Menstruation
Kein Ende der Scham

Mythen von der angeblich unreinen Frau, von Menstruationsgift und dem bösen Blick wirken bis heute nach. Die Vorurteile stammen zum Teil noch aus der Antike. Wie wurde die Periode zum Tabuthema? Ein Blick in die Geschichte.

    Auf einer Slipeinlage liegt ein Häufchen roter Glitzerpartikel.
    85 Prozent der Frauen zwischen 14 und 50 Jahren finden einer Umfrage zufolge, dass der weibliche Zyklus öffentlich kaum thematisiert werde. Woher kommt die Stigmatisierung der Periode? (Getty Images / Yulia Reznikov)
    Für Menstruierende im gebärfähigen Alter ist es normal: Sie bluten mehr oder weniger regelmäßig. Auch wenn heutzutage viel mehr als früher darüber gesprochen wird: Laut einer Umfrage halten die meisten Frauen in Deutschland Menstruation weiterhin für ein Tabuthema. Es löst Gefühle wie Scham oder Ekel aus. Uralte pseudowissenschaftliche oder religiös begründete Erzählungen von „Menstruationsgift“, „Periodenschwachsinn“ oder „Unreinheit“ wirken nach. Wie wurde die Periode zu einem gesellschaftlichen Tabu?

    Überblick

    Welche Debatten werden heute über die Menstruation geführt?

    Noch bis vor wenigen Jahren wurden Binden und Tampons in der Werbung gezeigt, die eine blaue statt einer roten Flüssigkeit aufnahmen. Dem Publikum war die reale Farbe Rot in den Augen von Werbern und Unternehmen offenbar nicht zuzumuten.
    Ein Beispiel für den verschämten Umgang mit der Periode. Andererseits wird das Thema Menstruation im gesellschaftlichen Diskurs aber auch sichtbarer. Es gibt Debatten um die Steuerbefreiung von Menstruationsprodukten – in Deutschland wurde die Mehrwertsteuer auf die meisten dieser Produkte vor einigen Jahren von 19 auf sieben Prozent gesenkt.
    Auch eine Freistellung von der Arbeit bei starken Regelschmerzen wird diskutiert und ist in einigen Ländern auch schon umgesetzt worden: Spanien gewährt das bereits bei staatlich geregelter Lohnfortzahlung. Ähnlich halten es Südkorea, Taiwan, Japan, Indonesien, Sambia und China.

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    Frauen setzen sich dafür ein, dass die Periode buchstäblich sichtbarer wird: Die Initiative „Free Bleeding“ – „freies Bluten“ – will dazu ermutigen, keine Menstruationsprodukte zu verwenden. Die Musikerin und Aktivistin Kiran Gandhi lief einen Marathon ohne Tampon, mit deutlich erkennbarem Blutfleck.
    Auch „Period Positivity“ will eine positive Grundeinstellung zur Monatsblutung fördern – schließlich repräsentiere diese Fruchtbarkeit und Mutterschaft. Das löst allerdings auch Widerspruch aus: Damit würden patriarchale Geschlechterbilder reproduziert, kritisiert etwa die Autorin Şeyda Kurt. Sie beklagt dabei auch eine wachsende Kommerzialisierung: Im Zuge der Bewegung werben Influencerinnen und Unternehmen für Menstruationsprodukte im Namen von Diversität und Positivität.
    Dass Tampons indes auf öffentlichen Toiletten verfügbar sind, ist noch keine Selbstverständlichkeit. Die Werbung zielt zudem meist auf „Reinheit“ und „Unsichtbarkeit“. Manche Feministinnen finden, dass damit das Tabu um die Regelblutung aufrechterhalten wird. Trotz etlicher Fortschritte kommt auch die Kulturwissenschaftlerin Jana Wittenzellner zu dem Schluss, dass Menstruation in keiner Kultur als etwas „ganz Normales“ betrachtet wird.

    Wie wurde die Monatsblutung in der Antike dargestellt?

    Viele langlebige Vorurteile zur Menstruation stammen von Falschinformationen aus der Antike. Damals begründete der Arzt Hippokrates die sogenannte Viersäftelehre, wonach der Körper ein Gefäß für vier Flüssigkeiten sei: Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim. Menstruationsblut zählte extra. Es diente laut dieser Theorie wie Exkremente zur Absonderung von Schadstoffen. Und galt als besonders giftig, als Zeichen für die angebliche Unterlegenheit des weiblichen Körpers gegenüber dem männlichen.
    Man glaubte in dieser Zeit, menstruierende Frauen könnten Wein sauer machen und die Ernte verderben. Selbst Frauen nach den Wechseljahren behielten das Gift-Stigma: Wurde das Blut nicht mehr ausgeschieden, galt es im Zweifel als noch gefährlicher, vor allem für Männer und Kinder. Es trat, so die Vorstellung, aus den Augen aus und vergiftete jene, die die Frau anschauten.

    Wie hat man im Mittelalter die Periode wahrgenommen?

    Die Viersäftelehre hält sich bis ins Mittelalter und weit darüber hinaus. Doch anders als in der Antike kommen nun vereinzelt auch Frauen zu Wort. So beweist die Heilerin Trota im 12. Jahrhundert in den so genannten „Trotula“-Texten ein „erstaunlich fortschrittliches gynäkologisches Wissen", wie die Literatur- und Kulturhistorikerin Bettina Bildhauer sagt. Trota gibt Tipps, wie man Menstruierenden helfen kann.
    Dennoch: Führende „Experten“ für die Periode bleiben Männer, häufig Naturwissenschaftler und Theologen in Personalunion. Sie verbreiten die Ansicht, dass die Monatsblutung Teil der biblischen Strafe für den Sündenfall sei. Und sie betonen die Vorstellung von der weiblichen Unreinheit unter Berufung auf Bibelsprüche wie diesen: “Wenn ein Weib ihres Leibes Blutfluss hat, die soll sieben Tage unrein geachtet werden.“
    So ähnlich sehen es viele Religionen. Bettina Bildhauer erklärt das Motiv der Unreinheit mit „Menstruationsneid“: Fruchtbarkeit sei etwas so „Machtvolles“, dass man es besonders „markieren“ musste. Die Ausgrenzung der menstruierenden Frauen führte der Wissenschaftlerin zufolge damals wie heute dazu, "dass man sich immer verstecken musste, dass man immer so tun musste, als wenn man nie blutet, wenn man als Frau am öffentlichen Leben teilhaben wollte.“

    Welche Rolle spielte der Zyklus während der Aufklärung?

    Im 18. Jahrhundert, dem Zeitalter der Vernunft, der Empirie und des Skeptizismus, kommt die Viersäftelehre dann langsam aus der Mode. Es wachsen auch Zweifel an der angeblichen Unreinheit der Frau.
    Allerdings folgen auf alte Vorurteile neue. Wie zum Beispiel die Vorstellung, dass Menstruierende chaotisch und gefährlich wie die wilde Natur seien. Dazu passt auch die Idee, dass der Zyklus mit der Mondphase zusammenhängt. Und der Volks- und Aberglaube will in blutenden Frauen den „bösen Blick“ erkennen, der Menschen und Tiere krank macht.

    Wie war der Umgang mit dem Thema Menstruation im 19. und 20. Jahrhundert?

    Im 19. Jahrhundert entwickelt sich die moderne Gynäkologie, 1842 wird der Eisprung entdeckt. Gleichzeitig prägen Männer weiterhin die Wissenschaft und diagnostizieren bei Frauen zum Beispiel die sogenannte „Hysterie“.
    Der Begriff kommt von "Hystera" – Gebärmutter. Auf sie führt man nun alle psychischen Leiden, aber auch jedes sozial unerwünschte Verhalten zurück. Der Psychiater Richard von Krafft-Ebing geht noch weiter: Er unterstellt Frauen „Menstruationsschwachsinn“ – geistige Unzurechnungsfähigkeit während der Periode.
    Auch andere behaupten, dass Frauen aufgrund ihrer Monatsblutung anders vor Recht und Gesetz zu behandeln seien. Meist zu ihrem Nachteil, wie die Kulturwissenschaftlerin Jana Wittenzellner betont: Auch die Gesetze sind von Männern gemacht worden.
    Im 20. Jahrhundert verbreitet der ungarische Kinderarzt Béla Schick erneut die antike These vom „Menstrualgift“. Auch im Schweiß der Frauen sei Schadstoff. 1920 behauptet Schick, beweisen zu können, dass das „Toxin“ Blumen welken und Speisen verderben könne. Zeitgenossen äußern Zweifel, doch Schicks Behauptungen werden trotzdem weiterhin ernst genommen, berichtet Wittenzellner.
    Ein neuer Blick auf die Regelblutung entsteht erst Jahrzehnte später, auch durch die Frauenbewegung der 1970er-Jahre. Frauen wenden sich nun gegen routinemäßige Gebärmutterentfernungen. Es entstehen die ersten Frauengesundheitszentren. Für die bewegten Frauen geht es darum, Unabhängigkeit zu erlangen, sich selbst Wissen zu verschaffen und anderen Frauen zu helfen.
    Dennoch bleiben jahrhundertealte Thesen von der unreinen Frau, dem Menstruationsgift oder der Hysterie wirkmächtig. Ein Blutfleck erzeugt bis heute oft Scham. Öffentlich über die Periode zu sprechen, erfordere Mut, betont Jana Wittenzellner. Selbst in der Wissenschaft sei es schwer, mit dem Thema ernstgenommen zu werden. Einen Nobelpreis könne man jedenfalls kaum damit gewinnen.

    bth