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Minimalist Lee Ufan im Centre Pompidou-Metz
Sehen, was man nicht sieht

Minimalistische Installationen, Skulpturen und Malerei, die Meditationsräume schaffen: Die Arbeiten des koreanischen Künstlers Lee Ufan stehen für ein besonderes, überhaupt nicht egozentrisches Verständnis von Kunst. Sie offenbaren das Unsichtbare.

Von Kathrin Hondl | 27.02.2019
Arbeiten von Lee Ufan im Centre Pompidou Metz
Arbeiten von Lee Ufan in der Aussstellung "Die Zeit bewohnen" im Centre Pompidou Metz (Deutschlandradio / Kathrin Hondl)
Die Arbeiten von Lee Ufan erscheinen auf den ersten Blick unfassbar simpel. Stahlplatten, an die Wand gelehnt oder am Boden liegend. Ein Stein, ein Findling, auf einer Glasplatte. Oder Malerei direkt auf der weißen Musemswand: mineralische Pigmente, Grau in Grau, gemalt in einander ähnelnden, aber doch unterschiedlichen Pinselstrichen: Das Grau nach links immer heller, immer weißer werdend - bis das Bild beinahe verschwindet auf der weißen Wand. "Dialog" nennt Lee Ufan dieses Gemälde, mit dem er seine Ausstellung in Metz beginnt.
Dialog als Lebensthema
Dialog sei das Thema seines Lebens, sagt seine Übersetzerin aus dem Japanischen. Früher habe er das Korrespondenz genannt, Entsprechung. Aber das meine dasselbe: "Es geht um Ambiguität, um Widersprüche und Zeit für einen Dialog."
Das immer heller werdende Grau auf der Musemswand erscheint als flüchtiger Dialog der banalen weißen Wand mit den kurzen, kompakten Pinselstrichen, die die Wand vibrieren, schwingen lassen. Es ist eine Malerei, die - kaum da - schon wieder verschwindet. Oder die auch gar nicht existieren und uns einfach der Leere überlassen könnte - oder besser: dem Unsichtbaren.
"Was Sie sehen, ist das, was Sie nicht sehen"
Dem berühmten Minimal Art-Motto des Amerikaners Frank Stella – "Was Sie sehen, ist das, was Sie sehen" – setzt der asiatische Minimalist Lee Ufan ein anderes Credo entgegen: "Was Sie sehen, ist das, was Sie nicht sehen."
"Für ihn muss Kunst das Unsichtbare offenbaren", sagt Kurator Jean-Marie Gallais. "Zum Beispiel physikalische Kräfte. Oder eine Arbeit aus dem Jahr 1968: Da malte er drei fluoreszierende Bilder. Wenn man von diesen Bildern umgeben ist, erlebt man sich selbst als leuchtend. Die fluoreszierende Farbe ist auf Händen, Armen, Gesichtern. Kunst ist für ihn nichts Materielles an der Wand, sondern sie existiert in der Mitte, in der Leere. Sie ist immateriell, nicht greifbar."
Es ist die Kunst eines ostasiatischen Philosophen: Weise, meditativ und manchmal sogar ein bisschen lustig. Wenn Lee Ufan einem Stein am Boden einen zweiten Schatten malt. Oder wenn er einer scheinbar schwebenden, leichten Kugel aus weißen Baumwollfasern einen groben, schweren Stein gegenüberstellt: dann wirken die beiden fast schon wie zwei krass überzeichnete Comic-Gestalten. Gegensätze und Widersprüche, die zu sehen und zu erleben, Spannungen, die auszuhalten sind, indem man sich selbst nicht so wichtig nimmt.
Eine stille Kunst - diesmal mit Soundtrack
Es ist eine stille, stoische Kunst. Im Centre Pompidou-Metz aber hat Lee Ufan nun zum ersten Mal mit dem Prinzip der Stille gebrochen.
Der japanische Komponist Ryuichi Sakamoto hat für die Ausstellung einen Soundtrack komponiert. Sakamoto wurde vor allem mit Filmmusik bekannt, zum Beispiel zu "Merry Christmas, Mr. Lawrence". Die Klänge zu Lee Ufans Kunst schuf er mit denselben Materialien, mit denen der Künstler arbeitet: Metall, Kies, Glas, Steine, aber auch Stille und Leere. Und so entsteht ein neuer "Dialog", das ‚Lebensthema’ von Lee Ufan.
"Monsieur Lee", wie sie Lee Ufan in Frankreich nennen, scheint beim Gang durch die Ausstellung allerdings noch nicht ganz überzeugt vom Soundtrack, der seine Arbeiten begleitet. Immer wieder bittet er die Museumsleute, die Musik etwas leiser zu stellen. Aber auch an seinen eigenen Werken arbeitet er bis kurz vor der Vernissage. Zum Mittagessen mit den aus Paris angereisten Journalistinnen und Journalisten kommt Monsieur Lee zu spät: Er musste noch das Grau des gemalten Schattens neben einem Stein verändern. Lee Ufan ist ein ewiger Zweifler. Und gerade das macht seine Kunst so überzeugend und die Ausstellung in Metz unbedingt sehenswert. Denn hier kann man tatsächlich sehen, was man nicht sieht.