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"Menschen sollen häufiger zu ihrem Recht kommen"

Beim strittigen Thema sittenwidrige Löhne rechnet der CDU-Arbeitsmarktexperte Ralf Brauksiepe bei der nächsten Spitzenrunde der Koalition im Bundeskanzleramt mit Fortschritten. Es gebe ein grundsätzliches Einverständnis, dass die Gehälter nicht um dreißig Prozent unter dem üblichen Tarif liegen sollten. Dies sehe auch die gängige Rechtsprechung vor.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Meurer: Wer kann von Stundenlöhnen von 3 oder 4 Euro leben? Niemand, sagen die Gewerkschaften und die SPD. Sie sammeln jetzt Unterschriften dafür, Mindestlöhne in Deutschland einzuführen. Dieses Vorgehen ist in einer Großen Koalition etwas ungewöhnlich, aber jetzt wollen auch die CDU-Sozialausschüsse Unterschriftenlisten auslegen. Gestern Abend kam eine Arbeitsgruppe der Koalition zusammen. Mit dabei war Ralf Brauksiepe, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!

    Brauksiepe: Schönen guten Morgen.

    Meurer: Eine Friseurin in den neuen Bundesländern verdient nur etwas über 4 Euro in der Stunde und das brutto. Finden Sie das richtig?

    Brauksiepe: Man muss zunächst mal feststellen, dass es Tarifverträge sind, die die Unterschriften von Arbeitgebern und Arbeitnehmern haben. Ich bin in der Tat der Meinung, dass das ein sehr niedriger Lohn ist. Deswegen gibt es ja auch von politischer Seite Angebote, solche Löhne aufzustocken, wenn jemand damit nicht so viel hat wie er zum Leben braucht. Es sind aber sehr niedrige Löhne, von denen man jedoch sagen muss, sie sind häufig wie im Fall der Friseurinnen tariflich vereinbart.

    Meurer: Haben Sie gestern Abend in der Arbeitsgruppe über Mindestlöhne geredet und über die Frage wann sind Löhne sittenwidrig?

    Brauksiepe: Das war gestern verabredungsgemäß nicht das Thema, aber dafür haben wir eine eigene Arbeitsgruppe und wir haben im Koalitionsausschuss ja verabredet, dass wir uns mit dem Thema der Sittenwidrigkeit beschäftigen, inwieweit der Gesetzgeber in der Lage ist und sinnvollerweise es auch vornehmen sollte, dies im Gesetz festzulegen was bisher vielfach durch Richterrecht konkretisiert worden ist. Darüber sind wir uns im Grundsatz einig, dass wir das machen sollten.

    Meurer: Wie sieht die Einigung mit der Sittenwidrigkeit aus?

    Brauksiepe: Wenn man sich die Urteile ansieht, die es von deutschen Gerichten dazu gibt, dann laufen die im Kern darauf hinaus, auch wenn sie nicht ganz einheitlich sind, dass man sagt ein Lohn, der mehr als ein Drittel unter dem Tariflohn oder dem ortsüblichen Lohn ist, da wo es keine Tarifverträge gibt, der gilt als sittenwidrig. In die Richtung gehen auch unsere Überlegungen, das so ins Gesetz zu schreiben.

    Meurer: Wer stellt das fest, wann etwas sittenwidrig ist? Ein Gericht oder wer tut das?

    Brauksiepe: Es ist bisher so, dass die Gerichte dafür zuständig sind. Bisher steht im Gesetz keine konkrete Festlegung und dann hängt es immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Wir werden auch darüber zu reden haben, inwieweit man beim Verfahren den Menschen entgegenkommen kann, die dort ungerecht behandelt werden. Grundsätzlich ist es aber natürlich so, wenn man sein Recht haben will, dann kann man und muss man das im Rechtswegestaat auch einklagen. Also man wird nicht hinter jeden unterschriebenen Arbeitsvertrag den Staatsanwalt setzen können. Es geht uns aber schon darum, dass die Menschen häufiger und unkomplizierter als in der Vergangenheit hier auch zu ihrem Recht kommen. Das fängt damit an, dass man das was man für Recht hält auch im Gesetz eindeutig festlegt.

    Meurer: Welcher kleine Arbeitnehmer wird schon direkt zum Gericht gehen und einen Prozess anstrengen?

    Brauksiepe: Wenn es das in der Vergangenheit nicht gegeben hätte, gäbe es ja nicht jede Menge einschlägige Urteile zu dem Thema. Ich gehe also schon davon aus, dass das was in Deutschland Recht ist auch in der Regel durchgesetzt werden kann.

    Meurer: Die Richter entscheiden im Moment, wenn ich das richtig sehe, dass ab 3,20 Euro abwärts ein Lohn sittenwidrig ist. Was bringen 3,20 Euro?

    Brauksiepe: Ich habe eben etwas dazu gesagt, was aus meiner Sicht die Rechtsprechung ist. Ich will auch noch mal deutlich sagen: die Politik ist nicht in der Lage, Tarifverträge zu korrigieren und dort korrigierend einzugreifen. Wir haben die Tarifautonomie. Das ist auch eine Einrichtung, die sich in unserem Land bewährt hat. Wenn solche Tarifverträge die Unterschriften von Arbeitgebern und Gewerkschaften tragen, dann kann die Politik dafür sorgen, dass solche dort vereinbarten Löhne nicht noch beliebig unterschritten werden können. Das ist die Aufgabe, die Politik hat, aber Politik kann nicht den Schiedsrichter spielen und sagen, dieser Tarifvertrag ist uns zu hoch, da ziehen wir einen Euro ab, oder jener Abschluss ist uns zu niedrig, da packen wir einen Euro drauf. Politik käme in Teufelsküche, wenn sie das versuchte. Da muss es klar sein, dass es bei einer Arbeitsteilung bleibt zwischen Politik, die den Rahmen setzt, und Tarifvertragsparteien, die Tariflöhne abschließen.

    Meurer: Herr Brauksiepe, Sie wissen auch es gibt Mindestlöhne in Großbritannien und in Frankreich und in beiden Ländern soll das relativ gut funktionieren. Warum taugen Mindestlöhne dann nicht auch in Deutschland?

    Brauksiepe: Es gibt unterschiedliche Einschätzungen darüber, wie diese Löhne in anderen Ländern funktionieren. Gerade was Jugendliche in Frankreich angeht gibt es sehr kritische Stimmen zu den dort festgelegten Mindestlöhnen. Wir haben sehr unterschiedliche Regelungen in den verschiedenen EU-Ländern. Es ist gut, wenn man sich dort umsieht. Am Ende muss jedes Land seinen eigenen Weg gehen. Worüber wir unter anderem in der Großen Koalition reden sind ja tarifliche Mindestlöhne. Das heißt tarifliche Vereinbarungen, die die Tarifvertragsparteien treffen, dann allgemeinverbindlich zu erklären und über die Aufnahme ins Entsendegesetz auch gegen ausländische Billiglohnkonkurrenz abzusichern. Das ist der Weg, auf den wir uns in der Großen Koalition verständigt haben.

    Meurer: Welche Branchen außer Bau und Gebäudereiniger sollten noch davon profitieren?

    Brauksiepe: Ich glaube es ist gut, wenn wir die Tarifvertragsparteien dort nicht aus der Pflicht nehmen, sondern wenn wir zunächst mal die Tarifvertragsparteien fragen, wie sie sich das eigentlich vorstellen, ob sie dort herein sollten. Auch da sollte glaube ich Politik nicht den Schiedsrichter spielen.

    Meurer: Die SPD sammelt Unterschriften für einen gesetzlichen Mindestlohn und seit heute Morgen wissen wir, dass auch die CDU-Sozialausschüsse Unterschriftenlisten auslegen für tarifliche Mindestlöhne. Werden Sie unterschreiben, Herr Brauksiepe?

    Brauksiepe: Es geht um eine Aktion von CDU-Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn auch die CDA an dieser Stelle hier deutlich zeigt wo sie steht. Wir wollen als CDA bei diesem Thema Mindestlöhne weiter kommen und das in der Öffentlichkeit deutlich zu machen, das ist sicherlich auch richtig.

    Meurer: Sie stehen noch nicht bei den Erstunterzeichnern. Werden Sie unterschreiben?

    Brauksiepe: Ach wissen Sie, ich führe ja nun selbst die Gespräche mit der anderen Seite. Ich halte relativ wenig davon, dass ich mich selbst zu irgendetwas auffordere. Ich bin froh, dass ich auch als Mitglied der CDA in der Lage bin, an diesen Gesprächen teilzunehmen und damit auch Einfluss zu nehmen darauf, dass in Deutschland für anständige Arbeit auch anständige Löhne gezahlt werden.

    Meurer: Morgen gibt es noch eine Spitzenrunde im Kanzleramt zu dem Thema. Was erhoffen Sie sich davon?

    Brauksiepe: Ich erhoffe mir davon, dass wir in dem Sinne weitere Fortschritte machen, wie ich das dargestellt habe. Wir haben uns dort unter anderem die Themen Schaffung von tariflichen Mindestlöhnen über das Entsendegesetz und auch das Thema der Konkretisierung, der Kodifizierung, wenn man so will, der Sittenwidrigkeit von Löhnen vorgenommen und ich hoffe, dass wir an diesen Themen weiter kommen.

    Meurer: Weiter gekommen zu sein scheinen Sie auch bei einem Thema gestern Abend in der Arbeitsgruppe: beim Kombilohn für junge Arbeitslose. Auf was haben Sie sich da geeinigt?

    Brauksiepe: Wir haben uns darauf verständigt, dass wir in der Tat verstärkte Anstrengungen unternehmen wollen, um Jugendliche unter 25 Jahren wirklich in den Arbeitsprozess zu integrieren. Dafür werden wir auch Geld in die Hand nehmen, Angebote machen für Arbeitgeber, auf der anderen Seite auch jungen Menschen die Möglichkeit geben, sich zu qualifizieren beziehungsweise weiter zu qualifizieren. Das heißt das wird ein gestaffeltes Kombilohn-Modell sein, je nachdem wie groß auch die Unterstützungsbedürftigkeit ist. Für diejenigen, die eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, die von daher relativ gut in den Arbeitsmarkt zu integrieren sind, ist die Unterstützung etwas geringer. Wo die Berufsausbildung nicht vorhanden ist, da ist sie etwas größer, damit wir wirklich junge Menschen nicht am Wegesrand liegen lassen, sondern ihnen die Möglichkeit geben, Arbeit zu haben, aber gleichzeitig auch sich so zu qualifizieren für den Arbeitsmarkt als junge Menschen, damit sie dann den Großteil ihres Arbeitslebens ohne staatliche Unterstützung auskommen.

    Meurer: Wie viele junge Arbeitslose glauben Sie werden davon profitieren?

    Brauksiepe: Wir hoffen, damit rund 50.000 junge Arbeitslose zu erreichen.

    Meurer: Das war Ralf Brauksiepe hier im Deutschlandfunk, der arbeitsmarktpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Herr Brauksiepe, besten Dank und auf Wiederhören!

    Brauksiepe: Danke auch. Auf Wiederhören!