Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Michel Houellebecq
Feuilletonisten streiten über "Unterwerfung"

Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" über ein von einem Muslim regiertes Frankreich ist nicht erst seit dem Anschlag auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" umstritten. In den französischen Feuilletons wird über Wirkung und Inhalt des Buchs und die Intentionen des Autors debattiert.

Von Rita Vock | 19.01.2015
    Michel Houellebecq, hier beim Filmfest in Venedig.
    Ein reaktionärer Provokateur? Michel Houellebecq, hier beim Filmfest in Venedig. (imago/Xinhua)
    Verschroben und provokant, so inszeniert sich der Pariser Schriftsteller Michel Houellebecq. Mit seinem sechsten Roman, "Soumission", hat er so viel Wirbel verursacht wie schon lange nicht mehr.
    Jérôme Béglé vom konservativen Magazin "Le Point" sagt in seinem Videoblog: "Michel Houellebecq hat ein außerordentliches Talent, das muss man schon sagen, Bücher über Themen zu schreiben, die uns aufregen. Der Islam und der Islamismus sind Themen, die Angst machen. Und er siedelt sie nicht etwa in einer fernen Zukunft oder in fremden Ländern an, sondern in Frankreich, in Paris, schon in sieben Jahren, also praktisch morgen."
    Aufregerthemen dienen Houellebecq schon lange als Material. Sehr erfolgreich, auch in Deutschland, war sein Roman "Elementarteilchen", in dem es (außer um Sex) um das Klonen von Menschen ging.
    "Unterwerfung" ist ebenfalls ein Roman und damit eine Fiktion, aber eine, die sich als sehr wirklichkeitsnah ausgibt. Viele bekannte Politiker kommen mit ihren Klarnamen vor, erfunden ist nur der muslimische neue Präsident. In der Geschichte unterstützen ihn sowohl die Konservativen als auch die Sozialisten, beide Parteien werden als geschwächt und grundlegend verkommen dargestellt. In einigen Passagen ist das Buch deshalb weniger islamfeindlich als extrem politikverdrossen, wenn nicht gar demokratiefeindlich.
    Houellebecq spielt mit den Ängsten vieler Franzosen, betont der Literaturkritiker Pierre Assouline in seinem Blog: "Die Fiktion dient ihm dabei als bequemer Vorwand. Angesichts der angespannten Lage im Land ist es ziemlich feige, sich hinter der Fiktion zu verstecken. Michel Houellebecq sieht sich selbst gern als entrückt und unergründlich. Er beobachtet, wie in der Ferne auf dem Fluss die Leichen vorbeitreiben und zieht spöttisch an seiner Kippe. Und dann soll man ihm bloß nicht mit Verantwortung kommen. Gibt es etwas noch Unverantwortlicheres, als über einen Bürgerkrieg im heutigen Frankreich zu fantasieren?"
    Gegen solche Vorwürfe hat sich der Autor jüngst in einem Fernsehinterview verteidigt, und zwar ganz so, wie es seine Kritiker erwartet hatten: "Es handelt sich nicht um eine Provokation, sondern vielmehr um Freiheit. Die Freiheit ist oft provokant. Man kann mir nicht sagen: Sie sind frei, aber seien sie verantwortungsbewusst. Die freie Meinungsäußerung hat keine Grenzen, sie hat null Grenzen."
    Das Interview wurde am Tag nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" aufgezeichnet. Der Streit über die Thesen des Buches hatte schon weit früher begonnen. "Soumission" war da noch nicht einmal erschienen, es kursierten aber schon Raubkopien im Internet. Der frühere Redaktionsleiter von "Le Monde", Edwy Plenel, publiziert heute auf seinem eigenen Blog, Mediapart. Auch dort war das Buch Thema. Und in einem Interview warf er den etablierten Medien vor, Houellebecq viel zu viel Raum zu geben: "Einige Medien machen aus diesem fiktionalen Werk eine aktuelle Nachricht. Aus einem Schriftsteller, der das Recht hat, alle Verrücktheiten zu denken, die er will, haben sie das politische Ereignis des Neuen Jahres gemacht. Der Autor dieses Werks ist seit 15 Jahren islamophob, man kann seine Äußerungen nachlesen. Ideen wie die seinen dürfen veröffentlicht werden, aber sie sollten doch am Rande der Debatte bleiben."
    Eine Person hält die letzte Ausgabe der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" vom 7. Januar 2015 in Händen.
    Die Ausgabe vom 7. Januar befasst sich mit dem umstrittenen Roman von Michel Houellebecq (AFP / Bertrand Guay )
    Der Chefredakteur der Zeitung "Libération", Laurent Joffrin, sieht das ähnlich: "Wenn sich die mediale Aufregung gelegt hat, wird dieser Roman seinen Platz in der Geschichte der Ideen einnehmen. Er markiert das Eindringen - oder auch die Rückkehr - rechtsextremer Thesen in die hohe Literatur. Houllebecqs politische Fabel veredelt die Ideen des Front National für die intellektuelle Elite."
    Jérome Béglé von "Le Point" widerspricht: "Ist das Buch islamfeindlich? Ich meine, nein. Warum? Weil man doch sehr deutlich sieht, dass die Franzosen in dem Roman die Zustände (unter dem neuen Präsidenten) hinnehmen, dass sie sich mit diesem recht moderaten Islam arrangieren, um ihre Besitzstände zu wahren und ihre Bequemlichkeit nicht zu gefährden. Und es ist dieser Punkt, an dem das Buch sehr verstörend wird. Der Autor konfrontiert uns mit unseren Widersprüchen, er fragt, ob wir aus Feigheit und aus Faulheit vergessen haben, wer wir waren und wer wir sind."
    Wer genau zu diesem "Wir" dazu gehört und wer nicht - dieser Frage geht der französisch-algerische Journalist und Filmemacher Mohamed Sifaoui nach. In der französischen "Huffington Post" stellt er erst mal klar, als Araber und Moslem sei er in dieser Debatte wohl zwangsläufig der "Mohammed vom Dienst". "Auch wenn ich mich für den Islam nur auf rein intellektueller Ebene interessiere. Aus der Sicht der Houellebecqs und der Le Pens gehöre ich dennoch bis in alle Ewigkeit dieser ethnisch-religiösen Gemeinschaft an, wie Millionen andere, die man, sobald sie sich äußern, auf ihre Herkunft oder ihre mutmaßliche Religion reduziert.
    Mohamed Sifaoui kann nur noch mit Spott reagieren auf die Klischees, die im Buch herhalten müssen, um "den Islam" zu beschreiben. "Soumission" zeichnet sich sozusagen dadurch aus, ganz offen auszusprechen, was alle anti-islamischen Rassisten sowieso ganz offen aussprechen. Das ist wirklich nicht originell. - In Wahrheit verdient dieses Buch überhaupt keine Debatte. Tatsächlich gibt es nur eine 'Unterwerfung', und zwar die des Autors Houellebecq: Er stellt sich in den Dienst der allgegenwärtigen Fremdenfeindlichkeit."