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Miese Luft

Menschen verbringen viel Zeit in Innenräumen. Dort schwebt ein gefährlicher Mix aus Feinstaub, Mikroben sowie flüchtigen und schwerflüchtigen organischen Substanzen in der Atemluft. Erst langsam verstehen die Forscher, wie diese Teilchen untereinander zusammenspielen.

Von Sabine Goldhahn | 21.08.2013
    Wenn Charlie Weschler von der University of Medicine and Dentistry New Jersey einen Raum betritt, sagt ihm schon seine Nase, ob etwas nicht in Ordnung ist:

    "Gerade, als wir in diesen Raum gegangen sind, da war schon überall dieser Geruch von Chemie. Ich denke, ein Teil davon sind Weichmacher. Das ist nicht gut, denn von ihnen ist bekannt, dass sie das Hormonsystem negativ beeinflussen. Ich möchte nicht in diesem Raum arbeiten, und wenn dies mein Arbeitsplatz wäre und ich es beeinflussen könnte, würde ich nach mehr Durchlüftung fragen. Oder versuchen herauszubekommen, woher dieser Geruch nach Weichmachern kommt und diese Quellen dann rausschmeißen."

    Für einen Umweltexperten und Chemiker wie Weschler ist es einfach, die Ursache zu finden. Hier, im Messezentrum in Basel, steckt sie wahrscheinlich im grauen Teppichboden oder in den schwarzen, bequemen Konferenzstühlen. Deren Oberflächen setzen Weichmacher frei, chemische Substanzen aus der Gruppe der Phthalsäureester, die verhindern sollen, dass Plastik spröde wird.

    "Zwar denken die Leute meistens, dass wir die Weichmacher über Lebensmittel aufnehmen, da diese oft in Plastik verpackt sind, aber wir sind diesen Substanzen am stärksten in Innenräumen ausgesetzt, wo sie in der Luft oder auf Oberflächen sind."
    Feinstäube, organische Substanzen, Mikroben, Ozon und vieles mehr: Die Luft in unseren Räumen ist voll von kleinen Teilchen. Besonders kritisch sind die SVOCs: schwerflüchtige organische Substanzen, zu denen die Weichmacher gehören sowie Flammschutzmittel, die verhindern sollen, dass beispielsweise ein Sofa Feuer fängt. Während die VOCs, die flüchtigen organischen Substanzen, beispielsweise in Kunststoff nur in geringen Konzentrationen vorhanden sind und binnen Wochen verfliegen, kann man SVOCs noch Jahrzehnte lang nachweisen, erklärt John Little von der amerikanischen Virginia Tech University:

    "Die SVOCs sind meist in großer Menge in Kunststoffen enthalten. So können etwa 15-20 Prozent der Masse vom Gesamtmaterial Weichmacher oder Flammschutzmittel sein. Und diese große Menge SVOCs wird nur sehr langsam aus einer Oberfläche freigesetzt. Sie wird daher kaum weniger und ist somit jahrzehntelang eine konstante Quelle schwerflüchtiger Substanzen."
    Das hat Little in abgeschlossenen Untersuchungskammern gemessen, in denen nur ein Stück Vinylfußboden lag. Aus dem sind kontinuierlich winzige Mengen SVOCs entwichen. Da die toxischen Partikel aufgrund ihres niedrigen Dampfdruckes nicht in der Luft umherschweben wollen, setzen sie sich auf allen Oberflächen fest: den Wänden, Fenstern, Computern, Möbeln und dem Menschen. Wegen ihres öligen Films ist unsere Haut der ideale Untergrund für SVOCs. Von dort, so vermuten die Forscher, dringen sie in den Körper ein und entfalten ihre schädlichen Wirkungen, beispielsweise auf das Hormonsystem. Oder wir atmen sie ein oder schlucken sie. Besonders kritisch wird die Menge an SVOCs, wenn sie Unterstützung bekommen - durch Schwebstaub, an den sie sofort andocken.

    "Schwebstaubteilchen haben eine große Oberfläche. Und wenn sie durch die Luft fliegen, in der es auch SVOCs gibt, binden diese sich an die Staubteilchen. Und kaum sind sie aus der Luft verschwunden, kann noch mehr SVOC freigesetzt werden, damit das chemische Gleichgewicht wieder erreicht wird."

    Um das zu beweisen, hat Little aus winzigen Mineralpartikeln eigenen Schwebstaub kreiert und ihn in die Untersuchungskammer gebracht. Dann hat er gemessen, wie sich die Zusammensetzung der Luft verändert. Ergebnis: Die Staubteilchen haben wie ein Schwamm die ganzen SVOCs aufgesogen, bis schließlich fünfmal mehr SVOCs in der Luft waren als ohne Staub. Und das ist nur einer von mehreren Faktoren, die für die Konzentration der SVOCs in Innenräumen eine Rolle spielen. Laut Charlie Weschler reicht es schon, wenn Menschen einen Raum betreten, um die Menge an freigesetzten SVOCs nach oben zu treiben. Allein durch unsere Anwesenheit sorgen wir also für einen Anstieg der hormonwirksamen Substanzen. Das liegt an einem komplizierten chemischen Wechselspiel zwischen Ozon, organischen Aerosolen, Weichmachern, Flammschutzmitteln und uns. Um sich davor zu schützen, gibt es laut Weschler nur eine Möglichkeit:

    "Die beste Strategie ist es, die Quellen zu vermeiden."
    Weniger Plastik, weniger parfümierte Produkte, weniger Sprays - die Liste ließe sich beliebig erweitern. Doch sie praktisch umzusetzen, ist im Alltag schwer. John Little fordert daher mehr Engagement von der Industrie:

    "Die Hersteller müssen alternative Chemikalien finden, die einem Produkt die gewünschten Eigenschaften verleihen, aber nicht gesundheitsschädlich sind."
    Durch ihre Experimente haben die Forscher das Wissen um die SVOCs erweitert und wieder etwas Staub aufgewirbelt - für mehr Bewusstsein bei den Verbrauchern und in der Industrie.