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Migrationspolitik
"Italien wird sich weigern, Flüchtlinge aus Deutschland zurückzunehmen"

Ein Abkommen zwischen Deutschland und Italien zur Rücknahme von Flüchtlingen werde es mit der populistischen Regierung in Rom nicht geben, sagte Laura Garavini im Dlf. Um das Flüchtlingsproblem zu lösen, sei es wichtig in den Herkunftsländern zu investieren, sagte die italienische Politikerin.

Laura Garavini im Gespräch mit Philipp May | 19.06.2018
    Flüchtlinge schauen auf einem Schiff durch die Stangen der Reeling
    Flüchtlinge auf einem Schiff im Hafen von Palermo (Alessandro FUCARINI / fucarini / AFP)
    Philipp May: Mit bilateralen Rücknahmeabkommen von Flüchtlingen will Angela Merkel den Streit mit der Schwesterpartei CSU entschärfen. Doch ob sich die südlichen EU-Staaten an der EU-Außengrenze darauf einlassen und wenn ja zu welchen Gegenleistungen, das ist völlig offen.
    Gestern Abend war Italiens neuer Regierungschef Conte bei der Kanzlerin in Berlin zum Antrittsbesuch. Dort pochte er vor allem auf Reformen der Dublin-Regeln. Heute will Merkel dann mit ihrem engsten Verbündeten Frankreich bei den gemeinsamen Regierungskonsultationen über das weitere Vorgehen sprechen.
    Am Telefon ist jetzt Laura Garavini. Sie ist Deutsche und Italienerin und sitzt für den Partito Democratico, also die nun oppositionellen Sozialdemokraten, im italienischen Senat. Frau Garavini, schönen guten Morgen.
    Laura Garavini: Schönen guten Morgen, Herr May.
    May: Italiens Regierungschef Conte fordert von Europa mehr Solidarität mit Italien bei der Aufnahme von Flüchtlingen. Hat er recht?
    Garavini: Ja, er hat recht. Das haben wir Demokraten auch über zehn Jahre verlangt und es ist gut, dass jetzt darüber gesprochen wird, wie beide Länder gemeinsam zu einer Grenzsicherung Europas beitragen können. Es ist leider zu spät, dass von Deutschland erst jetzt eine Offenheit kommt, denn wenn es diese schon vor zehn Jahren gegeben hätte, genau so etwas, wie wir es damals schon gefordert haben, wäre heute das Flüchtlingsproblem insgesamt in Europa nicht so groß und wir hätten in Italien auch keine populistische Regierung.
    "Aber Tatsache ist, dass wir nicht bestraft werden müssen aufgrund der geographischen Lage"
    May: Aber braucht es möglicherweise tatsächlich sogar so ein knallhartes Signal wie das vom neuen Innenminister Matteo Salvini, das Flüchtlingsboot in Italien nicht an Land zu lassen und auf dem Mittelmeer schippern zu lassen?
    Garavini: Nein! Das ist genau der Unterschied. Als wir es gefordert haben als Demokraten, haben wir einfach nicht auf Solidarität verzichtet, was jetzt der Fall ist. Aber Tatsache ist, dass wir nicht bestraft werden müssen aufgrund der geographischen Lage. Länder wie Italien oder Griechenland dürfen mit dem Flüchtlingsproblem nicht alleine gelassen werden.
    Die Tatsache, dass jetzt die Populisten an der Regierung sind, macht das Ganze natürlich schwieriger, weil sie einfach möchten, dass Italien nicht mehr mit dem Problem alleine konfrontiert werden soll. Aber Tatsache ist, das ist ein europäisches Phänomen und Europa muss sich mit der Frage konfrontieren und auseinandersetzen.
    Porträtfoto der italienischen Abgeordneten der Demokratischen Partei, Laura Garavini, aufgenommen am 28.08.2013
    Laura Garavini ist Abgeordnete der Demokratischen Partei in Italien (dpa picture alliance / Fredrik von Erichsen)
    May: Wobei die europäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage gerade europaweit auf dem Rückzug ist. Auch Deutschland wird möglicherweise in zwei Wochen in Italien registrierte Flüchtlinge postwendend zurückschicken.
    Garavini: Das will Salvini nicht. Ich kann mir gut vorstellen, dass Salvini so was nicht annehmen wird. Er hat während des Wahlkampfes genau das Gegenteil versprochen, gerade deswegen auch jetzt seine harte Linie, und die Wähler wären sehr, sehr wütend, sowohl gegenüber der Lega Nord als auch gegenüber der Fünf Sterne Bewegung. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass er sich bereit erklärt, Flüchtlinge zurückzukriegen.
    May: Das heißt? Was macht Italien dann, wenn Deutschland jetzt diese harte Linie fährt und tatsächlich die Grenzen dichtmacht?
    Garavini: Das wird man sehen. Das kann ich natürlich nicht vorhersehen. Aber Tatsache ist, ich gehe davon aus, Seehofer müsste, anstatt sich um Staatssicherung und Staatsgrenzen zu kümmern, vielleicht sehen, dass er seinen Freund Orbán überzeugt, Flüchtlinge aufzunehmen, sich an der Verteilung der Flüchtlinge zu beteiligen.
    "Italien wird sich weigern, Flüchtlinge aus Deutschland und aus anderen Ländern zurückzunehmen"
    May: Glauben Sie, dass er das schafft?
    Garavini: Das ist jetzt die Frage. Aber ich gehe davon aus, dass die jetzige populistische Regierung in Italien doch versuchen wird, die Grenze dichtzumachen, und sich weigern wird, Flüchtlinge aus Deutschland und aus anderen Ländern zurückzunehmen.
    Salvini, der Innenminister, der letztendlich derjenige ist, der zurzeit entscheidet - der Premierminister Conte ist eigentlich nicht derjenige, der die Lage Italiens bestimmt -, ich gehe davon aus, dass Salvini schon alles unternehmen wird, dass andere Länder Flüchtlinge aufnehmen, nicht Italien.
    Salvini bei der Vereidigung der neuen Regierung Anfang Juni
    Italienischer Hardliner: Innenminister Matteo Salvini (imago / Xinhua)
    May: Das heißt mit anderen Worten, ein bilaterales Abkommen - das möchte Angela Merkel ja jetzt mit all diesen Staaten -, das kann sich Angela Merkel mit Italien schon mal abschminken?
    Garavini: Wie gesagt, das wird man sehen. Aber Salvini wird auf jeden Fall dagegen halten. Da bin ich mir ziemlich sicher.
    May: Wie könnte dann theoretisch ein bilaterales Abkommen aussehen? Angela Merkel hat ja gestern bei der Pressekonferenz das Türkei-Abkommen mit der EU als Vorbild ins Spiel gebracht, im Prinzip die Situation Geld gegen Rücknahme von Flüchtlingen. Würde sich Italien auf so etwas einlassen?
    "Geld gegen Flüchtlinge? Salvini wird sich dagegen äußern"
    Garavini: Salvini macht Druck dafür, dass Hotspots in Libyen entstehen, das heißt Orte, wo die erste Überprüfung, ob Schutzbedürfnis für bestimmte Personen besteht, in Libyen durchgeführt wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass so was nicht möglich ist, gerade in Libyen, weil die libyschen Institutionen dagegen sind.
    Das ist dann die Frage: Geld gegen Flüchtlinge? Das würde wahrscheinlich der Premierminister Conte akzeptieren. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass der Innenminister Salvini sich dagegen äußern wird.
    Migranten stehen im Auffanglager für Flüchtlinge in Misrata (Libyen) hinter Gittern.
    Migranten stehen im Auffanglager für Flüchtlinge in Misrata (Libyen) hinter Gittern. (pa/dpa/Schwinghammer)
    May: Und ohne den geht gar nichts in Italien? Das ist tatsächlich so, das haben Sie schon gesagt. Das ist der starke Mann?
    Garavini: Genau! Zurzeit auf jeden Fall. Leider.
    "Wir müssen Investitionen schaffen in den Herkunftsländern"
    May: Sie haben gerade die Hotspots in Libyen angesprochen. Nichtsdestotrotz: Sie haben ja durchaus ein Abkommen mit Libyen geschafft zu schließen, der Partito Democratico, Ihr Innenminister, das ja sehr umstritten ist, was allerdings die Flüchtlingszahlen im Mittelmeer extrem verringert hat.
    Garavini: Ja, genau! Das wäre die richtige Politik. Das heißt, wir haben eben durch den und dank des ehemaligen Innenministers Minniti durch etliche Abkommen sowohl mit Oberbürgermeistern in den Gegenden der Häfen in Tripolis oder auch mit Stämmen aus Sahel, wir haben etliche Abkommen geschafft, mit denen es innerhalb eines Jahres möglich gewesen ist, die Ankünfte der Flüchtlinge um 78 Prozent zu senken. Das ist genau die Politik, die man machen müsste.
    Wir müssen Investitionen schaffen in den Herkunftsländern, damit dort die Menschen die Möglichkeit sehen und haben, dort zu leben, dort zu arbeiten, zum Beispiel auch dadurch, dass kleine Kredite gegeben werden an die jungen Menschen, die dort mit kleinen unternehmerischen Aktivitäten anfangen können. Wir dürfen auf Solidarität nicht verzichten. Wir dürfen Menschen nicht im Mittelmeer sterben lassen. Wir müssen in den Herkunftsländern europäisch massiv investieren, damit dort Arbeitschancen entstehen, und wir müssen auch sehen, dass diejenigen, die doch nach Europa gekommen sind, vernünftig und solidarisch verteilt werden unter den unterschiedlichen Ländern.
    Es darf nicht sein, dass nur gewisse Länder - Deutschland gehört auch dazu, aber auch Italien und Griechenland -, dass nur fünf Länder europaweit sich mit dem Thema der Flüchtlinge beschäftigen und zig Flüchtlinge aufnehmen. Das kann einfach nicht der Fall sein.
    May: Aber nichtsdestotrotz: Die anderen Länder sperren sich und die EU kann gar nichts machen. Gerade die Visegrád-Staaten, über die wir jetzt schon viel gesprochen haben. Wenn die sich weigern, Flüchtlinge weiterhin aufzunehmen, was will die EU, was kann Angela Merkel, was kann Italien dann tun?
    Garavini: Ich bin der Meinung, Europa muss sich zusammen solidarisch unterhalten. Herkunftsländern muss geholfen werden, damit dort Möglichkeiten entstehen. In einem Jahr ist es Italien übrigens mit der Unterstützung von Merkel, mit der Unterstützung vom ehemaligen Innenminister de Maizière gelungen, die Ankünfte um 78 Prozent zu senken, und das ohne auf eine solidarische Politik zu verzichten - einfach zusammen, um zu verhindern, dass Menschen im Mittelmeer sterben.
    Das ist genau der Weg, Investitionen in den Herkunftsländern und eine gerechte solidarische Verteilung zwischen den Ländern Europas. Orbán-Ungarn gehört auch dazu.
    "Die Lösungen können nur europäisch sein"
    May: Weil Sie das jetzt zum zweiten Mal ansprechen, muss ich das trotzdem noch mal ganz kurz erwähnen: Flüchtlingsorganisationen berichten aber, seit es dieses Abkommen gibt mit Libyen, dass sich die Zustände in den Auffanglagern in Libyen dramatisch verschlechtert haben.
    Garavini: Wir sind diejenigen, die solche Zustände überhaupt nicht ermöglichen wollen. Wir sind auch diejenigen, denen es gelungen ist, dass UNO-Organisationen wie der UNHCR dort auch vertreten sind, was früher überhaupt nicht der Fall war. Das heißt, das ist natürlich unsere Sorge, dass die Lage der Menschenrechte sich in diesen Lagern auch verbessert und dass auch Organisationen dort präsent sind, die die Lage verbessern können.
    Aber trotzdem müssen wir sehen, dass es dort Investitionen gibt, damit solche Zustände nicht existieren, dass so etwas bekämpft wird und dass die Menschen dort Informationen bekommen, dass die Menschen dort auch kleine Mittel oder kleine Summen bekommen, damit sie einfach in den Herkunftsorten Möglichkeiten kriegen, dort zu bleiben.
    May: Das sind dann die langfristigen Lösungen, um die Flüchtlingskrise in Zukunft vermeiden zu können. Nichtsdestotrotz: Wir sind jetzt hier in Deutschland sehr stark unter Zeitdruck.
    Deswegen möchte ich mit Ihnen noch mal auf die bilateralen Abkommen zu sprechen kommen, die Angela Merkel jetzt aushandeln soll und aushandeln will mit Ländern wie Italien. Blaupause ist ja ein Abkommen, das es schon gibt zwischen Italien und Frankreich. Kann das funktionieren?
    Garavini: Das letzte Jahr hat bewiesen, dass genau solche Abkommen sehr erfolgreich sind, und das ist der Weg. Das ist genau der Weg.
    May: Abkommen wie zwischen Italien und Frankreich.
    Garavini: Nur es dürfen nicht gewisse Länder wie Italien und Libyen …
    May: Ich meine jetzt Italien und Frankreich, das bilaterale Abkommen, das Rückführungsabkommen, das Italien und Frankreich haben.
    Garavini: Das ist ein Anfang. Das ist ein Anfang. Aber nichtsdesto trotz: Wie gesagt, die Lösungen können nur europäisch sein. Das heißt, es ist schon notwendig, dass gemeinsame politische Entscheidungen getroffen werden, weil nicht gewisse Länder einfach alleine mit dem Problem konfrontiert werden können. Das ist keine Lösung.
    May: … sagt Laura Garavini, Senatorin des Partito Democratico in Italien, der sozialdemokratischen Opposition in Italien. Frau Garavini, vielen Dank für das Gespräch.
    Garavini: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.