Freitag, 19. April 2024

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Militante Trump-Anhänger in den USA
"Erhebliches terroristisches Potenzial"

Von gewaltbereiten Extremisten wird in den USA nach Ansicht des Terrorismusforschers Peter Neumann in den kommenden Jahren die größte terroristische Bedrohung ausgehen. Die Bundesbehörden seien durch Kürzungen in den vergangenen vier Jahren nur schlecht auf diese Gefahr vorbereitet, sagte er im Dlf.

Peter Neumann im Gespräch mit Dirk Müller | 14.01.2021
Mitglieder der Proud Boys und anderer rechtsnationaler Gruppierungen bei einem Aufmarsch in Portland.
Mitglieder der Proud Boys und anderer rechtsnationaler Gruppierungen bei einem Aufmarsch in Portland (dpa/picture alliance/AP Photo/Allison Dinner)
Für die anstehende Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joe Biden werden in allen US-Bundesstaaten die Sicherheitsmaßnahmen hochgefahren. Befürchtet wird ein erneuter Aufmarsch radikaler Anhänger des noch amtierenen US-Präsidenten Donald Trumps, der seine Wahlniederlage nicht anerkennt. Das Gewaltpotenzial dieser Gruppen sei größer als das der Dschihadisten in den USA, sagte der Terrorismusexperte Peter Neumann vom King's College in London im Dlf. Man müsse für die USA von einigen zehntausend Gefährdern ausgehen, die auch bereit seien, Terroranschläge und andere Gewalttaten zu verüben.
Terrorismusforscher Peter Neumann
Terrorismusforscher Peter Neumann (picture alliance | dpa | Christoph Meyer )
Dirk Müller: Die militanten Gruppen in den USA rufen zu einem bewaffneten Marsch auf alle Parlamente auf. Viele befürchten, dass sich zahlreiche Sicherheitskräfte nicht entschieden genug gegen die möglichen Gewalttäter stellen werden und dass sich auch republikanische Politiker und Mitarbeiter daran beteiligen werden. Ist das Staatsterror?
Peter Neumann: Der Terror geht nicht direkt vom Staat aus. Ich denke schon, dass sich daran natürlich viele Leute beteiligen, unter anderem möglicherweise auch Mandatsträger, und das ist natürlich problematisch, weil es so weit und so tief in die Politik reingeht und weil da auch so viele mögliche Unterstützer dranhängen. Das ist der große Unterschied zu dschihadistischen Bedrohungen. Da gibt es keine Mandatsträger oder breite Schichten der Bevölkerung, die das unterstützen, und deswegen auch weniger Potenzial, dass das tatsächlich dann zu einer Spaltung der Bevölkerung führt.
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"Trump ist die Lichtgestalt für diese Bewegung"

Müller: Gibt es einen klaren Anführer der Bewegung? Ist das Donald Trump?
Neumann: Donald Trump ist der, den die Anhänger der Bewegung für ihren Anführer halten. Denen ist diese Bewegung in den Schoß gefallen, zumindest die extremeren Formen dieser Bewegung. Er hat sie auch ermutigt, er hat sie angestachelt. Aber er hat natürlich immer ein ambivalentes Verhältnis gehabt, weil er auch gewusst hat oder vielleicht verstanden hat, welches Potenzial in dieser Bewegung steckt, welches auch negative Potenzial in dieser Bewegung steckt. Und jetzt versucht er, damit umzugehen auf teilweise sehr ungeschickte Weise. Ich denke, dass Donald Trump natürlich der Retter, die Lichtgestalt für diese Bewegung ist und dass es auch entscheidend von Donald Trump abhängt und von seinen Anhängern und von seinen Mandatsträgern, wie die sich jetzt verhalten, welche Signale die an die eigenen Anhänger geben. Und es wäre wichtig, dass Donald Trump und auch führende Republikaner ganz deutlich sagen, dass sie die Wahl verloren haben.
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"Trump muss Wahlniederlage zugeben"

Müller: Trump hat sich jetzt in einer Videobotschaft von der Gewalt und den potentiellen Gewalttätern distanziert. Reicht das aus, um ein bisschen Wind aus den Segeln zu nehmen?
Neumann: Das reicht sicher nicht aus. Es ist zu spät. Es ist zu wenig glaubwürdig. Und der entscheidende Punkt, den hat er nicht gemacht. Der entscheidende Punkt ist, dass er zugibt, dass er die Wahl verloren hat. Denn daran hängt sich das Ganze ja auf. Wenn Sie sich die Schuhe dieser Leute versuchen vorzustellen, diese Leute zu sein, die glauben ja tatsächlich, dass Trump eigentlich die Wahl gewonnen hat, dass ihm die Wahl gestohlen wurde, und dass das der größte Betrug in der amerikanischen Geschichte ist. Wenn sie natürlich dieser Auffassung sind, dann ist das natürlich ein riesen Ding, und dann rechtfertigt das auch möglicherweise sogar sehr wilde Proteste. Und es ist deshalb wichtig, nicht nur, dass Trump sagt, bitte keine Gewalt mit einem Augenzwinkern; es ist wichtig, dass er im Prinzip die Grundlage dem Ganzen entzieht, und die Grundlage dessen ist, dass die Anhänger der Auffassung sind, dass diese Wahl tatsächlich betrogen wurde.

"Gewaltpotenzial größer als von Dschihadisten"

Müller: Herr Neumann, wir wollten etwas genauer auf diese Bewegung schauen, wie immer man sie auch nennen darf – es sind ja amerikanische Bürger, über die wir reden. Wir lesen über die "Proud Boys". Wir kennen seit vielen, vielen Jahren, seit Jahrzehnten die "Aryan Nations", "White Supremacy" und so weiter. Wer steckt dahinter?
Neumann: Da hat sich in den letzten zwei, drei Jahren eine Bewegung gebildet, die mittlerweile, man schätzt, zwei, drei Millionen Anhänger hat. Da gehören ehemalige Anhänger von Bürgermilizen dazu oder Leute, die da immer noch aktiv sind. Da gehören Rechtsextreme dazu. Da gehören Anhänger von sogenannten Verschwörungstheorien dazu wie zum Beispiel QAnon. Darüber liest man ja immer wieder. Das sind Leute, die glauben, dass Trump einen geheimen Krieg gegen ein Netzwerk von Kinderschändern und Satanisten an der Spitze der Regierung führt - ganz absurd, ganz abstrus. Und natürlich auch sehr viele fanatische Trump-Anhänger, deren Loyalität Trump als Person gilt und nicht den Institutionen. Die haben sich in den letzten Jahren zusammengefunden. Die sind auch übers Internet verbunden. Die sind vor allem – und das ist das Problematische – schwer bewaffnet und sie haben auch das Militär und die Polizei infiltriert. Das hat man auch bei den Protesten letzte Woche gesehen. Sehr viele aktive Soldaten und Militärs und auch ehemalige Soldaten und Militärs sind in dieser Bewegung beteiligt. Wenn man sich das alles zusammen anschaut, Verschwörungstheorien, die Waffen, die Auffassung, die diese Leute vertreten, die Infiltrierung von staatlichen Institutionen, dann ist das ein erhebliches Gewaltpotenzial, meiner Meinung nach größer als das von Dschihadisten innerhalb von Amerika.

"Ganz erhebliches terroristisches Potenzial"

Müller: Herr Neumann, mit Vergleichen muss man immer aufpassen. Würden wir in Deutschland diese Kreise, diese Gruppierungen als Gefährder bezeichnen?
Neumann: Ganz sicher, denn die Definition von Gefährder ist ja eine, die eine extremistische Ideologie hat und gewaltbereit ist oder auch bereits aktive Schritte unternommen hat, um sich auf Gewaltakte vorzubereiten. Das sehen wir ganz deutlich bei einem großen Teil dieser Bewegung. Selbst wenn man konservativ – ich möchte jetzt nicht zu alarmistisch klingen, aber wenn man konservativ von einer Million Unterstützern ausgeht und sagt, okay, davon ist vielleicht ein Prozent gewaltbereit, dann sprechen wir trotzdem von 10.000 sogenannten Gefährdern, also ein ganz erhebliches terroristisches Potenzial, was meiner Meinung nach in Amerika in den kommenden Jahren wahrscheinlich die größte terroristische Bedrohung darstellen wird.
Müller: Diese Gruppierungen, die wir zum Teil ja benannt haben, waren früher nicht verfeindet, aber sie haben für ihre eigene Identität, die ja individuell auch definiert worden war, gestanden, haben nicht miteinander kooperiert, waren nicht vernetzt. Damals gab es noch kein Internet. Ist das jetzt alles anders? Ziehen diese Gruppierungen alle an einem Strang?
Neumann: Sie ziehen insofern an einem Strang, als dass sie sich alle auf einen Punkt einigen können, nämlich dass Donald Trump im Amt bleiben soll, dass er betrogen wurde und dass der "tiefe Staat" – so wird das ja bezeichnet – eine Verschwörung gegen Donald Trump unternommen hat. Das ist, was sie eint momentan. Da gibt es natürlich riesen Unterschiede, aber es ist schon so, dass in den letzten zwei, drei Jahren Donald Trump einen gewissen ideologischen und persönlichen Kitt hervorgebracht hat, der auch diese Bewegung geschaffen, zusammengehalten hat, so dass sie jetzt im Prinzip gemeinsame Rituale, eine gemeinsame Kultur hat, dass Leute miteinander kommunizieren, dass man tatsächlich davon sprechen kann, dass die ein Ziel haben.
Ein Mitglied vom sogennanten National Patriotic Defense Team mit einem Aufnäher der Gruppierung "Three Percenters" 
Rechtsextreme Bürgerwehren machen vor der US-Wahl mobil
Sie heißen "Three-Percenters", "Proud Boys" oder "The Base": Rechtsextreme Milizen in den USA sehen in Präsident Donald Trump einen Fürsprecher und Alliierten. Hass und Gewalt richten sich deshalb gegen Trumps Opposition.

"Herausforderung für Biden"

Müller: Gewaltbereiter Rechtsextremismus - in Deutschland läuft da seit vielen Jahren die Diskussion mit dem Vorwurf vieler Kritiker, in der Politik häufig diskutiert, wir haben das, wer auch immer das "wir" sein mag, nicht ernst genug genommen, nicht ernst genug bekämpft. Rechtsextremismus, gewaltbereit in den USA, wurde das auch von der Politik eher negiert, bei Seite geschoben, oder offen angegangen?
Neumann: In den letzten vier Jahren ganz sicher. Unter Donald Trump gibt es tatsächlich materielle Belege dafür, dass Donald Trump, sein Heimatschutzministerium die Beobachtung des Rechtsextremismus zurückgefahren hat, dass Mittel gekürzt wurden, dass Abteilungen geschlossen wurden, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben, und das ist natürlich ganz problematisch jetzt, wo wir diese Gefahr haben. Es ist nicht nur so, dass wir jetzt eine Gefahr haben mit möglicherweise 10.000 Gefährdern, die gewaltbereit sind. Es ist auch so, dass die Bundesbehörden, das FBI, das Heimatschutzministerium auf diese Gefahr schlechter vorbereitet sind als vor vier Jahren, als die Gefahr viel geringer war. Deswegen wird das für Präsident Biden eine ganz große Herausforderung, denn ich bin überzeugt davon, dass diese Anhänger, wenn Präsident Trump tatsächlich nächste Woche nicht mehr im Weißen Haus ist, keinen Grund mehr sehen, sich zurückzuhalten, denn bisher war ja immer die Einstellung, wir warten jetzt darauf, dass Donald Trump irgendwas macht, dass er irgendwas tut, er ist im Weißen Haus, die Regierung hat deswegen noch eine gewisse Legitimität. Ab nächster Woche wird das nicht mehr der Fall sein und deswegen denke ich, dass das für Präsident Biden eine riesen Herausforderung in den ersten Jahren seiner Amtszeit sein wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.