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Selbstmord und Sterbehilfe
Die Gefahren des ärztlich assistierten Suizids

Wie viel Hilfe soll in Zukunft beim Sterben erlaubt sein? Im Laufe dieses Jahres soll ein Gesetz verabschiedet werden, dass die sogenannte "Sterbehilfe" regelt. Zur Frage steht, ob ein Arzt einem Schwerkranken nicht nur "passiv" das Sterben erleichtern darf, indem er zum Beispiel keine lebensverlängernden Maßnahmen einleitet, sondern ob er auch "aktiv" werden darf, indem er einen tödlichen Medikamentencocktail zur Verfügung stellt.

Von Ingeborg Breuer | 22.01.2015
    Eine Kunsttherapeutin zeichnet mit einer Frau in einem Hospiz ein Bild.
    Wird es Sterbehilfe als "Kassenleistung" geben? (picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Gegner des "ärztlich assistierten Suizids" halten diese Form der Sterbehilfe für unvereinbar mit dem ärztlichen Ethos und fordern einen Ausbau der Palliativmedizin. Andere meinen, ein solcher Ausbau sei zwar notwendig, werde jedoch das Problem Sterbewunsch nicht aus der Welt schaffen. Die meisten allerdings wenden sich gegen jede Form der organisierten Sterbehilfe. Sterbehilfe als "Kassenleistung", das soll es in Deutschland nicht geben.
    Selbstmord und Sterbehilfe
    Die Gefahren des ärztlich assistierten Suizids
    Von Ingeborg Breuer
    "Das Problem der Sterbehilfe ist vielschichtig. Zum einen sind die Menschen immer weniger bereit, sich bei diesen existenziellen Fragen Vorschriften machen zu lassen."
    Dieter Sturma, Philosoph, versteht, dass Menschen heute über ihren Tod selbst bestimmen wollen.
    "Auch der gläubige Katholik, der sehr freundlich Richtung Rom schaut, wird, wenn es um Fragen des persönlichen Lebens und Tod geht, eine eigene Entscheidung treffen."
    Zimmer: "Meine Erfahrung in fast 30 Jahren Hausarzttätigkeit mit etwa 300 Begleitungen bis zum Lebensende ist, dass ich nur drei Menschen erinnern kann, die überhaupt gefragt haben, ob ich ihnen helfen könnte zu sterben."
    Bernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, möchte durch den Ausbau der Palliativmedizin Schwerkranke von ihren Sterbewünschen abbringen: "Sie waren mit Todesnähe konfrontiert, haben aufgrund dessen, dass sie alleine leben, riesige Sorgen um die Versorgung gehabt. Sie wollten niemandem zur Last fallen. Und nachdem wir geklärt hatten, wie die Versorgung gehen kann, da sind auch Hospizdienste und Nachbarschaften hilfreich, dann verschwinden die Wünsche auch."
    Bessere Versorgung lässt den Sterbewunsch verschwinden
    "Oft sind es ja andere Zustände, die die Patienten vermeiden wollen", sagt Dieter Birnbacher. Der Philosoph hält den Ausbau der Palliativmedizin für wichtig. Trotzdem möchte er Sterbehilfe erleichtern: "Sie wollen vermeiden, dass sie ihre Würde nicht mehr wahren, dass sie abhängig werden, dass sie ihren körperlichen Zustand nicht mehr als mit ihrem Selbstbild vereinbar verbinden. Ich halte den Ausbau von Hospizdiensten für eine vordringliche Aufgabe, glaube aber nicht, dass die Probleme, die zum Verlangen nach assistiertem Suizid führen, beseitigt werden können."
    Es ist eine der schwierigsten ethischen Entscheidungen überhaupt: Wie viel Hilfe soll in Zukunft beim Sterben erlaubt sein? Im November 2014 diskutierte der Bundestag erstmals über eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe. Weitere Debatten werden folgen. Die zentrale Frage ist, ob ein Arzt einem Schwerkranken nicht nur "passiv" das Sterben erleichtern darf, indem er zum Beispiel keine lebensverlängernden Maßnahmen einleitet. Sondern ob er auch "aktiv" werden darf, indem er einen tödlichen Medikamentencocktail zur Verfügung stellt?
    Juristisch ist Selbstmord kein strafrechtlicher Tatbestand, infolgedessen bleibt auch die Beihilfe zum Selbstmord straffrei. Heißt das, dass man eine solche Beihilfe zum Selbstmord professionell anbieten kann? Können Ärzte demnächst den "assistierten Suizid" gegenüber den Krankenkassen abrechnen?
    "Die juristische Standardregel, die zugrunde liegt, ist: Die Tat selbst ist nicht strafbar, also der Suizid steht nicht unter Strafe. Also kann auch die Beihilfe nicht strafbar sein, das sagen zumindest die Juristen bei uns."
    Dr. Michael Wunder ist Mitglied des Deutschen Ethikrates. Im Dezember sprach sich der Ethikrat in einer Ad-hoc-Empfehlung gegen den ärztlich assistierten Suizid aus. Auch wenn er einräumte, dass es seltene Ausnahmesituationen geben könne:
    "Jetzt geht die Diskussion darum, ob es mit dem ärztlichen Recht vereinbar ist, dass der Arzt diese Mittel zur Verfügung stellt. Es geht darum, ob es mit dem Heilungs- und Linderungsauftrag eines Arztes vereinbar ist, auch wenn es einem Patienten ein selbstbestimmter Wunsch ist, ein solches Mittel zur Verfügung zu stellen."
    Ärzte werden nur extrem selten um Hilfe beim Selbstmord gebeten
    In der ärztlichen Praxis ist der Wunsch nach Hilfe beim Selbstmord übrigens selten. In einer kürzlich veröffentlichten Studie des Instituts für Medizinische Ethik der Ruhr-Universität Bochum wurde bei über 700 befragten Ärzten nur von einem Fall berichtet. Allerdings bejahen 67 Prozent der Bevölkerung nach einer aktuellen Umfrage des Allensbach-Instituts die "aktive" Sterbehilfe. Der Begriff ist übrigens missverständlich. Keineswegs bedeutet er nämlich, dass der Arzt den Suizid quasi für den Todkranken übernimmt - dem Sterbewilligen also selbst die tödliche Injektion setzt. Es geht vielmehr nur darum, dass ein Arzt dem Kranken eine tödliche Mixtur zur Verfügung stellt, die dieser dann aber selbst einnehmen muss.
    "Für mich ist es nicht nachvollziehbar, dass ein Beruf, dessen ganzes professionelles Handeln auf das Erhalten von Leben, auf das Leiden-Lindern ausgerichtet ist und dessen ganzes Können und Schaffen darauf abzielt, am Ende ein bis dahin immer dem Staat vorbehaltenes Privileg, nämlich Tötungshandlungen zu begleiten, plötzlich übertragen bekommen soll."
    Für Bernd Zimmer, selbst Hausarzt, widerspricht Beihilfe zum Selbstmord dem ärztlichen Ethos zutiefst. Einige Landesärztekammern untersagen ihren Mitgliedern deshalb auch diese - juristisch nicht verbotene - Form der Sterbehilfe und drohen mit Sanktionen bis hin zum Entzug der Approbation.
    "Nach meinem Verständnis muss man nicht Medizin studiert haben, um Tötungshandlungen, die von Bürgern gewünscht werden, zu vollziehen."
    Das berufsrechtliche Verbot, so der Vizepräsident der Landesärztekammer Nordrhein, bewahre die Ärzte auch vor moralischen Konflikten, falls sie mit dem Sterbewunsch eines Patienten konfrontiert würden.
    "Ich glaube auch, dass man das Recht der Ärzte erkennen muss, dass sie sich vor diesem Gedanken schützen möchten, damit sie unbeschwert mit einem einzigen Ziel, Leben erhalten und Leiden zu lindern, auf den Patienten zutreten können und nicht Gefahr laufen, irgendwann einmal zum Dienstleister für Tötungshandlungen zu werden."
    Allerdings ergab eine vor Kurzem veröffentlichte Studie des Bochumer Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin, dass nur 25 Prozent der befragten Ärzte ein berufsrechtliches Verbot der ärztlich assistierten Selbsttötung befürworten. 40 Prozent der befragten Mediziner können sich vorstellen, unter gewissen Umständen Assistenz zur Selbsttötung zu leisten, 42 Prozent dagegen nicht.
    Eine junge Hand hält eine alte Hand
    Angst vor Hilflosigkeit ist ein häufiges Motiv für einen Sterbewunsch (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Wann ist ein Sterbewunsch ernsthaft?
    Die Frage, die sich dann aber als Nächstes stellt, ist: Wann ist die Äußerung eines Sterbewunsches glaubhaft? Ist er geprägt von einer Depression, von der Angst, Angehörigen zur Last zu fallen, der Angst vor Schmerzen, die aber möglicherweise medikamentös gelindert werden könnten?
    "Das Problem fängt schon da an, wo die Auslösesituation eigentlich schwammig ist. Natürlich wird immer gesagt, es muss dieser Wille frei verantwortlich sein und es ist immer die Frage, wie deutlich, wie zweifelsfrei kann man diese Deutlichkeit, feststellen?"
    Aus seiner Arbeit als Psychotherapeut weiß Michael Wunder, dass Suizidwünsche oft von psychischen Krisen begleitet sind. Und dass in dem Maße, in dem die psychische Krise überstanden ist, ebenso der Suizidwunsch verschwindet. Viele Schwerkranke, die nur noch den Tod als Ausweg sehen, entscheiden sich möglicherweise für das Leben, wenn ein Arzt ihnen Möglichkeiten der Palliativmedizin, der Schmerztherapie oder von Hospizen aufzeigt.
    Angst vor Schmerzen, vor Einsamkeit und vor Hilflosigkeit
    "Die Leitidee lautet, wir wollen nicht primär zum Sterben, sondern beim Sterben helfen."
    Professor Otfried Höffe ist Philosoph und Präsident der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin der Schweiz. Und obwohl in der Schweiz die Beihilfe zur Selbsttötung toleriert wird, hält auch Otfried Höffe es für ethisch angemessener, Hilfe zum Leben statt Hilfe zum Sterben zu leisten.
    "Was wir in der Schweiz diskutiert haben, dass viele Angst haben, weil sie Angst vor Schmerzen haben, zweitens, weil sie fürchten, dass sie einsam bleiben, und drittens, dass sie ihren Angehörigen zur Last fallen. Das zeigt, dass man auf der Ebene der Palliativmedizin was tun muss, denn dann kommt raus: Es ist ja vielleicht auch möglich, unter schweren Umständen weiterzuleben."
    Allerdings weist der Philosoph und Vorsitzende der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer Professor Dieter Birnbacher darauf hin, dass auch die Verbesserung der Palliativmedizin das Problem Sterbewunsch nicht aus der Welt schaffen wird:
    "Es kann sein, dass er ein so autonomiebewusster Mensch ist - vor allem Intellektuelle, die sich im Griff haben wollen - vor allem, wenn absehbar ist, dass das ein unumkehrbarer Prozess ist, der gewissermaßen keine Möglichkeiten auf Heilung oder Besserung enthält."
    Mancher empfinde, so der Düsseldorfer Philosoph, den Zustand körperlicher und geistiger Hilflosigkeit als "würdelos". Und angesichts dieser empfundenen Würdelosigkeit bleibe dann nur der Ausweg "selbstbestimmtes Sterben".
    "Dann kann ich schon nachvollziehen, dass jemand einen solchen starken Würdebegriff für sich ins Feld führt. Ich würde ihn allerdings auffordern, zu überdenken, ob er den Würdebegriff so aufrechterhalten will, dass er bereit ist, die Konsequenzen abzuwägen."
    Der Wert des Lebens
    Doch kann es Zustände von Krankheit geben, die für den Menschen "würdelos" sind? Ist ein Leben, das ein Mensch nicht mehr frei selbst bestimmen und gestalten kann, unwürdig? Vor allem christlich motivierte Ethiker wie der evangelischen Theologe Ulrich Eibach warnen davor, ein von Krankheit oder Behinderung gezeichnetes Leben als lebensunwert zu beschreiben. Doch Dieter Birnbacher entgegnet darauf, dass menschliche Würde zwar jedem Menschen zukomme, das Empfinden eines würdelosen Lebens jedoch etwas Hochindividuelles sei:
    "Vielfach wird argumentiert, dadurch, dass der zum Patientensuizid Entschlossene sein Leben für unwürdig hält, würde die Menschenwürde derer berührt, die das für sich selber nicht so sehen. Hier ist es wichtig, dass das unterschiedliche Dinge sind, die Menschenwürde kann man niemandem absprechen.
    Aber das ist nicht die Würde, um die es geht bei denen, die durch eine Herbeiführung ihres Lebensendes ihre Würde zu wahren glauben können. Es geht hier um eine individuelle Würde, die sehr stark von kulturellen und individuellen, unterschiedlichen Vorstellungen von sich selbst wurzeln, also mehr ein Ideal von sich selbst als etwas Allgemeinverbindliches."
    Dieter Birnbacher hält deshalb den ärztlich assistierten Suizid in manchen Fällen für ethisch vertretbar. Dann allerdings, so Birnbacher, müsse man notgedrungen auch professionell organisierte Sterbehilfe zulassen, da anders den Sterbewünschen von Todkranken nicht "verbindlich" nachgekommen werden könne.
    Allerdings vertritt er damit eher eine Minderheitenmeinung. Geht es doch bei der Neuregelung eines Gesetzes zur Sterbehilfe vor allem darum, Formen organisierter Sterbehilfe zu unterbinden. Denn durch ein solches Angebot könne geradezu eine Nachfrage nach dem begleiteten Selbstmord geschaffen werden. In den Niederlanden etwa, wo seit 2012 sogar mobile Sterbehilfeteams unterwegs sind, steigt der Wunsch nach einem selbstbestimmten Tod. Und Otfried Höffe beschreibt die Problematik kommerziell arbeitender Vereine, wie sie in der Schweiz tätig sind:
    "Es gibt Dignitas und Exit, und vor allem die eine Gruppe, die sich sozusagen missionarisch ausbreiten, die wollen auch in Heime gehen und dort das Recht bekommen zu agieren. Das setzt aber ein gewisses Fragezeichen. Wenn man nicht da ist und wartet und wenn jemand kommt, helfe ich ihm, sondern nun offensiv seine eigene Idee verbreitet, finde ich das doch schon bedenklich für diese Delikate private Sphäre des Sterbens."
    Ein Stethoskop liegt auf einem Tisch
    Patientenforen, Klinikfinder oder Arztnavigatoren im Internat taugen nach Expertenmeinung nur für ohnehin informierte Menschen als medizinische Orientierungshilfe. (picture alliance / ZB)
    Ethikrat: Suizid ist keine ärztliche Aufgabe
    In einer Erklärung hob der Deutsche Ethikrat Mitte Dezember des vergangenen Jahres hervor, dass Beihilfe zum Suizid keine ärztliche Aufgabe sei. Und fordert zugleich dazu auf, alle Angebote, die den Anschein einer sozialen Normalität der Sterbehilfe hervorrufen könnten, zu verbieten, sagt Wunder:
    "Wenn ein Tötungsmittel über den Arzt leicht erreichbar wird und wenn die Schranken heruntergesenkt werden und wenn es zur Normalität wird - du kannst wählen, du kannst palliativ, ach nee, ich möchte doch lieber Suizid -, dann werden doch ganz viele labile Personen in diesen Sog geraten."
    Allerdings - so räumte der Ethikrat ein - könne es Ausnahmesituationen geben, die allein durch das ärztliche Gewissen entschieden werden könnten - und nicht durch standesrechtliche Verbote. Der assistierte Suizid wäre damit nicht ausgeschlossen, bliebe aber immer noch, wie die SPD-Abgeordnete Carola Reimann formulierte "die krasse Ausnahme".
    "Ich würde nie sagen, es ist immer amoralisch, wenn ein Arzt das tut, aber ich würde sagen, es braucht überhaupt keine gesetzliche Regeln dazu. Weil gute Ärzte schon immer mal im Ausnahmefall eine solche Hilfe geleistet haben und im Zweifelsfall der Arzt wissen muss, dass er wirklich im Grunde seine Standesregeln schon überschritten hat. Aber manchmal überschreitet man eine Regel und sagt, es war richtig, die zu überschreiten. Es muss bei diesen Einzelfällen bleiben und die Regelung, es gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben, reicht aus. Eine berufsrechtliche Regelung brauchen wir nicht und eine gesetzliche Regelung erst recht nicht."