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Chef des BR-Rundfunkrats im Fokus
Missbrauchsgutachten: Die Causa Lorenz Wolf

Für die katholische Kirche war das Münchener Missbrauchsgutachten eine Art Erdbeben. Auch für den Bayerischen Rundfunk stellen sich nun Fragen: Einer, um den sich das Gutachten dreht, ist Lorenz Wolf - Vorsitzender des BR-Rundfunkrats.

Von Nina Magoley | 24.01.2022
Lorenz Wolf, Rundfunkratsvorsitzender des Bayerischen Rundfunks und Vorsitzender der Gremienvorsitzendenkonferenz der ARD (GVK), nimmt an der ARD-Pressekonferenz im BR-Funkhaus teil. Am 25. und 26.11.2019 fand eine Sitzung und Hauptversammlung der ARD-Intendanten sowie der Gremienvorsitzenden statt. Es war die abschlieÃende ARD-Sitzung in der zweijährigen Vorsitzzeit des Bayerischen Rundfunks, die Ende Dezember 2019 endet.
Lorenz Wolf, Rundfunkratsvorsitzender des Bayerischen Rundfunks (picture alliance/dpa)
Es ist der größte Missbrauchskandal der katholischen Kirche in der Nachkriegszeit: Zahlreichen prominenten katholischen Amtsträgern - bis hin zum emeritierten Papst Benedikt XVI - wird im Münchener Missbrauchsgutachten mindestens die Vertuschung sexuellen Missbrauchs durch Kollegen zur Last gelegt.

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Unter den meist genannten Namen ist auch der des Münchner Domdekans: Lorenz Wolf. Er gilt als einer der einflussreichsten Kirchenmänner im Freistaat Bayern und leitet seit 2010 das Katholische Büro in Bayern. Der promovierte Kirchenrechtler ist seit 1997 für die kirchliche Gerichtsbarkeit im Erzbistum München verantwortlich.
Und: Seit 2014 ist Wolf Vorsitzender des Rundfunkrats des Bayerischen Rundfunks.
Die Aufgabe des Rundfunkrats beschreibt der Bayerische Rundfunk selber unter anderem mit der "Beratung des Intendanten in allen Rundfunkfragen, insbesondere bei der Gestaltung des Programms".
Wenn der derzeitige Vorsitzende gleichzeitig einer derjenigen ist, um deren Fehlverhalten sich der größte Missbrauchsskandal der katholischen Kirche seit dem Zweiten Weltkrieg dreht - dann drängt sich die Frage auf, ob es da nicht mindestens einen Interessenkonflikt gibt.

Wolf wusste viel, unternahm wenig

Mehr als 1.900 Seiten umfasst das Missbrauchsgutachten - mindestens 630 Mal taucht der Name Lorenz Wolf darin auf. Die Schilderungen vieler einzelner Situationen und Fälle zeichnen das Bild eines Offizials, der von zahlreichen Missbrauchsvorgängen detailliert wusste - aber wenig unternommen hat, um die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Immer wieder soll Wolf auf weiterführende Maßnahmen bewusst verzichtet haben, immer wieder nachsichtig auf die schwierige persönliche Situationen der Täter verwiesen haben.
So zitieren die Gutachter beispielsweise:
  • "Die Einleitung eines kirchenrechtlichen Voruntersuchungsverfahrens (...) bietet nach Einschätzung von DD Wolf keine Aussicht auf Erfolg – [der Priester] werde nicht mehr preisgeben als in der geführten Vernehmung."
  • Bezüglich eines Priesters, dem "eine zu intensive Nähebeziehung zu den Krankenhausministranten" vorgeworfen wurde, verwies Wolf in einer entscheidenden Sitzung auf dessen "schwierige persönliche Situation". Der Priester wurden aus der Krankenhausseelsorge entlassen und in den Ruhestand versetzt.
  • Wolfs Handeln habe in vielen Fällen "vorrangig den Interessen seines Mitbruders" gegolten, "nicht mit dem kirchlichen Selbstverständnis im Einklang" stehend, das "unter anderem durch die Sorge um Notleidende und Bedrängte mitbestimmt wird".
Wolf nahm dem Gutachten zufolge schriftlich Stellung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Unter anderem eine Erklärung fällt dabei ins Auge: Die so "häufig geforderte" Entlassung eines jeweiligen Täters aus dem Klerikerstand sei "nicht unproblematisch", weil der betreffende Priester damit "der Aufsicht und Kontrolle des Bischofs entzogen" sei. "Eine engmaschige Kontrolle" die verhindern könnte, "dass der Täter unbeaufsichtigt bleibt und weiter krumme Wege geht", sei dann nicht mehr möglich.

Von der Kirche zum BR: "Vertuschen, wegputzen, Schaden begrenzen"

Auch innerhalb des Rundfunkrats herrscht bei einigen Entsetzen über die Rolle, die Wolf im Missbrauchsskandal des Münchener Erzbistums spielte. Sanne Kurz, Abgeordnete der Grünen im Bayerischen Landtag und Mitglied des Rundfunkrats, beobachtet Wolf seit Langem. "Was sich in dem Gutachten als Unternehmenskultur der Kirche abzeichnet, wendet Wolf auf den Bayerischen Rundfunk an: Vertuschen, wegputzen, Schaden begrenzen." Oft habe es den Anschein gehabt, als ob Wolf - gut vernetzt in den Verwaltungsetagen des Senders - sich habe "instrumentalisieren" lassen. "Das tut dem BR nicht gut, und den Mitarbeitenden auch nicht."
Sie habe Wolf oft als jemanden erlebt, der versucht, Konflikte "wegzumoderieren, im Kreis zu drehen, abzuschwächen, zu verzögern". Bis ein Problem dann vielleicht kaum noch erkennbar sei. "Anstatt Konflikte offen auf den Tisch zu legen und auszutragen, sich zur Verantwortung zu bekennen."

Als nächstes in den Verwaltungsrat?

Besonders empörend findet Kurz die jüngste Äußerung Wolfs: Auf der letzten Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen und Medienpolitik im Rundfunkrat am vergangenen Freitag (21.01.2022) habe Wolf erklärt, er werde in der nächsten Periode nicht mehr als Vorsitzender antreten - sei aber "gebeten worden, in den Verwaltungsrat zu gehen".
"Beides geht gar nicht mehr", findet Kurz, spätestens nach dem Missbrauchsgutachten fehle Wolf "jede Integrität" für derart verantwortungsvolle Posten, die ja gerade die Aufgabe haben, solche Gremien zu führen, Vertrauen zu schaffen. Menschen, die von solchen Skandalen oder Auseinandersetzungen betroffen sind, seien "nicht geeignet, solche wichtigen öffentlichen Ämter auszuüben".

Rundfunkrat verweist auf "Anfangsverdacht"

Wolf selber will sich auf Dlf-Nachfrage nicht äußern. Auf @mediasres-Anfrage antwortete die Geschäftsstelle des BR-Rundfunkrats: "Herr Dr. Wolf gibt derzeit keine Stellungnahme zu einem umfangreichen Gutachten, in dem die Gutachter stets ausdrücklich hervorheben, 'dass es sich bei ihren Bewertungen lediglich um einen aus ihrer Sicht bestehenden (Anfangs-)Verdacht handelt.'" (Zitat orthografisch korrigiert)
Die Berichterstattung des Bayerischen Rundfunks liege in dessen Programmautonomie, "Form und Inhalt verantworten die Redaktionen". Eine Einflussnahme durch den Rundfunkrat sei ausgeschlossen.

"Sehr große Machtfülle"

Heikel wird die Rolle eines Rundfunkratsvorsitzenden, wenn dem Gremium gegenüber Kritik an der Berichterstattung über das Missbrauchsgutachten geäußert wird, in dem er selber eine Rolle spielt. "Rundfunkräte haben unter anderem die Aufgabe der nachgelagerten Diskussion - zum Beispiel von Programmbeschwerden", sagt der Wirtschaftswissenschaftler Leonhard Dobusch, der auch Mitglied im ZDF Fernsehrat ist. Das könne natürlich von den Medien ebenfalls aufgegriffen werden und so Einfluss auf die Berichterstattung haben.
Der Vorsitzende eines Rundfunkrats verfüge zudem über eine "sehr große Machtfülle" mit "Einfluss und Bedeutung im gesamten öffentlich-rechtlichen Kosmos", sagt Dobusch im @mediasres-Interview: Er lege die Tagesordnung fest - und bestimme so auch, worüber überhaupt gesprochen und abgestimmt werden kann.
Ob Wolf von seinem Posten zurücktreten müsse? Dobusch antwortet aus der Sicht des Juristen: "Ein Richter muss sich auch dann aus einem Verfahren zurückziehen, wenn nur der Anschein einer Befangenheit besteht." Das sei eine Frage der Glaubwürdigkeit - "und auch im öffentlichen Interesse". Ein Rundunkrat vertrete mit seinen Mitgliedern schließlich einen Querschnitt der Gesellschaft.

Papst Benedikt kann sich jetzt doch erinnern

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat unterdessen eine seiner Aussagen zum Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert. Entgegen seiner ursprünglichen Darstellung habe er an der Ordinariatssitzung vom 15. Januar 1980 doch teilgenommen. Das berichtet die Katholische Nachrichten-Agentur KNA. Die falsche Darstellung sei "Folge eines Versehens bei der redaktionellen Bearbeitung seiner Stellungnahme" gewesen.

"Wie der emeritierte Papst sich verhält, ist sehr peinlich"