Donnerstag, 25. April 2024

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Michel Houellebecq: "Ein bisschen schlechter"
Eine Gesellschaft ohne Gott

Michel Houellebecq, Enfant terrible der französischen Literatur, hat "Neue Interventionen" zu gesellschaftlichen Fragen vorgelegt. Es werden die letzten Verlautbarungen dieser Art sein, so Houellebecq. Der Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte hält vieles in dem Werk für altbekannt - manches für durchaus sympathisch.

Jürgen Ritte im Gespräch mit Angela Gutzeit | 02.12.2020
Der Schriftsteller Michel Houellebecq und sein Buch „Ein bisschen schlechter“
Der französische Provokateur mit eher zahmen Thesen zu Politik und Gesellschaft (Buchcover: DuMont Verlag, Foto Houellebecq: dpa / picture alliance / Boris Roessler)
Michel Houellebecq, 1958 geboren, gehört zu den wichtigsten französischen Autoren der Gegenwart - zumindest ist er nicht zuletzt wegen seiner zahlreichen Provokationen in Romanen und Essays ein viel beachteter wie umstrittener Autor. Jedes Buch von ihm wurde in den Medien in großer Aufmachung besprochen: "Ausweitung der Kampfzone" (1999), "Elementarteilchen" (2001), "Die Möglichkeit einer Insel" (2005), "Unterwerfung" (2015), "Serotonin" (2019).
Im Kern geht es Houellebecq hier immer wieder um die Kritik an der westlichen Konsumgesellschaft, um sexuelle Frustration, um Nihilismus und um Individuen, die sich willenlos dem Islam ergeben, wie im Roman "Unterwerfung". Essays, Interviews und Gespräche sind bei diesem Autor aufs Engste miteinander verbunden.
Sein neuer Band "Ein bisschen schlechter. Neue Interventionen" gibt in erster Linie Einblick in im Grunde genommen altbekannte Themen des französischen Autors, sagte der deutsch-französische Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte im Gespräch mit Angela Gutzeit. Ritte lehrt in Paris und verfolgt den intellektuellen Weg Houellebecqs seit vielen Jahren. Es sei in diesem Band mit Texten und Interviews aus den Jahren von 2003 bis 2020 "keine Bombe versteckt".
"Er würde gerne glauben, aber er kann es nicht"
Der Band wird eröffnet mit einem Artikel aus dem Jahr 2003 über den Konservatismus, den Houellebecq preist als Quelle des Friedens. Auf die Frage, was für ein Konservatismus es sei, dem Houellebecq anhänge, meinte Ritte: "Er preist den Konservatismus als eine Lebensart, die Ruhe in die Gesellschaft bringt. Der Konservative sei kein aggressiver Mensch." Das sei damals, als Houellebecq, diese Meinung zum politischen Konservatismus während eines Colloquiums im doch eher linken Frankreich vortrug, eine große Provokation gewesen.
Als das Überraschende an diesem Band wertet Ritte, dass der Autor hier sehr viele Seiten dem Phänomen des Katholizismus widmet. Auch in seinem Roman "Serotonin" werde mit "der Möglichkeit der Heimkehr zu Gott gespielt". "Das ist etwas, was Houellebec zurzeit sehr beschäftigt" - und zwar in dem Sinne, so Ritte, dass er eine Welt, eine Gesellschaft ohne Gott fürchtet. "Er würde gerne glauben, aber er kann es nicht." Es gehe bei diesem Autor immer wieder um Sinnstiftung und die Suche des Individuums nach gesellschaftlichem Zusammenhalt.
Michel Houellebecq: "Ein bisschen schlechter"
Neue Interventionen
aus dem Französischen von Stephan Kleiner
DuMont Verlag, Köln. 200 Seiten, 17,99 Euro.