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Missbrauch in katholischer Kirche Italiens
Mit göttlicher Justiz die Sünden unter den Teppich kehren

"Göttliche Justiz" heißt ein neues Buch, das gerade in Italien für Aufsehen sorgt. Der Journalist Federico Tulli und seine Kollegin Emanuela Provera gehen darin der Frage nach, warum die weltliche Justiz so oft außen vor bleibt, wenn Kleriker des sexuellen Missbrauchs beschuldigt werden.

Von Thomas Migge | 05.03.2019
Trotz großer Anti-Missbrauchs-Konferenz - Kirche trennt noch immer "göttliche" von "weltlicher" Justiz
Trotz großer Anti-Missbrauchs-Konferenz - Kirche trennt noch immer "göttliche" von "weltlicher" Justiz (imago / Christian Ohde)
"Wir haben rund 20 Orte ausfindig machen können. Die meisten davon liegen in Mittel- und Norditalien. Einige dieser Orte finden sich auch ganz in der Nähe von Rom. Und dann in Umbrien, in der Lombardei."
Federico Tulli ist Journalist. Er hat sich auf die Geschichte des Missbrauchs in der katholischen Kirche spezialisiert und zu diesem Thema bereits verschiedene Reportagebücher publiziert. Zusammen mit seiner Kollegin Emanuela Provera, auch ihr Arbeitsfeld sind investigative Reportagen zur katholischen Kirche, hat Tulli jetzt ein neues Buch vorgelegt. Eine Reportage zur, so der Titel "Divina Giustizia", zur göttlichen Justiz, mit dem bezeichnenden Untertitel: "Wie die Kirche die Sünden ihrer Hirten unter den Teppich kehrt". Federico Tulli:
"Gemeint sind vor allem jene Männer und Frauen der Kirche, also Geistliche und Ordensleute, die durch sexuelle Verfehlungen aufgefallen sind, also Missbrauch Minderjähriger, Pädophilie, wie auch das Stalken von Frauen und Minderjährigen."
Die beiden Autoren finden es skandalös, dass diese kirchlichen Einrichtungen während der ersten Missbrauchskonferenz im Vatikan mit keinem einzigen Worte erwähnt wurden. Immerhin Orte, an denen innerhalb der Kirche als Sexualstraftäter überführte Personen untergebracht würden -, ohne dass diese Fälle der weltlichen Justiz des italienischen Staates gemeldet und von dieser zur Verantwortung gezogen würden.
Kirche zeigt nicht an
Obwohl Papst Franziskus immer wieder "Null Toleranz" im Fall von sexuellen Missbrauch beschwört, gibt es innerhalb der kirchlichen Gesetzgebung bisher keine Vorschriften, die präzise vorschreiben, dass Straftaten wie sexuelle Gewalt an Kindern auch und in jedem Fall der weltlichen Justiz angezeigt werden müssen. Die italienische Bischofskonferenz sieht es immer noch nicht zwingend vor, solche Delikte der italienischen Staatsanwaltschaft zu melden. Seit dem Jahr 2000 wurden in Italien rund 150 katholische Geistliche und Ordensleute von der weltlichen Justiz zur Verantwortung gezogen, so die beiden Autoren von "Giustizia Divina". Das war nur deshalb möglich, weil Opfer und deren Verwandte in Italien Anzeige erstattet hatten. Federico Tulli:
"In diesen Kliniken und Einrichtungen werden nicht nur Personen untergebracht, die von einem kirchlichen Tribunal verurteilt wurden, sondern auch Menschen, die ohne ein Urteil dorthin geschickt werden. In fast allen Fällen handelt es sich hierbei um pädophil auffällig geworden Personen. Alle unsere Interviewpartner erklärten uns, dass man Kindesmissbrauch nicht der weltlichen Justiz melden müsse, denn es handele sich ja um Sünden, die man mit Gott ausmachen müsse. Das heißt nichts anderes, als dass die italienische Justiz ignoriert wird."
Anweisungen nicht umgesetzt
Tulli und Provera weisen in ihrem Reportagebuch mehrfach darauf hin, dass nicht alle Mitglieder des italienischen Klerus diesen Umgang begrüßen.
Die beiden Autoren wollen aus dem Vatikan erfahren haben, dass der Papst schon vor Jahren intern Anweisung gegeben habe, besonders auffällige Geistliche der italienischen Justiz zu melden. Doch umgesetzt wurde die Anweisung nicht. Provera:
"Man muss also in diesem Zusammenhang von einer gewissen Komplizenschaft eines Teils der kirchlichen Hierarchie mit vor allem Missbrauchstätern sprechen. Die Regierung von Matteo Renzi handelte 2015 mit dem Vatikan ein Abkommen aus, demzufolge pädophile Missbrauchsfälle in der Kirche der italienischen Justiz gemeldet werden müssen. Doch dieses bilaterale Abkommen wurde seitens der Kirche nie umgesetzt. Die Opfer und auch Journalisten erfahren nichts, wenn sie im Vatikan nachfragen."
Die Autoren der investigativen Reportage zur "Göttlichen Justiz" finden es beschämend, dass die Kirche immer noch nicht mit der weltlichen Justiz zusammenarbeitet, um Straftäter zur Rechenschaft zu ziehen. Doch sie hoffen, dass sich etwas zum Besseren hin ändern könnte, wenn dem Gipfeltreffen im Vatikan tatsächlich konkrete Maßnahmen folgen.