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Militärischer Einsatz am Golf
"Nicht in eine Eskalationsspirale rutschen"

SPD-Außenpolitiker Nils Schmid spricht sich gegen eine Teilnahme Deutschlands an einer militärischen Aktion am Golf aus. Deutschland müsse alles dafür tun, um nicht an der Seite der USA in einen militärischen Konflikt mit dem Iran zu geraten, sagte er im Dlf.

Nils Schmid im Gespräch mit Mario Dobovisek | 31.07.2019
In der Straße von Hormus geht es derzeit alles andere als friedlich zu - die US-Marine verbreitet Fotos von Kampfhubschraubern, die von Flugzeugträgern abheben.
In der Straße von Hormus geht es derzeit alles andere als friedlich zu (dpa / picture alliance / ZUMAPRESS.com / Dalton Swanbeck)
Mario Dobovisek: Ein Drittel des weltweit verschifften Öls muss die enge Straße von Hormus passieren entlang der Küste des Irans. Immer wieder kommt es dort zu Zwischenfällen, Drohnenabschüsse, aufgebrachte Schiffe im Atomstreit mit dem Iran, ein gefährliches Nadelöhr für den Welthandel, und mittendrin die Briten, da es ein britischer Öltanker ist, der sich noch immer in der Gewalt iranischer Sicherheitskräfte befindet. London wollte eine europäische Schutzmission für die Schiffe im persischen Golf und stieß damit auf wenig Gegenliebe, auch nicht bei der deutschen SPD. Jetzt wenden sich die Briten ab von Europa und hin zu den USA, und die wiederum bitten Deutschland um Unterstützung, inzwischen auch formell, wie wir wissen. Darüber möchte ich sprechen mit Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Schmid!
Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Dobovisek!
Dobovisek: Die Bundesregierung habe die Anfrage zur Kenntnis genommen, sagt Bundesaußenminister Heiko Maas, aber keinen Beitrag in Aussicht gestellt, Zitat Ende. Warum, Herr Schmid, soll sich die Bundeswehr, soll sich Deutschland nicht an einer Schutzmission im Persischen Golf beteiligen?
Schmid: Nun, die Anfrage ist nichts Neues, und schon in der letzten Woche hat Heiko Maas erläutert, dass sich die Europäer der Politik des maximalen Drucks der USA im Persischen Golf nicht anschließen wollen, sondern auf Diplomatie und Deeskalation setzen. Diese Auffassung teile ich voll und ganz, denn jetzt sollten wir alles dafür tun, dass wir nicht durch einen militärischen Aufmarsch in eine Eskalationsspirale am Persischen Golf reinrutschen, und vor allem sollte Deutschland alles dafür tun, nicht an der Seite der USA in einen militärischen Konflikt im Iran reinzuschlittern.
"Keine konkrete Anfrage nach militärischer Unterstützung"
Dobovisek: Aber die Briten hatten ja gerade angeboten, eben nicht an der Seite der USA zu stehen, sondern vor allem als Europäer, möglicherweise auch als eine Art Puffer zwischen den beiden Konfliktparteien zu agieren und einfach die Schiffe zu schützen.
Schmid: Ja, dieser Gedanke der europäischen Mission ist jetzt ja durch die neue britische Regierung offensichtlich aufgegeben worden.
Dobovisek: Na ja, weil auch Europa zu lange gezögert hat und damit auch Sie, die SPD.
Schmid: Nein, Europa hat überhaupt nicht gezögert. Es gab gar keine konkrete Anfrage nach militärischer Unterstützung, sondern es gab den Gedanken einer europäischen Mission, die darauf beruhen sollte, dass vorhandene Kapazitäten von Briten und Franzosen am Golf eingesetzt werden, um für die Europäer ein Lagebild zu erstellen und dieses gemeinsam politisch zu bewerten, um dann beispielsweise die Schifffahrt am Golf über Sicherheitsrisiken zu informieren und um die Europäer in die Lage zu versetzen, sich ein eigenes Bild darüber zu machen, wer gegebenenfalls diese Schifffahrt angreift, wer provoziert, wer verantwortlich ist für Verstöße gegen die Freiheit der Schifffahrt. Dieser Gedanke ist durchaus richtig, bloß er setzt überhaupt nicht voraus, dass europäische Länder, auch Deutschland nicht, zusätzlich Militär an den Golf schicken, denn um das Lagebild zu erstellen, sind die Kapazitäten der Briten und Franzosen völlig ausreichend, und diese Mission wurde von niemanden infrage gestellt.
Dobovisek: Aber schnell wurde doch klar, dass es beim Beobachten nicht bleiben würde, sondern dass auch Schiffe konkret begleitet werden müssten, und da würde auch die Bundeswehr mithelfen können.
Schmid: Genau das wurde weder von den Briten noch von Franzosen irgendwie angedeutet oder angefordert.
Dobovisek: Also Sie sagen dann, auf Deutsch gesagt, Deutschland hätte ja gesagt, wäre die Anfrage früher gekommen.
Schmid: Nein, Deutschland hat nie ausgeschlossen und hat sogar positiv darauf reagiert, wenn es darum ginge, ein Lagebild zu erstellen, eine europäische Mission zusammenzustellen, die sich deutlich abhebt von dem militärischen Vorgehen der USA, denn eine eigenständige europäische Mission macht ja nur Sinn, wenn sie auch ein europäisches Gesicht zeigt, so wie Heiko Maas das auch gesagt hat. Das europäische Gesicht muss sich deutlich abheben von dem militärischen Vorgehen und der Politik des maximalen Drucks der USA. Da waren sich die Europäer einig, bis Boris Johnson übernommen hat und sich wieder der amerikanischen Politik angeschlossen hat offensichtlich. Aber was nicht geht, ist, dass die europäische Mission nichts anderes ist als die amerikanische Militärmission - ich sage mal - in grün, wo man auch mit massiven militärischen Mitteln aufmarschiert am Persischen Golf, weil dann ist die Gefahr groß, dass man an Seite der USA vielleicht in europäischer Flagge, aber an Seite der USA in einen Krieg gegen den Iran hineinrutscht. Das wollen wir nicht.
"Spannungen abbauen - mit diplomatischen Mitteln"
Dobovisek: Jetzt hat aber auch Deutschland ein großes Interesse daran, dass das Öl sicher auf den Tankschiffen den Golf verlassen kann am Iran vorbei. Wie können Schiffe geschützt werden, wenn nicht militärisch oder polizeilich?
Schmid: Wir haben in der Tat ein großes Interesse an der Freiheit der Schifffahrtswege, übrigens wie viele andere Staaten auch, denn die Hauptabnehmer des Öls aus dem Persischen Golfs sitzen in Asien, aber man muss immer die konkreten Umstände berücksichtigen, und die Zuspitzung der Lage am Golf ist einerseits zurückzuführen auf die Provokationen und die Politik der Nadelstiche des Irans, der versucht, die USA und auch westliche Verbündete der USA zu provozieren. Andererseits haben die USA durch die willkürliche Aufkündigung des Atomabkommens und die Politik des maximalen Drucks ebenfalls zu den Spannungen beigetragen, denn bis zur Aufkündigung des Atomabkommens und bis zur Verschärfung des Drucks auch mit militärischen Mitteln durch die USA, gab es kein Problem mit der Schifffahrt in der Straße von Hormus.
Dobovisek: Das haben wir jetzt verstanden, diese Botschaft der maximalen Eskalation, aber Herr Schmid, da möchte ich trotzdem noch mal die Frage wiederholen: Jetzt ist das Kind ja, auf Deutsch gesagt, in den Brunnen gefallen, jetzt sind wir in dieser Situation. Die Schiffe fahren durch diese gefährliche Straße von Hormus und müssen irgendwie geschützt werden. Wie wollen Sie das tun?
Schmid: Das Wichtigste ist, dass wir die Spannungen abbauen und mit diplomatischen Mitteln diese Bedrohung bekämpfen, nicht indem wir militärisch aufmarschieren. Da sollten wir uns deutlich von der Politik der USA abheben, und deshalb ist ein wichtiger Beitrag die Rückkehr der USA zum Atomabkommen. Genau das versucht …
Dobovisek: Das werden sie nicht tun.
Schmid: Doch, das ist ja das Ziel der europäischen Politik nach wie vor. Und wer wirklich Spannungen dort abbauen will, der muss direkte Gespräche zwischen Iran und USA vermitteln. Das ist das, was die Europäer seit Wochen tun, denn eines ist klar: Wir werden diese Spannungen dort unten nur abbauen können, wenn die Iraner und Amerikaner an einen Tisch kommen, wenn sie sich austauschen über die Lage dort und wenn der Grundgedanke des Atomabkommens, keine atomare Bewaffnung des Irans gegen Aufhebung von Sanktionen, wieder belebt wird, alles andere würde die bisherige Sackgasse fortbestehen lassen und würde auf eine militärische Konfrontation hinauslaufen. Da sollten wir als Europäer keinen Beitrag dazu leisten, sondern die Haltung der Europäer ist klar, Diplomatie und Deeskalation.
"Rückkehr zum Atomabkommen ist der Schlüssel"
Dobovisek: Die treibenden Kräfte der europäischen Diplomatie sind Deutschland, Frankreich, Großbritannien. Diese drei Länder, jetzt müssen wir sagen: waren, weil Großbritannien sich offensichtlich den USA mehr zuwendet. Ist damit die Chance geringer geworden auf eine diplomatische Lösung?
Schmid: Wir sind uns mit den Briten und Franzosen unverändert darin einig, dass die Rückkehr zum Atomabkommen der Schlüssel zu einer diplomatischen Lösung ist, und die Briten haben bislang an der Haltung nichts geändert, und jetzt müssen wir als Europäer genau diesen Weg weiterverfolgen und dürfen uns nicht in eine militärische Eskalationslogik hineinbegeben, deshalb ist es so wichtig, dass wir als Europäer eigenständig und mit gebührender Distanz zu dem Militäraufmarsch der USA in der Region agieren.
Dobovisek: Aber verlassen die Briten nicht diesen Konsens, wie Sie ihn beschreiben, indem sie tatsächlich jetzt möglicherweise militärisch aktiv werden in der Region?
Schmid: Die Gefahr ist groß, dass, ähnlich wie beim Irakkrieg, die Briten an Seite der USA in den Krieg hineinschlittern. Das ist aber eine britische Entscheidung, aber wir Europäer sollten daran festhalten, dass Diplomatie die Lösung ist und nicht ein militärischer Konflikt, denn die Gefahr bei solchen robusten Militärmissionen ist ja, dass ein Schusswechsel zu Fehlkalkulationen führen kann und dann unvermutet in einem Krieg hineinrutscht, und das kann nicht das Interesse der Europäer sein.
Dobovisek: Müssen wir insgesamt, müssen Sie insbesondere als Außenpolitiker heutzutage auch zur Kenntnis nehmen, dass Diplomatie ihre Grenzen hat, dass Diplomatie in den jüngsten Konflikten – Syrien, Ukraine, mit Russland, jetzt der Iran – einfach auf der Stelle tritt und nicht funktioniert mit Blick zum Beispiel auch auf den UN-Sicherheitsrat, der seit Jahren blockiert ist und sich nicht weiterentwickeln kann?
Schmid: Es ist in der Tat unbefriedigend, dass wir zahlreiche internationale Konflikte nicht im UN-Sicherheitsrat zur Lösung bringen können. Umso wichtiger war es, dass der UN-Sicherheitsrat das Atomabkommen unterstützt hat, und umso bedauerlicher ist es, dass die Amerikaner einseitig dieses Funktionieren der Abkommen aufgekündigt haben. Ein großer Erfolg der Diplomatie war das Atomabkommen mit dem Iran. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der UN-Sicherheitsrat in vielen Fällen leider nicht mehr handlungsfähig ist, dass aber auch die USA in vielen Fragen ihre Verbündeten nicht konsultieren und einseitig Entscheidungen treffen. Das haben die Verbündeten in Afghanistan, in Syrien und auch in der Iranfrage erlebt, und es macht die Zusammenarbeit im Westen auch schwieriger als in der Vergangenheit.
"Risiko der Fehlkalkulation ist auf alle Fälle gegeben"
Dobovisek: Das macht es doch ganz deutlich, dass die Diplomatie jetzt kaum Aussicht auf Erfolg hat, und jetzt, wenn die Europäer sich raushalten am Golf, nicht die Schiffe beschützen wollen, dann gucken sie zwangsläufig zu, wie zum Beispiel ein US-Fregattenkapitän zur falschen Zeit den falschen Knopf drückt und damit möglicherweise einen Krieg auslöst. Das ist nicht besonders deeskalierend, das, was Sie eigentlich wollen.
Schmid: Ja, aber das würde nicht besser werden, wenn die Europäer noch zusätzlich Schiffe runterschicken.
Dobovisek: Was macht Sie da so sicher?
Schmid: Wir erhöhen ja dann das Risiko der Fehlkalkulation. Der amerikanische Militärkommandierende, der wird ja unabhängig davon, was Europäer entscheiden, seine Entscheidung treffen, und das Risiko der Fehlkalkulation ist auf alle Fälle gegeben, ob eine europäische Mission bewaffnet dort unten ist oder nicht. Das ist ja gerade das Problem, dass wir insbesondere in der Iranfrage ein einseitiges Agieren der Trump-Regierung haben gegen die Meinung der Verbündeten. Das war schon bei der Aufkündigung des Abkommens so, und auch die Politik des maximalen Drucks mit dem Aufmarsch amerikanischer Streitkräfte am persischen Golf ist ja eine einseitige Entscheidung, die von der europäischen Verbündetenschar nicht unterstützt wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.