Dienstag, 30. April 2024

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Merkel in Ungarn
"Mehr Kritik geht nicht"

Bei ihrem Besuch in Budapest kritisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit deutlichen Worten die Regierung Viktor Orbáns. Das habe es in dieser Form noch nicht gegeben, sagte Dániel Hegedüs vom Robert Bosch-Zentrum im DLF. "Ich glaube, viel weiter konnte die Bundeskanzlerin auch nicht unbedingt gehen."

Dániel Hegedüs im Gespräch mit Bettina Klein | 03.02.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban. (AFP / Attila Kisbenedek)
    Der Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Ungarn sei kein rosiger Tag für die ungarische Regierung unter Viktor Orbán gewesen, sagte Dániel Hegedüs vom Robert Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa im DLF. Die deutsche Regierungschefin habe mit Kritik nicht gespart und deutliche Worte für Orbáns Umgang mit der Opposition und der Pressefreiheit gefunden.
    Trotz aller Kritik sei Orbán von den ungarischen Bürgern nach wie vor akzeptiert. Es fehle den Wählern dort eine glaubwürdige Alternative zur gegenwärtigen Regierung. Im Ukraine-Konflikt folge Ungarn der strategischen europäischen Leitlinie. Das habe Orbán auch gegenüber Merkel deutlich gemacht, so Hegedüs. Allerdings bringe der Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin in Ungarn in zwei Wochen Viktor Orbán in ein Dilemma. Niemand könne wissen, was Putin von Orbán fordern werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Viele in Ungarn werden sich gewundert haben über die Kanzlerin gestern in Budapest. Halten sich Staatsgäste doch zumeist zurück mit Kritik an ihren Gastgebern, war das diesmal anders. Gleich mehrfach hatte Angela Merkel Pluralismus und Liberalität von der umstrittenen Regierung unter Viktor Orbán gefordert. Darüber hat meine Kollegin Bettina Klein mit dem Politikwissenschaftler Professor Dániel Hegedüs von der Universität Budapest gesprochen. Hat die Kanzlerin ausreichend klare Worte gefunden?
    Dániel Hegedüs: Ich glaube, das war kein rosiger Tag für die ungarische Regierung und die ungarische Diplomatie. Man konnte eigentlich während der Pressekonferenz die Spannungen zwischen Herrn Orbán und Frau Bundeskanzlerin fühlen und es ist eigentlich eine Tatsache, die für sich spricht, dass man keine gemeinsame Erklärung nach der Pressekonferenz herausgeben konnte.
    Bezüglich der Kritik - ich glaube, viel weiter konnte die Bundeskanzlerin auch nicht unbedingt gehen. Sie hat die sensitiven Fragen wie zum Beispiel Rechtsstaatlichkeit, den Umgang mit der Zivilgesellschaft, Pressefreiheit ganz eindeutig angesprochen und auch wortwörtlich, wenn ich sie zitieren darf, erwähnt, dass eigentlich die Mehrheiten, die Regierungsmehrheiten, auch wenn sie eine stabile Zwei-Drittel-Mehrheit sind, mit Augenmaß benutzt werden müssen. Das sind eigentlich ganz klare und konkrete Messages für Herrn Orbán, auch wenn sie das später an der Andrássy-Uni schon viel, viel weicher formuliert hat. Aber ich glaube, mehr eindeutige oder mehr klare Kritik gegenüber einem anderen EU-Mitgliedsstaat oder EU-Regierung könnte man nicht äußern.
    Bettina Klein: Wenn Sie sagen, sie hat im Rahmen der Möglichkeiten der Diplomatie klare Worte gefunden, welches Gewicht besitzt denn Deutschland überhaupt in diesen Fragen mit blick auf Ungarn?
    Hegedüs: Ich würde sagen, die größte, was ein anderes Land in den internationalen Beziehungen nur spielen könnte. 25 Prozent des ungarischen Außenhandels stammen von Deutschland oder gehen in Deutschland und innerhalb der Europäischen Union konnte Herr Orbán deshalb so durchhalten, würde ich sagen, weil die Europäische Volkspartei und da auch die CDU einen großen Hintergrund für Orbán oder Unterstützung gespielt hat. Und aus diesem Gesichtspunkt ist es ziemlich problematisch oder riskant für Herrn Orbán, viel, viel weiterzugehen und die Unterstützung von der Bundeskanzlerin oder die Toleranz der Bundeskanzlerin zu verlieren, weil es kann ziemlich große politische Schäden für seine Regierung in Ungarn verursachen.
    "Veränderungen vonseiten der Kommission"
    Klein: Sie sagen, bisher gab es die Unterstützung der Europäischen Volkspartei. Sehen Sie denn da jetzt eine Art von Wandel, auch was die Haltung der Bundesregierung, die ja von der CDU getragen wird, angeht?
    Hegedüs: Ich sehe Veränderungen vonseiten der Kommission im Zusammenhang mit der sogenannten "Rule of law" oder Rechtsstaatlichkeits-Initiative, was eigentlich ein neues Beleben von dem ehemaligen Westerwelle-Plan ist, und das konnte selbstverständlich nicht ohne das Einverständnis der Bundesregierung stattfinden.
    Klein: Ist Ihrer Meinung nach die Haltung der Europäischen Volkspartei innerhalb der Europäischen Union dann mitverantwortlich dafür, dass Orbán weiterhin mit seinem autoritären Führungsstil, zum Beispiel mit der Beschränkung der Rechte von Minderheiten und demokratischen Rechten insgesamt, dass er damit weiter durchkommt und sich daran nichts ändert?
    Hegedüs: Wenn wir uns nur ausschließlich auf diesen konkreten Fall fokussieren, dann ja. Aber man kann diesen Fall nicht so unbedingt isoliert behandeln, nämlich wir kennen auch andere Fälle aus der Geschichte der Europäischen Union, wo eigentlich die europäischen Sozialisten ähnlich fraghafte, auch wenn nicht fünf Jahre lang dauernde Regime, aber ähnlich fraghafte Regierungen ebenso unterstützt haben.
    "Die Mehrheit der Bevölkerung hat zurzeit keine andere Wahl"
    Klein: Und weshalb kommt Orbán denn bei den Ungarn ja offensichtlich auch mehrheitlich noch an? Er wurde ja mit großen Mehrheiten wiedergewählt. Der Zuspruch hat dann etwas gebröckelt, aber offensichtlich wird er ja weiterhin getragen von der Mehrzahl der Bevölkerung.
    Hegedüs: Ich glaube, die Mehrheit der Bevölkerung hat zurzeit keine andere Wahl. Erstens, weil es fehlt eine glaubwürdige oppositionelle Alternative, die man wählen könnte. Und zweitens, weil prozedural finden in den nächsten drei Jahren keine Wahlen in dem Land statt. Das muss man auch zugeben, in den letzten Monaten hat Fidesz eigentlich die größte Niederlage je in der Politikgeschichte Ungarns seit der Wende erlebt. Fidesz hat während mehr als zwei, drei Monaten fast 16 Prozent verloren, und das war beispiellos. So einen riesengroßen Verlust haben auch nicht die Sozialisten in der Geschichte ihrer Regierungszeiten, zum Beispiel während den großen Skandalen in 2006, verbucht oder erleben können.
    Klein: Schauen wir noch auf einen konkreten Konfliktherd auch innerhalb Europas. Welche Haltung nimmt Ungarn im Ukraine-Krieg ein? Präsident Putin wird ja in etwa zwei Wochen in Budapest ebenfalls empfangen werden.
    Hegedüs: Ja und ich glaube, das war auch das Kernthema von den Besprechungen zwischen der Frau Bundeskanzlerin und Ministerpräsident Orbán. Herr Orbán hat es betont, dass Ungarn eigentlich der deutschen strategischen Leitlinie folgt, und da hat er auch nicht besonders viele Manövrierungsmöglichkeiten. Aus den anderen Gesichtspunkten ist der Besuch von Herrn Putin selbstverständlich ein Risikofaktor.
    Klein: Inwiefern?
    Hegedüs: Weil es verursacht eigentlich eine gewisse Instabilität und Verlust von Glaubwürdigkeit, nämlich man weiß nicht, was für Forderungen oder was für Initiativen Putin in Budapest ergreifen wird und was auf der anderen Seite der Waage liegen kann.
    Müller: Meine Kollegin Bettina Klein im Gespräch mit dem Politikwissenschaftler Professor Dániel Hegedüs von der Universität Budapest.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.