Freitag, 29. März 2024

Fußball
Wie Michael Skibbe in Japan sein Glück gefunden hat

Als Co-Trainer erreichte Michael Skibbe mit dem DFB-Team bei der Fußball-WM 2002 in Japan das Finale. Heute ist er erneut in Japan aktiv, als Trainer von Sanfrecce Hiroshima. Eine Rückkehr nach Deutschland reizt ihn nicht.

Von Felix Lill | 11.06.2023
    Michael Skibbe als Trainer in Japan bei Sanfrecce Hiroshima an der Seitenlinie.
    Seit 2022 ist Michael Skibbe Trainer in Japan bei Sanfrecce Hiroshima. Vor allem der Respekt gegenüber dem Trainer und die Arbeitsmoral der Japaner gefällt ihm dort sehr. (dpa / picture alliance / Takuya Yoshino)
    Wer sich in Japan nach Michael Skibbe umhört, stößt auf Begeisterung.
    "Skibbe ist ein richtig positiver Typ. Seit er da ist, wirkt die ganze Mannschaft positiver, optimistischer und offener. Der Stil auf dem Feld ist auch anders. Offensiver, schneller", Erzählt die 30-jährige Miku, die an diesem Tag zum Morgentraining von Sanfrecce Hiroshima gekommen ist, um sich den Klub, den sie unterstützt, aus der Nähe zu erleben.
    Und Reiko, eine ältere Frau, sagt: "Es fällt auf, dass er seine Spieler sehr viel lobt. Sowas gibt es in Japan wenig. Und auch wenn ihn die Spieler gar nicht sprachlich direkt verstehen können, weil er einen Übersetzer hat, wirkt es so, als wäre er sehr eng mit den Spielern zusammen. Ich finde das richtig gut."

    Skibbe hat aus Sanfrecce Hiroshima eine Spitzenklub geformt

    Vor eineinhalb Jahren war der gebürtige Gelsenkirchener Michael Skibbe in Japan noch ein Unbekannter. Mittlerweile ist er hier Publikumsliebling: In seiner ersten Saison im ostasiatischen Land wurde Skibbe 2022 zum Trainer des Jahres gekürt; erst im April wieder zum Trainer des Monats.
    Seinen Arbeitgeber Sanfrecce Hiroshima hat er nach Jahren der Mittelmäßigkeit zu einem Spitzenklub gemacht. Entsprechend lang muss man warten, wenn man auf dem Trainingsgelände zwischen den Bergen am Stadtrand mit Skibbe sprechen möchte. Der 57-jährige muss erst Autogramme geben.
    Und dann gibt Skibbe gleich zu Beginn des Gesprächs zu verstehen, dass er sich nicht nach seiner Heimat sehnt:
    "Also Deutschland kommt für mich als Arbeitsumfeld nicht in Frage. Ich fühl mich dafür im Ausland viel zu wohl. Wie gesagt, ein ganz anderer, viel respektvoller Umgang mit dem Trainer hier in Japan als das in Deutschland der Fall ist."
    Michael Skibbe (v.li.n.re.), sein Spieler Sho Sasaki, Hokkaido Consadole Sapporos Spieler Shinji Ono und dessen Trainer Michael Petrovic posieren für ein Foto in Tokio.
    Für Michael Skibbe ist Japan das sechste Land, in dem er eine Mannschaft betreut. Er war neben Japan schon in Griechenland, der Türkei, der Schweiz, Deutschland und den Vereinigten Arabischen Emiraten aktiv. (dpa / picture alliance / Pool for Yomiuri)

    Sensation bei dem WM in Japan 2002

    Michael Skibbe ist einer, der es beurteilen kann. In der Bundesliga hat er in den Nullerjahren Borussia Dortmund, Bayer Leverkusen, Hertha BSC und Eintracht Frankfurt trainiert. Japan ist das sechste Land, in dem er als Trainer arbeitet.
    Seinen größten Karriereerfolg erreichte Skibbe aber schon vor zwei Jahrzehnten in Japan – als er 2002 im Trainerduo mit Rudi Völler die deutsche Nationalmannschaft ins WM-Finale führte. Es war eine Sensation, denn die deutsche Truppe galt als fußballerisch mittelmäßig. Michael Skibbe erinnert sich so:
    "Ich fand, wir hatten im Grunde schon ne ganz gute Mannschaft. Vor allen Dingen, hatten wir in dem Jahr wir zwei Mannschaften, die in europäischen Finals waren. Dortmund war im UEFA-Cup-Finale, hatte damals gegen Feyernoord verloren, und Bayer Leverkusen war im Champions League-Finale und hatte gegen Real Madrid verloren. Aber zugeschnitten war in unserem Spiel natürlich viel auf Michael Ballack, der war damals wirklich Weltklasse. Ich sag mal wirklich so, wie man so schön auf Neudeutsch sagt, der beste box-to-box-Spieler, den es in der Welt gab zu dem Zeitpunkt."
    Der Finaleinzug, das gibt Skibbe aber zu, hatte auch mit strauchelnden Topteams und einer guten Auslosung zu tun.
    "Und hatten dann natürlich Glück, dass alle Favoriten, gegen die wir hätten spielen können oder alle richtig guten Mannschaften sind irgendwie ausgeschieden."

    "Rudi Völler ist für den Augenblick der richtige Mann"

    Es sind nicht nur diese WM-Erfahrungen, die Michael Skibbes Herz bis heute für die Nationalmannschaft schlagen lassen. In den Jahren zuvor war Skibbe es gewesen, der nach wiederholt missglückten Turnierauftritten der DFB-Elf eine Reform der Nachwuchsarbeit anstieß.
    Zu den Ergebnissen gehörten ein neues Stützpunktsystem, die Nachwuchsleistungszentren der Profiklubs, die A-Junioren-Bundesliga und ein stärker ballorientiertes Trainingskonzept. Es war die Saat, aus der 2014 die Weltmeistermannschaft entstand.
    Heute aber befindet sich Deutschland in einer ähnlichen Krise wie vor 20 Jahren. Und als Retter wurde – wie damals schon – Rudi Völler gerufen. Während viele Völler für das Gegenteil von Neuausrichtung halten, hat Michael Skibbe eine andere Perspektive:
    "Also ich denke vor allem aufgrund seiner Art und aufgrund seiner Erfahrung in vielen Bereichen ist er für den Augenblick der richtige Mann. Dass Fußballdeutschland wieder zusammenwächst und er dem allen so ein bisschen ein Gesicht gibt. All solche Sachen kann er, so wie Franz Beckenbauer das vor 20 Jahren konnte. Es ist ein Übergang, denke ich. "

    DFB soll auch nach Japan gucken

    Rudi Völler sei also gar nicht für die Neuausrichtung da, sondern um erstmal für Ordnung zu sorgen. Für den langfristigen Neuaufbau wiederum kann sich Michael Skibbe vorstellen, dass auch Japan – das ja gegen Deutschland bei der WM in Katar gewann – als Inspiration für den DFB dienen könnte:
    "Da kann man sicherlich auch mal nach Japan gehen und schauen: Warum entwickelt sich der japanische Fußball eigentlich in den letzten zehn, zwölf, 15 Jahren so gut? Also, die Spieler haben sich wirklich gut entwickelt. Das sind nicht immer nur diese fleißigen Bienchen im Mittelfeld, sondern sie werden auch im Offensivbereich besser und besser. Und was man wirklich gegenüber Europa und da ganz besonders Deutschland sagen kann: Die Nachwuchsspieler sind viel konzentrierter bei der Sache und versuchen Dinge wirklich auch über stundenlanges Training umzusetzen."
    Die große Ernsthaftigkeit, mit der Spieler in Japan ihren Job betreiben, imponiert Michael Skibbe. Vielleicht stünde er auch deshalb für eine Rückkehr zum DFB, um eine neuerliche Strukturreform anzustoßen, nicht mehr zur Verfügung. Es mache ihm Spaß, in der aufstrebenden Fußballnation Japan zu arbeiten:
    "Also mir gefällt auch Sanfrecce. Ich würde am liebsten hier weiterarbeiten. Auch im neuen Stadion in der kommenden Saison spielen mit der Mannschaft. Das ist schon mein, ich sag jetzt mal: mittelfristiges Ziel, die Mannschaft zu begleiten und im vorderen Bereich der Tabelle zu platzieren."