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Merkel-Besuch in London
Cameron hofft auf Unterstützung

Bundeskanzlerin Angela Merkel trifft heute in London ihren britischen Amtskollegen David Cameron. Das Treffen dient in erster Linie der Vorbereitung des G7-Gipfels in Deutschland im Juni. Doch Merkels Besuch fällt mit dem Auftakt des britischen Wahlkampfes zusammen - und David Cameron hofft auf deutsche Rückendeckung.

Von Jochen Spengler | 07.01.2015
    David Cameron redet am Rande des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg in Ypern in Belgien mit Angela Merkel.
    Immer wieder im Gespräch: der britische Premierminister David Cameron und Bundeskanzlerin Angela Merkel (picture alliance / dpa / Dospiva Jakub)
    "Please give the warmest and most respectful welcome to Chancellor Dr. Angela Merkel," so führte der Speaker des Unterhauses, John Bercow, vor knapp einem Jahr die Bundeskanzlerin ein, als sie vor beiden Kammern des britischen Parlaments eine Grundsatzrede hielt:
    "Eine starke Europäische Union braucht starke europäische Institutionen und starke Mitgliedstaaten." Das klangt nicht revolutionär, aber in Westminster sagen das immer weniger Leute immer seltener. Die Bundeskanzlerin bemühte sich um Subtilität und Diplomatie:
    "Meine Damen und Herren, wir müssen die politische Gestalt Europas immer wieder zeitgemäß erneuern."
    War das die lange ersehnte Zustimmung zu Camerons Absicht, entweder die EU von Grund auf zu erneuern oder aber mindestens die Bedingungen der britischen Mitgliedschaft drastisch zu lockern? Dafür scheint die Kluft allzu breit. Denn Camerons europapolitisches Credo ist eng definiert:
    "Britain is in Europe because we are an engaged trading nation. This is the biggest single market in the world."
    Die Briten seien in der EU, weil sie eine Handelsnation seien und Europa den größten Binnenmarkt anbiete. Weiter reicht sein Interesse nicht. Das hat er mit seinem Veto gegen den Fiskalpakt, mit seiner vergeblichen Obstruktionspolitik gegen Jean-Claude Juncker und mit seiner Drohung, die Europäischen Menschenrechtskonvention zu verlassen, hinreichend bewiesen. Das Vorgehen war jedes Mal hemdsärmlig, ungeschickt und kontraproduktiv.
    Schwindender Einfluss in der EU
    Cameron scheint außerstande, europäische Koalitionen für seine Anliegen zu schmieden. Britische Zeitungen beklagten gestern, dass Großbritannien seinen Einfluss in Europa an Berlin abgetreten habe, Manuel Barroso, bis vor kurzem EU-Kommissionspräsident, stellte denselben Tatbestand unlängst fest. Selbst Angela Merkel scheint diese Entwicklung zu bedauern:
    "We need a strong United Kingdom with a strong voice inside the European Union. If we have that, we will be able to make the necessary changes."
    Mit einem starken Vereinigten Königreich innerhalb Europas seien die nötigen Anpassungen durchaus möglich, versprach Merkel in der englischen Einleitung ihrer Rede.
    Sie denkt an die Bekämpfung von Missbrauch, namentlich an die Rationierung sozialer Zuschüsse an Migranten innerhalb der EU. Sie will die Briten als oftmals Gleichgesinnte an Bord behalten, aber nicht um den Preis einer EU, die bloß noch Binnenmarkt ist, und ganz gewiss nicht um den Preis der Freizügigkeit. Doch Camerons vages Fernziel ist weit ehrgeiziger:
    "A real choice between leaving or being part of a real settlement in which Britain shapes and respects the rules of the single market but is protected by fair safeguards and free of the spurious regulation that damages Europe's competitiveness."
    Bei der versprochenen Volksabstimmung gehe es entweder um den Austritt oder um eine Neudefinition der britischen Mitgliedschaft: Binnenmarkt Ja, aber mit britischen Extrawürsten und ohne wettbewerbshemmende Regeln aus Brüssel.
    Camerons Kampf gegen die UKIP

    UKIP-Parteichef Nigel Farage schaut durch ein Fenster des Wahlkampfbüros in Clacton-on-Sea, neben, über und unter ihm Plakate mit der Aufschrift "Thank you for voting UKIP"
    UKIP-Parteichef Nigel Farage freut sich über den Wahlsieg des Abgeordneten Douglas Carswell. (picture alliance / dpa / Will Oliver)
    Der Brite begündet seine Sonderwünsche mit dem schwindenden demokratischen Rückhalt für die EU in seinem Land; der sei mittlerweile hauchdünn geworden.
    Hier wird das Kind endlich beim Namen genannt: Während Merkel das europäische Projekt durch Reformen stärken will, führt Cameron ein Rückzugsgefecht gegen die Anti-Europäer in der United Kingdom Independence Party, UKIP, und eine ähnlich rabiate Kabale in seiner eigenen Partei. Die mögen Cameron ohnehin nicht und halten seine Europapolitik nicht ganz zu Unrecht für taktisches Kalkül. UKIP-Chef Nigel Farage brachte es auf den Punkt:
    "I think the problem is that the Great British public don't believe the Prime Minister, that's really the problem..."
    Die britischen Wähler glaubten Cameron kein Wort. Deshalb braucht er Merkels Unterstützung für seine Strategie der Neuverhandlungen. Andernfalls schrumpft Camerons Plan auf das Versprechen eines Austrittsreferendums zusammen – und das bietet UKIP schon an.