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Michael Roth (SPD) zu EU-Gipfel
"Es geht eigentlich um einen Aufbruch in eine digitale innovative Zukunft"

Die Mitgliedstaaten müssten beim EU-Gipfel ein klares Signal setzen, forderte Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, im Dlf: Dass Europa es schafft, gemeinsam und solidarisch aus der Coronakrise zu kommen. Letztlich gehe es nicht nur um den Wiederaufbau, sondern um die Zukunft der Union.

Michael Roth im Gespräch mit Philipp May | 17.07.2020
Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt
Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, ist zuversichtlich, dass der EU-Gipfel erfolgreich das Finanzpaket auf den Weg bringen wird (picture alliance / dpa)
Bei dem anstehenden EU-Gipfel in Brüssel soll ein Finanzpaket mit einem Volumen von 1,8 Billionen Euro beschlossen werden. Dieses beinhaltet zum einen den mehrjährigen Finanzrahmen für die Europäische Union, zum anderen ein 750 Milliarden Euro schweres Konjunktur- und Investitionsprogramm zur Bewältigung der Corona-Wirtschaftskrise. Es werden harte und lange Verhandlungen erwartet.
Alle Mitgliedsstaaten hätten aber verstanden, dass die Coronakrise eine außergewöhnliche Antwort brauche, sagte Michael Roth (SPD), Staatsminister im Auswärtigen Amt, im Deutschlandfunk. Zum einem müsse den Mitgliedsstaaten, die besonders unter der Coronakrise gelitten haben, schnell gehgolfen werden. Zum anderen müsse das gesamte EU-Finanzpaket richtungsweisend für die Zukunft der EU sein, Digitalisierung und Klimaschutz voranbringen und die Rechtsstaatlichkeit innerhalb der Union stärken.
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Beim EU-Gipfel wird über ein Finanzpaket mit einem Volumen von 1,8 Billionen Euro verhandelt. Das Ziel: Die Coronakrise soll wirksam bekämpft werden. Da sind sich alle einig. Dennoch wird ein zähes Ringen um Kompromisse und Bedingungen erwartet.
Zwar müsse Deutschland künftig deutlich mehr bezahlen, es könne sich das aber auch leisten, so Roth. Zudem müsse Deutschland als exportorientiertes Land ein großes Interesse daran haben, dass die Europäische Union ganz schnell zu wirtschaftlichem Aufschwung und sozialer Stabilität zurückfinde. Davon würde letztlich die deutsche Wirtschaft und der deutsche Arbeitsmarkt profitieren.

Hier lesen Sie das Interview in voller Länge:
Philipp May: Wie viele Hemden sollten die Staats- und Regierungschefs einpacken für den Gipfel?
Michael Roth: Ja, das könnte ein langes Wochenende werden. Denn allen muss klar sein: Jetzt müssen auch Entscheidungen getroffen werden. Die Verschiedenen Optionen, die Streitpunkte, die liegen ja alle auf dem Tisch, und ich glaube, wir müssen jetzt auch ein Signal nach außen setzen, wir kriegen es hin, gemeinsam solidarisch aus so einer Krise herauszukommen. Und außerdem brauchen wir auch ein klares Signal gegenüber denjenigen, die am stärksten unter dieser schweren Krise gelitten haben, die Wirtschaftssektoren, vor allem auch die Staaten, dass wir ihnen beistehen, dass wir ihnen helfen.
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May: Ich habe ein Statement von vorgestern, war es, glaube ich, von Ihnen im Ohr, als Sie die deutsche Formulierung "über seinen Schatten springen" zum Motto des Gipfels erklärt haben. Wer muss denn am höchsten hüpfen?
Roth: Ich glaube, da müssen alle noch ein bisschen springen. Es ist jetzt nicht die Zeit, um rote Linien zu formulieren. Das haben wir jetzt wochenlang erlebt. Das ist wichtig, das darf nicht gemacht werden. Jetzt muss sich jeder und jede noch einmal überprüfen, inwieweit man noch einmal auf den anderen zugehen kann. Allen scheint aber doch klar zu sein – das haben mir auch die vergangenen Gespräche gezeigt -, eine außergewöhnliche Situation, in der wir uns befinden, braucht eine außergewöhnliche Lösung.
Es darf keine Politik der Trippelschritte geben. Wir brauchen jetzt ein mutiges Angebot gegenüber allen und es muss auch in die Zukunft weisen. Das heißt, es geht nicht um einen Wiederaufbau; es geht eigentlich um einen Aufbruch in eine bessere digitale innovative Zukunft, mehr tun für den Klimaschutz, die Rechtsstaatlichkeit stärken. Das haben, glaube ich, alle verstanden und deswegen sehe ich die Chancen durchaus als gegeben an, dass wir an diesem vielleicht etwas verlängerten Wochenende dann auch zu einer vernünftigen Lösung kommen.
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May: Und wenn nicht? Ist dann alles kaputt?
Roth: Natürlich ist nicht alles kaputt. Aber es muss jetzt schon auch klar sein, dass wir nicht immer wieder verlängern können. Wir haben das gut vorbereitet, auch im Kreise der Europaministerinnen und Europaminister. Die Gespräche sind auch zwischen den Staats- und Regierungschefs und Chefinnen geführt worden.
Der Ratspräsident hat sein Übriges dazu getan, die Kommission ebenso. Wir haben da auch noch ein Europäisches Parlament, was am Ende ja auch noch zustimmen muss. Und damit wir jetzt beruhigt in die Sommerpause gehen können – und das ist nun mal im August so -, wäre schon mein Vorschlag, reißt euch zusammen, jetzt im Juli eine Entscheidung treffen, und dieses Wochenende ist der ideale Zeitpunkt dafür.
Trennung von Hilfen und Finanzrahmen nicht zielführend
May: Es ist ja immer so bei diesen Verhandlungen. Häufig wird dann immer gesagt, dass alles mit allem zusammenhängt. Jetzt sind im Prinzip zwei Sachen auf der Agenda: zum einen der siebenjährige Finanzrahmen, rund 1,1 Billionen Euro, und das 750 Milliarden Euro schwere Wiederaufbaupaket, Corona-Wiederaufbaupaket. Ist es denkbar, dass möglicherweise zum Beispiel nur das Paket verabschiedet wird, aber der Finanzrahmen wird noch mal auf die lange Bank geschoben?
Roth: Das kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Es wäre auch nicht zielführend, weil wir haben ganz bewusst darauf gesetzt, dass diese beiden großen Pakete zusammengebracht werden. Es gibt dafür auch einen ganz, ganz wichtigen Grund. Wir betten ja das wirtschaftliche und soziale Erholungsprogramm im Umfang von derzeit 750 Milliarden Euro in den EU-Haushalt ein, und warum sollte man das dann wieder trennen.
Außerdem erleichtert es auch durchaus die Konsensfindung, weil natürlich die einen ein größeres Interesse daran haben, dass das Aufbauprogramm durchkommt, andere wiederum setzen sehr darauf, dass wir einen zukunftsorientierten Haushalt bekommen, der aber nicht nur stark ist im Agrarsektor und in der Strukturpolitik, sondern der auch in der Außenpolitik, in der Entwicklungszusammenarbeit, beim Klimaschutz, beim sozialen Zusammenhalt wichtige Akzente setzt. Wenn man das zusammenbringt, hat man einfach mehr Figuren auf dem Spielfeld. Da s macht es jetzt zugegebenermaßen sehr kompliziert, aber am Ende ist es auch leichter, eine Lösung zu finden.
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May: Sie haben gesagt, es braucht eine mutige Antwort in einer außergewöhnlichen Situation. Haben Sie dementsprechend Verständnis für die sogenannten sparsamen Vier, Österreich, Niederlande, Schweden und Dänemark – manche zählen auch Finnland dazu als fünften Player sozusagen -, die den von der Kommission vorgeschlagenen Hilfsfonds ablehnen?
Roth: Erst mal sind das Staaten, die massiv von einem handlungsfähigen Europa profitieren, genauso wie Deutschland. Wir sind exportorientiert. Wir können uns keine Armutsinseln in der Europäischen Union erlauben. Der Binnenmarkt ist für diese Staaten genauso wie für Deutschland ganz, ganz wichtig. Deswegen dürfen wir nicht noch mehr soziale und wirtschaftliche Ungleichgewichte zulassen, als wir sowieso schon haben. Das ist unser gemeinsames Interesse.
Wo ich ganz auf der Seite der vier Staaten stehe, dass wir das, was wir jetzt tun, auch ganz stark verknüpfen müssen mit sozialem Zusammenhalt, mit Klimaschutz, mit Digitalisierung. Noch einmal: Wir wollen jetzt einen Aufbruch in eine bessere Zukunft. Das heißt, wir müssen endlich besser werden bei der Digitalisierung. Wir müssen besser werden beim Klimaschutz. Wir müssen aber auch besser werden bei der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit.
"Kultur des Misstrauens in der EU"
May: Mit anderen Worten: Dass jetzt zum Beispiel Italien und Spanien als zwei Länder, die hauptsächlich profitieren würden von dem Rettungsfonds, das Geld nehmen, um Haushaltslöcher zu stopfen, das geht gar nicht, auch aus deutscher Sicht?
Roth: Was mir erst mal auf den Zeiger geht, das ist diese Kultur des Misstrauens in der Europäischen Union. Diese beiden Länder sind völlig unverschuldet in diese Krise gekommen, im Übrigen genauso wie wir oder wie andere, die stark darunter gelitten haben. Und ich finde es jetzt nicht fair, denen mit den üblichen Stereotypen zu unterstellen, sie wollen das Geld in irgendwelche dunkle Kanäle bringen. Natürlich gibt es Bedingungen und die müssen von allen erfüllt werden. Dafür haben wir ja auch klare Regeln auf der Europäischen Union.
Aber diese Staaten haben ja auch schon ein Signal ausgesendet uns gegenüber, dass sie das Geld ja brauchen für ein besseres Gesundheitswesen, für eine modernere Industrie, für eine stärkere Verknüpfung der Klimaschutzziele mit modernem Wirtschaften, mit einem starken auch zukunftsfähigen Sozialstaat. Das hört sich für mich gut an und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Staaten auch diese Vorgaben erfüllen werden.
May: Aber Kontrolle ist doch trotz allem besser als reines Vertrauen, oder nicht?
Roth: Es gibt ja Kontrollmöglichkeiten. Das ist ja noch einer der Streitpunkte, ob am Ende das Geld nur von der Kommission ausgegeben wird, oder ob dann auch der Rat oder das Europäische Parlament noch eine Zustimmungsmöglichkeit bedürfen. Das ist streitig. Ich glaube, am Ende wird es nicht so sein, dass wir dann ein kompliziertes Verfahren haben. Denn noch einmal: Das Geld muss ja schnell verausgabt werden. Wir haben jetzt eine Krise. Es droht jetzt eine Massenarbeitslosigkeit. Es droht jetzt eine soziale Spaltung. Deswegen müssen wir auch sehen, dass die Mittel schnell da ankommen, wo sie dringend gebraucht werden, also in den nächsten zwei Jahren. Das ist für uns essentiell.
May: Es geht um Corona-Hilfen. So heißt ja auch der Fonds. Wenn man sich jetzt allerdings die Geldverteilung im Aufbaufonds anschaut, dann fällt auf: Mit Corona hat das eigentlich gar nicht so viel zu tun. Maßgeblich sind die Arbeitslosenzahlen in den Ländern von 2015 bis 2019. Je höher, desto mehr gibt es für die Länder. Das klingt ein bisschen nach Augenwischerei?
Roth: Es ist ja auch schon abgeändert worden. Im Übrigen will ich auch mal darauf hinweisen, dass es ja gerade die Dramatik auszeichnet, in der wir uns derzeit befinden, dass die Staaten, die schon durch eine schwere Krise gegangen sind, mit einer sehr, sehr hohen Arbeitslosigkeit, mit sehr starken sozialen Verwerfungen, wie Italien, Spanien und andere, dass die jetzt abermals von einer neuen Krise, nämlich von der Corona-Pandemie stark betroffen sind.
Aber es sind ja auch neue Kriterien dazugekommen und das unterstützen ja auch viele in der Europäischen Union, dass noch mal die besondere Lage jetzt im Zuge der Pandemie stärker in den Fokus genommen wird, damit wir dann auch deutlich machen, dass die Regionen am stärksten profitieren, die wirklich auch die größten Opfer erbracht haben im Zeichen dieser furchtbaren Corona-Pandemie, dass die Wirtschaftssektoren beispielsweise wie der Tourismus, die stark gelitten haben, auch stark davon profitieren. Das ist schon auch unsere Forderung und unsere Erwartung, dass das Geld da hingeht, wo es dringend gebraucht wird.
"Auch Deutschland profitiert davon"
May: Also Spanien, Italien, einige andere Länder auch in Osteuropa, die werden profitieren. Klar ist: Deutschland wird eher zahlen.
Roth: Im Übrigen profitiert auch Deutschland davon. Es ist nicht so, dass wir nur einzahlen werden, sondern natürlich gehen auch Mittel nach Deutschland zurück.
May: Wieviel wird Deutschland zahlen?
Roth: Das kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen. Aber eins ist klar: Deutschland wird deutlich mehr zahlen. Das hat auch etwas mit dem Brexit zu tun, mit dem Austritt des Vereinigten Königsreiches aus der EU. Das heißt, die anderen, die übrig bleiben – und das sind dann 27 Mitgliedsstaaten -, die zahlen deutlich mehr.
Aber noch einmal. Erstens: Deutschland kann sich das leisten. Und zweitens: Deutschland hat das größte Interesse daran, dass die Europäische Union ganz schnell zu wirtschaftlichem Aufschwung und zu sozialer Stabilität zurückfindet. Denn wir sind exportorientiert. Bei uns wären Arbeitsplätze bedroht, wenn andernorts Massenarbeitslosigkeit herrscht. Noch einmal: Arbeitslose Griechen und arbeitslose Spanier, die kaufen sich keine teuren Produkte aus Deutschland.
May: Herr Roth, angenommen man findet jetzt einen grundsätzlichen Kompromiss über den EU-Wiederaufbaufonds, dann ist da ja immer noch das Problem der Rechtsstaatlichkeit – Stichwort Ungarn, man könnte auch Polen nehmen. Ungarns Premier Viktor Orbán hat schon signalisiert, man stimmt nur zu, wenn es keine Einmischung mehr in Punkto Rechtsstaatlichkeit gibt. Ist das am Ende ein Thema, das der Corona-Krise zum Opfer fällt?
Roth: Überhaupt nicht. Auch das nehme ich als sehr Mut machendes Signal mit aus der letzten Sitzung des Rates der Europaminister und Europaministerinnen, dass es ein klares Bekenntnis gibt zu einer Europäischen Union, die sich nicht in erster Linie nur als Binnenmarkt, sondern vor allem auch als eine Werte- und eine Rechtsgemeinschaft versteht.
Und da liegt manches im Argen. Deswegen brauchen wir dringend ein gemeinsames Verständnis davon, was uns zusammenhält im Kern. Und wenn es um so viel Geld geht, geht es nicht um Einmischung, sondern es geht darum, dass wir uns alle darauf verpflichten, dass die Grundprinzipien wie die Rechtsstaatlichkeit überall eingehalten werden. Ja! Und wenn diese Prinzipien nicht eingehalten werden, dann ist es aus Sicht fast aller nachvollziehbar, dass das dann auch finanzielle Konsequenzen hat. Sprich: Wer die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit systematisch bricht, soll zukünftig weniger Geld aus Brüssel bekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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