jetzt aktuell in dieser Situation ist die Mehrheit der Deutschen auch für einen Rücktritt. Und was der Kanzlerin möglicherweise etwas mehr zu schaffen macht ist, dass selbst im eigenen Parteilager, also im Lager der Anhänger von CDU und CSU, 58 Prozent für den Rücktritt plädieren. Sicherlich aus den eben genannten Gründen und sicherlich aber auch aus dem Grund, gerade jetzt, 200 Tage vor dem Wahlkampf, nicht irgendwo eine weitere Stimmungsverschlechterung, die wir ja nach der Niedersachsenwahl konstatieren, dort auch noch zu erleben, dass sich das also verstärkt.

    Zagatta: Herr Schöppner, nach all dem, was Sie uns da eben gesagt haben, können Sie sich da noch vorstellen, dass Frau Schavan weiter im Amt bleibt?

    Schöppner: Vorstellen kann man sich natürlich vieles. Man muss sie auch verstehen, man muss auch verstehen, dass Politiker sagen, so nicht, mit mir nicht, ich habe mir wenig vorzuwerfen und ich möchte lieber beurteilt werden an der Lebensleistung, die ich 30 Jahre nach der Promotion gemacht habe. Und die war ja sicherlich nicht schlecht. Insofern muss man Annette Schavan sicherlich verstehen und es gibt gute Gründe dafür. Bloß die Sache hat halt eben den politischen Hintergrund und da haben wir ja nun die Situation, dass die Wähler überhaupt nicht mehr nach Inhalten argumentieren und wählen. Die Welt ist so komplex geworden. Das heißt: An Stelle der Ratio, an Stelle der richtigen politischen Entscheidungen treten die emotionalen Dinge, die die Wahlen entscheiden und die einen großen Einfluss haben. Und rein wahlstrategisch ist es der bessere Weg, wenn sie zurücktreten würde. Rein inhaltlich und persönlich aus Ihrer Sicht kann man natürlich grundsätzlich die andere Meinung vertreten.

    Zagatta: Der Meinungsforscher Klaus-Peter Schöppner, der Geschäftsführer des Emnid-Instituts, mit dem wir vor der Sendung gesprochen haben.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.