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Militärische Intervention in Syrien?
"Die Bodentruppen sind schon vor Ort"

"Nutzen wir für eine Übergangszeit das, was Russland da macht": Ex-Nato-General Harald Kujat plädiert dafür, im Kampf gegen die Terrormiliz IS in Syrien zunächst auf die syrische Armee zu setzen - so wie Moskau das mache. Anschließend müsse es um eine Übergangsregierung und Neuwahlen gehen, sagte Kujat im DLF.

Harald Kujat im Gespräch mit Dirk Müller | 16.09.2015
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr (imago stock&people)
    Eine politische Lösung für Syrien sei nur mit Russland möglich, zeigte sich der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr überzeugt: "Man muss sich mit Putin zusammensetzen." Es gehe darum, eine Übergangsregierung zu bilden, Wahlen zu organisieren und dann Assads "Regime zu beseitigen", so Kujat. 2012 habe es bereits eine vielversprechende Übereinkunft in Syrien gegeben, die allerdings von den USA verhindert wurde.
    Eine militärische Lösung des Konflikts bleibe die Ultima Ratio. Zu den Luftangriffen auf IS-Stellungen äußerte sich Kujat skeptisch. Ohne militärische Dominanz am Boden gehe es nicht. Und "die Bodentruppen sind ja vor Ort", sagte Kujat mit Blick auf die Truppen der regulären syrischen Streitkräfte, die derzeit von Russland "instand gehalten" würden.
    Das vollständige Gespräch können Sie hier nachlesen.
    Dirk Müller: Dass wir vor lauter Syrien und IS Afghanistan nicht vergessen. Die Taliban sind weiter dort aktiv, massiv, erfolgreich, effektiver als je zuvor in den zurückliegenden 13 Jahren, seit der militärischen Intervention des Westens. Es gab noch nie so viele Anschläge wie in diesem Jahr, noch nie so viel Terrortote. Jüngst haben die Islamisten ein ganzes Gefängnis gestürmt, alle Insassen befreit, darunter 355 Kämpfer aus ihren Reihen. Und der Westen, er hat sich aus der Affäre gezogen. Schauplatz Syrien, Irak und der IS. Der Westen, er hat sich aus der Affäre gezogen, oder er hat sich im Fall Syriens nicht aktiv eingemischt, noch nicht, denn das stimmt nicht ganz. Immerhin sind inzwischen Amerikaner, Briten und wohl nun auch Franzosen aktiv, fliegen Angriffe auf Stellungen des Islamischen Staates, wohl auch in Syrien. Aktiv ist mehr denn je auch Russland, und zwar zugunsten von Baschar al-Assad. Washington wundert sich, Washington ist irritiert. Warum jetzt, ist dort die Frage.
    Schauen wir wieder in den Nahen Osten, in den Mittleren Osten, also Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien und der islamische Staat. Was hat der Westen dort versäumt? Und wohl noch wichtiger: Was kann er jetzt tun? - Darüber wollen wir sprechen mit dem früheren NATO-General Harald Kujat. Guten Morgen!
    Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Herr Kujat, sollten wir aufhören, über militärische Interventionen nachzudenken?
    Kujat: Nein, wir sollten nicht aufhören, über militärische Interventionen nachzudenken, aber wir sollten zunächst einmal immer damit beginnen, was wir politisch tun können, welches politische Ziel wir erreichen wollen. Das ist auch jetzt in Syrien wieder der Fall. Wenn man über Militäroptionen spricht im Augenblick, dann ist das nicht zielführend, wie das so schön heißt, sondern wir müssen eine politische Lösung finden und die können wir nur gemeinsam mit Russland finden. Das zeigt auch die Entwicklung in Syrien.
    Politik geht vor militärischen Operationen
    Müller: Sie sagen, nicht aufhören, darüber nachzudenken. Ist klar, war nicht so richtig so gemeint. Eher war ja gemeint die Frage, sollen wir militärische Interventionen ausschließen vor dem Hintergrund Afghanistan, Irak, Libyen. Dort ist mehr Chaos denn je.
    Kujat: Ja, Sie haben völlig recht. Man kann militärische Operationen nicht ausschließen. Militärische Operationen sind ein Mittel der Außen- und Sicherheitspolitik, wenn alle anderen Mittel versagt haben, aber nur dann. Sie sind das Letzte, die Ultima Ratio, aber nur dann, wenn alles andere nicht funktioniert. Aber es muss immer politisch geleitet sein. Auch militärische Operationen müssen einem politischen Ziel dienen.
    Nehmen Sie das Beispiel Afghanistan: Wir waren militärisch ja durchaus erfolgreich bis zu einem gewissen Grade, obwohl ich schon vor Jahren gesagt habe, wir sind gescheitert. Aber wir sind gescheitert, weil wir politisch die Dinge nicht in den Griff bekommen haben. Ich will jetzt nicht im Einzelnen darauf eingehen. - Nehmen Sie Libyen. Wir haben das System Gaddafi beseitigt, aber wir haben Chaos geschaffen. - Nehmen Sie Irak. Der Westen hat dort, insbesondere die Amerikaner, zwei Kriege geführt, aber nach wie vor ist dieses Land noch in Unruhe, ist in diesem Land Terrorismus an der Tagesordnung. - Und wir haben Syrien, wo wir nun seit längerer Zeit schon mit Luftangriffen versuchen, die Situation zu bereinigen. Das ist ein untaugliches Mittel. Es fehlt auch hier wiederum das, was wir politisch erreichen wollen, und vor allen Dingen, mit wem wir dieses Ziel erreichen wollen.
    Gemeinsamen Weg mit Putin in Syrien finden
    Müller: Dann nehmen wir doch am besten Baschar al-Assad, weil was Besseres fällt uns nicht ein?
    Kujat: Ja. Die Frage ist ja, ich sage es noch einmal: Was wollen wir erreichen? Wir wollen diesen verdammten Krieg dort mit den vielen leidenden Zivilisten, die Zerstörung der Lebensgrundlagen dieser Menschen, das wollen wir beenden. Das wollen wir, das will auch Putin. Der Unterschied besteht darin, dass Putin dies mit der syrischen Regierung machen will, weil dies die einzige Kraft auf dem Boden ist, im Augenblick noch, und wir wollen dieses Regime beseitigen.
    Ich denke, man muss sich mit Putin zusammensetzen, an einen Tisch setzen. Wir haben das gleiche Ziel und wir müssen einen Weg dorthin, einen gemeinsamen Weg dorthin verabreden, und dieser Weg besteht darin, zunächst eine Übergangsregierung zu schaffen - dazu ist Putin ganz offensichtlich bereit - und dann zu Wahlen zu kommen, die dieses Regime beseitigen.
    Müller: Jetzt tun wir aber so, Herr Kujat, wir können ja nicht einfach da hingehen und ein Übergangsregime oder eine Übergangsregierung installieren, ein paar Wahlen ausrufen. Man weiß ja gar nicht mehr, wo man so eine Wahlbox hinstellen sollen, weil permanent geschossen und bombardiert wird.
    Kujat: Doch, das können wir. Wir hatten ja 2012 eine Vereinbarung, jedenfalls mit den damals einigermaßen funktionierenden Kräften. Die ist von den Vereinigten Staaten nicht akzeptiert worden. Das heißt, wenn das damals geschehen wäre, dann wären wir heute in einer völlig anderen Situation. Ich denke, wir brauchen einen Neuanfang und möglicherweise sogar einen Neuanfang auf der Grundlage dessen, was damals in Genf vereinbart wurde. Russland verstärkt seine Kräfte dort vor Ort, weil Russland verhindern will, dass das Assad-Regime nun völlig in die Knie geht. Sie stehen ja mit dem Rücken zur Wand. Denn wenn Assad verschwinden würde, wenn die syrische Armee völlig geschlagen würde, dann würde IS dort die Herrschaft in diesem Land übernehmen. Das ist etwas, was wir nicht wollen, was wir auch nicht zulassen dürfen, aber wir können es mit den militärischen Mitteln, die wir im Augenblick einsetzen, nämlich nur mit Luftangriffen können wir das nicht verhindern. Das ist die Situation!
    Ohne Bodentruppen ist die Situation nicht zu bereinigen
    Müller: Das war jetzt kein Plädoyer für Bodentruppen?
    Kujat: Ja, die Bodentruppen sind ja vor Ort! Das ist die syrische Armee, die zwar sozusagen in ihren letzten Zügen liegt, aber die wird jetzt von Russland einigermaßen instandgesetzt, noch zu halten, und das könnte man durchaus für eine Übergangszeit nutzen. Ich bin nicht dafür, dass wir dort mit Bodentruppen jetzt reingehen bei dieser komplizierten unübersichtlichen Lage, aber ich wiederhole noch einmal: Ohne Bodentruppen ist die Situation nicht zu bereinigen. Also nutzen wir doch für eine Übergangssituation das, was Russland dort macht, wenn wir uns über ein gemeinsames Ziel und über einen gemeinsamen Weg zu diesem Ziel absprechen und vereinbaren können.
    Müller: Ein klares Plädoyer des früheren NATO-Generals Harald Kujat bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch.
    Kujat: Ich danke Ihnen, Herr Müller.
    Müller: Ihnen noch einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.