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"Mit Sicherheit ist das so ein Supergau"

Unmengen Rohöl treffen zurzeit an den Küsten von Louisiana und Florida ein. Die Biologin Uda Tuente von der Abteilung Küstenschutz des Havariekommandos erklärt, wie man sich in Deutschland auf Katastrophen dieser Art vorbereitet.

Uda Tuente im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: 1989: die Havarie der Exxon Valdez vor der Küste Alaskas. Die Bilder von den ölverschmierten Seevögeln, den schwarzen Küsten, sind noch vielen im Gedächtnis. Es war die bislang größte Ölkatastrophe der US-Geschichte. Doch dieses Ausmaß könnte nun übertroffen werden. Alle Bemühungen, das Bohrloch im Golf von Mexiko zu stopfen, sind bislang gescheitert. Auch der Versuch, das Öl auf See abzufackeln, war nicht erfolgreich. Nun droht den Küstengewässern am Mississippi-Delta eine gigantische Umweltkatastrophe. Das Öl bedroht also nicht nur Flora und Fauna der Region, es droht auch eine wirtschaftliche Katastrophe. Viele Menschen in Louisiana sind abhängig vom Fischfang, von der Krabben- und von der Austernzucht. Der Gouverneur des Staates hat deshalb bereits den Notstand ausgerufen.
    Am Telefon in Cuxhaven begrüße ich jetzt die Biologin Uda Tuente von der Abteilung Küstenschutz des Havariekommandos, einer Einrichtung des Bundes und der Küstenländer. Guten Tag, Frau Tuente.

    Uda Tuente: Guten Tag!

    Heinlein: Wie beurteilen Sie aus der Ferne die Situation am Mississippi-Delta?

    Tuente: Oh ja! Aus der Ferne ist das natürlich immer so eine Sache, aber es ist schon sehr deutlich: Es ist eine sehr große Verschmutzung, Ölverschmutzung, von einem Ausmaß, was seines gleichen sicher sucht, und wir sind froh, dass wir so etwas in Deutschland nicht haben, auch solche Bohrinseln nicht haben. Aber es ist mit Sicherheit eine sehr große Verschmutzung.

    Heinlein: Lässt sich denn jetzt schon abschätzen, ob die neue Ölpest das Ausmaß der Exxon-Valdez-Katastrophe von 1989 übertrifft?

    Tuente: Bislang, zu diesem Zeitpunkt übertrifft es von der Ölmenge das Ausmaß noch nicht. Das würde noch etwas dauern, wenn das Öl weiterhin in der Menge aus dem Bohrloch austritt.

    Heinlein: Ist das so eine Art Supergau für den Küstenschutz?

    Tuente: Ja. Mit Sicherheit ist das so ein Supergau, wie wir ihn uns niemals wünschen, auf den wir uns aber jeden Tag vorbereiten, im Havariekommando und speziell in der Schadstoffunfallbekämpfung Küste.

    Heinlein: Wie kann man sich denn vorbereiten auf eine solche Katastrophe?

    Tuente: In Deutschland haben wir das sogenannte Havariekommando und dort bestimmte Fachbereiche, die sich schon sehr lange mit diesem Thema beschäftigen und im Prinzip die ganze Küste von Deutschland und das offene Gewässer vorbereiten in Form von einem Schiffpark, den wir unterhalten, der spezialisiert ist auf Ölbekämpfung auf See, und einer Ölbekämpfung, die an Land dann operiert, wenn das Öl an Land ankommt.

    Heinlein: Wie kann denn Öl auf See bekämpft werden, denn der Versuch in den USA, das Öl auf dem Meer abzufackeln, ist ja offensichtlich gescheitert?

    Tuente: Genau. Der Versuch, das Öl abzufackeln ist gescheitert. Das ist auch immer eine Aktion, die dann genommen wird, wenn man anders nicht weiterkommt. In Deutschland ist das allerdings für uns kein Thema, weil die Rußbildung doch enorm ist und die Küste dadurch in Mitleidenschaft gezogen wird. Man hat die Möglichkeiten, dass man das Öl zum Beispiel mit Schiffen – das machen wir in Deutschland; wir haben Schiffe, die spezielle Ölsperren vorrätig haben, die können zum Teil sogar direkt ausgeklappt werden aus der sogenannten Außenhaut des Schiffes und dann kann es dort direkt eingesammelt und abgesogen werden von der Wasseroberfläche.

    Heinlein: Warum ist Ähnliches in den USA derzeit nicht möglich?

    Tuente: In den USA, so wie ich oder wie wir das mitbekommen, arbeitet man mit Ölsperren und auch dort saugt man das Öl ab. Es sind sehr große Mengen und das Problem bei Ölsperren ist immer das Wetter, die Wellenhöhe. Wenn die eine bestimmte Meterzahl – eineinhalb Meter sind das meist schon – überschreiten, dann ist das Problem wie hier in den USA, dass das Wasser mit dem Öl dann unter der Sperre hindurchtritt.

    Heinlein: Wenn das Öl an Land kommt, was können denn die Ölbarrieren verhindern, oder welche Möglichkeiten gibt es, die Küste selbst zu schützen?

    Tuente: Man hat dann verschiedene Sorten noch mal von Ölsperren, die direkt für die Küste zugeschnitten sind. Das sind natürlich einmal die saugfähigen Sperren, die können Öl aber auch nur dann einsaugen, wenn es dünnflüssig ist. Wenn das dicke Platten sind, sagen wir, Verdickungen des Öls, dann würde man das mechanisch eingrenzen. Und wenn es am Strand ankommt - der Strand ist eigentlich der Bereich, der aus Sicht der Ölbekämpfung am einfachsten zu reinigen ist, weil es sich da einfach auf den Strand legt -, würde man es mechanisch dort entfernen.

    Heinlein: Wenn das Öl an Land ankommt, sagen Sie, welche Auswirkungen hat denn eine solche Ölpest auf die Flora und Fauna an einer Küste?

    Tuente: Das liegt daran, welche Flora und Fauna dann vorhanden ist. Wir unterscheiden ja verschiedene Gebiete. Ein Strand ist normalerweise mäßig besiedelt, in diesen Gebieten in den USA, in der Karibik natürlich etwas mehr als bei uns, aber schwierig sind immer solche Gebiete, wo man sehr vielfältige Substratstrukturen, also Untergrundstrukturen hat und wo das Öl sich dann in verschiedene Ritzen und Lücken, worin die Flora und Fauna lebt, verfängt und dann auch sehr schwer dort zu entfernen ist.

    Heinlein: Ist das Mississippi-Delta eine solche schwierige Umgebung?

    Tuente: Wie ich das aus der Ferne beurteilen kann, ist das in jedem Fall eine schwierige Umgebung, weil sie vielfältig ist und eben nicht nur ein einfacher Strandbereich dort vorhanden ist.

    Heinlein: Wenn man die Küste also nicht vollständig reinigen kann – und danach sieht es ja aus -, wie lange wird es denn dauern, bis sich die Natur von einer solchen Ölverschmutzung dann langfristig erholt?

    Tuente: Das liegt auch sehr am Wetter und verschiedenen Faktoren, aber ich würde so über den Daumen peilen, dass das zehn Jahre dauern wird.

    Heinlein: Frau Tuente, Sie haben in Ihrer ersten Antwort gesagt, eine solche Katastrophe sei in Deutschland wegen fehlender Ölbohrinseln nicht möglich. Ist das tatsächlich so, in Deutschland ist eine ähnliche Katastrophe nicht denkbar?

    Tuente: Wir haben auf jeden Fall natürlich ähnliche Katastrophen denkbar, die große Mengen von Öl freisetzen lassen können. Das sind nicht nur die Bohrinseln, die ja nicht im deutschen Hoheitsgebiet stehen, sondern in unseren Nachbarländern in der offenen Nordsee, aber es kann genauso Öl natürlich austreten bei Havarien von Schiffen, weil die Schiffe heutzutage nicht nur die Mengen von Öl transportieren, die dann verkauft werden, sondern auch die Bunkerölbestände, wie man das sagt, um das Schiff anzutreiben, große Containerschiffe zum Beispiel.

    Heinlein: Also wenn es schlecht läuft, könnte sich eine solche Katastrophe durchaus an deutschen Ost- oder Nordseeküsten ereignen?

    Tuente: Ja. Darauf richten wir uns wie gesagt jeden Tag ein, weil wir ja einen sehr hohen Schiffsverkehr haben, auch in Deutschland, in den deutschen Gewässern, und da muss man natürlich immer befürchten, dass etwas Schlimmes passiert.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Mittag die Biologin Uda Tuente von der Abteilung Küstenschutz des Havariekommandos. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Tuente: Auf Wiederhören!