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Meuterei unter Männern

Im düsteren Bauch eines Schiffes spielt sich im Vordergrund eine Seemannsgeschichte ab. Hintergründig geht es Homoerotik, Stigmatisierung und Angst. Eine gelungene Inszenierung mit transparentem Klangbild.

Von Christoph Schmitz |
    "Sternen-Vere, wir werden kämpfen! Werden sie von den Meeren fegen! Wir sind für den König! Tod oder Sieg!"

    Auf den ersten Blick ist Benjamin Brittens Oper "Billy Budd” ein raues Seemannsstück: Männer auf einem britischen Kriegsschiff der königlichen Marine im Jahre 1797 mit dutzenden Kanonen an Bord. Sie jagen die Franzosen, das revolutionäre Pack, das seinen König umgebracht hat und im Namen der Menschenrechte und der Freiheit Europa mit Krieg überzieht.

    Die Sitten an Bord der Briten sind brutal, die Matrosen werden von den Offizieren drangsaliert. Der Unmut, die angestaute überschüssige Energie muss sich dringend in einer Seeschlacht entladen, damit keine Meuterei ausbricht. Aber das im Nebel auftauchende französische Kriegsschiff kommt in letzter Sekunde davon. Dafür muss der junge, aufstrebende und beliebte Billy Budd dran glauben. Er hat dem Offizier Glaggart einen Fausthieb versetzt, weil Glaggart ihn zu Unrecht der Anstiftung zur Meuterei bezichtigt hat. Glaggart fällt um und ist tot, Billy wird verurteilt und gehängt.

    Vordergründig spielt die Düsseldorfer Inszenierung die Seemannsgeschichte auch mit, verlegt sie aber in die 1950er-Jahre, also in die Entstehungszeit von Brittens Oper. Wir befinden uns in einem düsteren Schiffsinnern. Matrosenanzüge fürs Fußvolk, Offiziersuniformen für die Chefs. Die schwarzen Stahlwände des Schiffs werden durch zahlreiche bewegliche Module gekennzeichnet. Permanent werden sie hin und her geschoben, um verschiedene Raumsituationen zu schaffen, aber auch um ein labyrinthisches Wirrwarr zu suggerieren. Hier kann man sich nur Verlaufen, ein Entrinnen gibt es nicht. Alle wirken wie Gefangene in einem unbarmherzigen System der Unterdrückung und Entrechtung. Doch schnell wird in dieser strengen und gelungenen Inszenierung deutlich, dass diese beklemmende Außenwelt eine Innenwelt ist. Eine Welt unterdrückter, verbotener, sehnsüchtiger Emotionen.

    Benjamin Britten hat seine homoerotische Existenz samt gesellschaftlicher Stigmatisierung und Angst vor Entdeckung als Seemannsstück verpackt. Der Offizier John Claggart, der dem armen Billy Budd so zusetzt, liebt den jungen Matrosen. "Schönheit, Anmut, Güte, dass ich euch begegnet bin!", singt er heimlich in seiner Kajüte. Der Finne Sami Luttinen gibt Glaggart alle Kraft und Zärtlichkeit, die die Rolle braucht.

    "Das Licht scheint durch das Dunkel, und das Dunkel wird begriffen und leidet. O Schönheit, o Anmut und Güte, ach, dass ich euch erblickte!"

    Offizier Glaggart muss die verbotene Männerliebe, wie alle anderen auch, unterdrücken und sich den unerbittlichen Regeln der Gesellschaft fügen. Das von Normen reglementierte Leben macht Regisseur Immo Karaman auch in einer streng gezirkelten Choreografie sinnfällig. Alle bewegen sich ständig wie beim militärischen Appell. Die Lichtfigur in der unterdrückten Triebwelt ist Billy Budd. Lauri Vasar aus Estland verkörpert ihn mit jugendlich frischem Tenor. Die Düsseldorfer Symphoniker rühren kräftig in dem brodelnden Klangkessel. Unter der musikalischen Leitung von Peter Hirsch bleibt das Klangbild aus vertrackten Rhythmen und sich überlagernden Motivblöcken dennoch transparent.

    Mehr und mehr lässt die Inszenierung nach Seemanns- und Schwulenstück eine dritte Sinnschicht der Komposition durchschimmern: die existenzielle Erfahrung, in dieser Welt gefangen zu sein und außer Stande, die Begrenztheit zu durchbrechen. Die Vergeblichkeit zeigt sich in der zunehmenden Verlangsamung und Dehnung des Klangmaterials. Fast schmerzhaft betrieb gestern Abend Dirigent Peter Hirsch die Entschleunigung. Stillstand auch auf der Bühne. Zu erleben, wie das Leben erstarrt, ist eben nicht angenehm. Auch wenn es schön klingt, wie bei Billy vor seinem Tod. Nach "Peter Grimes" setzt die Düsseldorfer Oper mit "Billy Budd" ihren angestrebten Britten-Zyklus erfolgreich fort.

    "Schau! Wie ein Mondstrahl verirrt auf mich fällt! Die Planken versilbernd bescheint er das Schiff. Doch erlischt's mit der Dämm'rung und Billy muss fort."