Michael Winterhoff vs. Heinrich BrinkerVerbaut offener Unterricht Schulkindern die Zukunft?
Im internationalen Vergleich sind deutsche Schüler nur Mittelmaß. Nützt offener Unterricht oder schadet er? Wir müssen Kinder dort abholen, wo sie stehen, fordert Rektor Heinrich Brinker. Kinder können sich nur entwickeln, wenn sie eine Bezugsperson haben, so der Kinderpsychiater Michael Winterhoff.
Hören Sie unsere Beiträge in der Dlf Audiothek- Grundschüler im Unterricht: Nutzt das Konzept des offenen Unterrichts oder schadet es? (imago / Westeind61)
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Beim offenen Unterricht erarbeiten sich Schüler und Schülerinnen Lehrinhalte selbstständig in freier Arbeit, in Stationsarbeit oder in einem Projekt. Lehrer ermöglichen die Lernprozesse. Sie begleiten, geben Anregungen und können auf jeden Schüler individuell eingehen. Ermöglicht offener Unterricht Schulkindern eine bessere Förderung oder überfordert er sie und verbaut ihnen letztlich die Zukunft?
Michael Winterhoff
Der Jugendpsychiater und Autor Michael Winterhoff (imago images / Müller-Stauffenberg)
Die meisten Kinder kommen heute mit sechs Jahren in die Schule und sind nicht mehr lern- und wissbegierig. Sie sind lustorientiert, auf der Stufe eines Kleinkindes. In der Schule haben sie nur dann eine Chance, wenn sie sich entwickeln können – am Gegenüber, in der Beziehung zu den Lehrern. Die Politik will aber seit der Jahrtausendwende autonomes Lernen, das heißt, die Lehrer sind nicht mehr direkte Bezugspersonen, sondern nur noch Lernbegleiter. Doch Bindung und die Orientierung am Lehrer sind wichtig, damit Kinder eine Chance haben, ihre Psyche zu entwickeln und lernen zu wollen.
Michael Winterhoff, Kinder- und Jugendpsychiater, Autor des Buches "Deutschland verdummt. Wie das Bildungssystem die Zukunft unserer Kinder verbaut".
Heinrich Brinker
Rektor Heinrich Brinker (Friso Gentsch/dpa)
Offener Unterricht eröffnet Kindern den Weg in die Zukunft. Die Grundschule ist die einzige Einheitsschule Deutschlands, die einzige wirkliche Gesamtschule. Hier werden alle Kinder unterrichtet und offener Unterricht ist die einzige Möglichkeit, jedem Kind gerecht zu werden. Es ist kaum vorstellbar, dass alle Kinder zur gleichen Zeit am gleichen Inhalt arbeiten. Wenn heutzutage Kinder im Alter von sechs Jahren in die Schule kommen, dann ist da ein Intelligenzunterschied von vier bis sechs Jahren. Wir müssen Kinder dort abholen, wo sie stehen, und ihnen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die bestmögliche Förderung zukommen lassen.
Heinrich Brinker, Leiter der Grundschule auf dem Süsteresch. Die Schule in der Nähe der niederländischen Grenze war 2016 Gewinner des Deutschen Schulpreises.