Dienstag, 23. April 2024

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Menschenrechtsgerichtshof zur Sterbehilfe
"Dieses Urteil ist ein sehr gutes"

Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) hat das Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs im Fall eines Koma-Patienten in Frankreich gelobt. Das Gericht in Straßburg hat die passive Sterbehilfe für Vincent Lambert gebilligt hat. Auswirkungen auf Deutschland werde die Entscheidung nicht haben, sagte Däubler-Gmelin im DLF.

Herta Däubler-Gmelin im Gespräch mit Petra Ensminger | 05.06.2015
    Petra Ensminger: Es ist ein sehr umstrittenes Thema. Das zeigt sich jetzt auch wieder im Fall eines Franzosen, der seit einem schweren Motorradunfall im Wachkoma liegt. Und seine Familie, die ist zerstritten: Soll die künstliche Ernährung beendet, also passive Sterbehilfe geleistet werden? Die Eltern sind dagegen, die Ehefrau dafür. Der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof hat in diesem Fall jetzt entschieden und die passive Sterbehilfe genehmigt.
    Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die passive Sterbehilfe für einen französischen Wachkoma-Patienten gebilligt, und diese Entscheidung wirft Fragen auf, auch für den Umgang mit Sterbenden hier in Deutschland. Die SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin hat sich mit dem Thema immer wieder befasst und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Abend!
    Herta Däubler-Gmelin: Guten Abend, Frau Ensminger.
    Ensminger: In Ihrer Zeit als Bundesjustizministerin und auch später als SPD-Abgeordnete, da haben Sie sich immer wieder gegen Sterbehilfe ausgesprochen. Hat sich an Ihrer Haltung inzwischen etwas geändert?
    Däubler-Gmelin: Nein, natürlich nicht. Außerdem: Ich bin ja die Schirmherrin der deutschen Justizbewegung und wir sind natürlich der Meinung, dass sterben lassen etwas anderes ist, also beim Sterben helfen, als jemanden quasi aktiv vom Leben zum Tod zu befördern. Also insofern gar nicht. Aber es wird Sie jetzt vielleicht wundern: Dieses Urteil des Europäischen Menschenrechts-Gerichtshofes ist ein sehr korrektes und auch ein sehr gutes und, wenn man es ganz liest, auch ein Urteil, das sehr die unglaublich großen menschlichen Schwierigkeiten herausstellt, um die es hier ja geht.
    Ensminger: Und Sie haben es ganz gelesen. Warum befinden Sie es für gut?
    Däubler-Gmelin: Einfach deshalb, weil es ist ja auch eine ganz furchtbare Situation. Die Ärzte der französischen Kliniken haben festgestellt, dass dieser Mann, der ja seit 2008, seit diesem Motorradunfall im Koma liegt, dass sein Leben nicht mehr besser werden könne. Und die Schwierigkeit ist jetzt einfach die, dass Eltern - und ich kann das gut verstehen - es gar nicht hinnehmen können, jetzt zu sagen, dann stellen wir jetzt die künstliche Ernährung ein, während andere Verwandte sagen, wir sind davon überzeugt, dass sich der Betroffene in einer solchen Situation gewünscht hätte, dass er auf diese Art und Weise nicht weiter, das nennt das Gericht, vegetieren muss.
    Ensminger: Aber Sie sagen es auch, in dem Urteil steht auch, der Zustand hätte sich vermutlich oder wird sich vermutlich nicht verändern. Aber fünf Richter haben auch gesagt, es ist aber auch kein Sterbender, er ist nur behindert. Das heißt, wenn sich dieser Zustand nicht verändert, er wird sich auch nicht verschlechtern.
    Däubler-Gmelin: Ja, das ist die Frage. Diese Definition des Sterbenden oder nicht Sterbenden, das spielt im Grunde genommen keine große Rolle für das, was der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof zu sagen hatte. Der hatte ja zu prüfen, ob das französische Gesetz, also das Gesetz Leonetti, in diesem Fall dieses Menschen Lambert richtig angewandt wurde. Und dieses französische Gesetz sagt - das ist dann auch durch den französischen Coup d’état und das Verwaltungsgericht festgestellt worden -, es kommt darauf an, was der Betroffene selbst will.
    Ensminger: Und es ist dann den Ärzten überlassen, lebenserhaltende Maßnahmen abzubrechen?
    Däubler-Gmelin: Nein, gar nicht, sondern die Frage ist - und das ist ja bei uns in Deutschland übrigens ganz ähnlich geregelt: Wenn der Betroffene selber am einfachsten und am besten ist es natürlich durch eine Patientenverfügung sagt, wie er in dieser Situation zu verfahren wünscht, dann ist das maßgeblich, weil der Wille des jeweiligen Patienten ist entscheidend. Und das riesige Problem, das darin besteht, ist nun, dass er das nicht schriftlich zu einer früheren Zeit aufgeschrieben hat, sondern dass seine Ehefrau und wohl einige seiner Brüder gesagt haben, er hätte mit ihnen darüber geredet - also natürlich nicht über seinen eigenen Fall - und hätte das so gesehen, während die Eltern das nicht akzeptieren können. Es ist eine schreckliche Situation!
    Ensminger: Das spricht dafür, dass man das tatsächlich irgendwo schriftlich fixiert, was man tatsächlich möchte. Sie haben die Eltern schon angesprochen. Der Anwalt der Eltern nannte das Urteil deswegen dramatisch, weil er glaubt, dass von nun an bewusstlose Patienten nicht mehr geschützt seien. Das sehen Sie dann nicht so?
    Däubler-Gmelin: Nein, natürlich nicht. Aber diese Diskussion wurde bei uns auch so geführt, dass wir das im Zusammenhang mit den Patientenverfügungen ja sehr deutlich diskutiert haben. Noch mal: Der Wille des betroffenen Patienten muss festgestellt werden, und zwar zur Überzeugung der Angehörigen und der Ärzte. Und wenn es da Streit gibt, dann entscheidet bei uns auch ein Gericht, das wir benannt haben in dem Gesetz. Die Schwierigkeit ist aber, dass das natürlich den Eltern nicht unbedingt hilft, wenn die anderer Meinung sind. Das heißt, dieses menschlich extrem Schwierige, diese Lage, diese Situation hatte der Europäische Menschenrechts-Gerichtshof vor sich, und er hatte eigentlich nur zu entscheiden, ob das Verfahren nach dem Gesetz Leonetti richtig eingehalten wurde oder nicht, wenn es richtig eingehalten wurde, ob es dann gegen Artikel zwei der europäischen Menschenrechtskonvention verstößt, also Recht auf Leben, und hat gesagt, das tut es nicht, weil hier der Wille des Betroffenen, soweit das irgendwie ging, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festgestellt wurde.
    Ensminger: Und wir haben es mehrfach jetzt schon gesagt: Es war eine Gratwanderung, es war eine schwierige Entscheidung. Sie haben die deutsche Rechtsprechung schon angesprochen. Wird sich dieses Urteil denn auch auf den Umgang mit Patienten hierzulande auswirken? Was glauben Sie?
    Däubler-Gmelin: Nein, nein. Ich glaube, bei uns ist die Situation insofern klarer, als wir diese ganzen schrecklichen Diskussionen und auch das damit verbundene menschliche Leid in Zusammenhang mit der Frage nach den Patientenverfügungen sehr im Detail diskutiert haben. Das macht es menschlich für Angehörige, die unterschiedlicher Meinung sind, nicht leichter, aber die Fragen sind bei uns geklärt und ich denke auch nicht, dass dieses Urteil deshalb eine große Auswirkung jetzt auf die deutsche Situation haben kann.
    Ensminger: Wobei das Ganze ja wieder aufgeschnürt werden kann. Noch im laufenden Jahr will der Gesetzgeber hier in Deutschland eine neue Regelung zur Sterbebegleitung beziehungsweise Hilfe verabschieden. Da gibt es verschiedene Vorstöße und die gehen bis zu dem Vorschlag einer ärztlich assistierten Begleitung des Sterbenden und des Sterbens.
    Däubler-Gmelin: Nein, nein! Das ist etwas anderes. Da geht es um die Frage, dass einige Leute wollen, dass Ärzte bei einem Selbstmord eines schwer Kranken helfen dürfen. Da geht es dann in der Tat darum, Beihilfe zum Selbstmord zu leisten. Das ist aber ein völlig anderer Fall. Aber Sie haben natürlich insoweit Recht: Diese ganzen Fragen, die ja die Menschen einfach auch betroffen, es ist gut, dass man die immer wieder diskutiert.
    Ensminger: Ich danke Ihnen erst mal für dieses Gespräch. Herta Däubler-Gmelin von der SPD, ehemals Bundesjustizministerin, und Sie haben es gesagt, Schirmherrin des deutschen Hospiz- und Palliativverbands. Danke schön.
    Däubler-Gmelin: Danke sehr! Auf Wiederhören.